Gründlich falsch verstanden!

24.04.12
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von Karl – Ludwig Ostermann

Zu Franks Brauns Diskussionsbeitrag zum Avanti Brief

Frank Braun von der SoKo hat auf den Avanti Brief zum Prozess der Diskussion einer „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO) unter der Überschrift „Irgendwie revolutionär mit Selbstermächtigung“ Stellung genommen. Es scheint mir ein wenig durchdachter Schnellschuß zu sein.

Schon die Überschrift ist gemessen an dem von Frank selbst konstatierten solidarischem Ton des Avanti Dokuments übel polemisch, nicht zielführend und überhöht in falscher Weise die beschriebene Rolle der Avanti Genossinnen und Genossen in den Ortsgruppen, die als autonom und als Selbstermächtigung beschrieben wird, als grundsätzliche Handlungsmaxime, die in Verbindung mit den Begriffen „irgendwie revolutionär“ ins Lächerliche gezogen wird. Das ist nicht in Ordnung.

Eins Vorweg: Ich habe den NaO – Prozess intensiv verfolgt und an drei Diskussionsveranstaltungen der SoKo in diesem Kontext teilgenommen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hätte ich einen solchen Brief, hätte ich ihn schreiben sollen, nicht anders geschrieben! –

Mit einer Ausnahme:

Avanti schreibt: „Ein Unterschied liegt unseres Erachtens in der Orientierung des Aufbaus einer Partei des „neuen Typs“ mit Option auf Partizipation am parlamentarischen Geschehen. (…) Eure Fokussierung auf Parteistrukturen mit potenzieller Teilnahme an parlamentarischen Wahlen im Konkurrenzverhältis zur LINKEN halten wir für strategisch falsch.“

Dies hat prompt zu der Reaktion („systemcrash“) geführt, die Position von Avanti sei eine Art Arbeitsteilung mit der PdL unter Anerkennung und Unterordnung unter ihr reformistisches Wesen (1)

Eine solche Fokussierung auf Parteistrukturen mit Parlamentsoption sehe ich in der Deutlichkeit, wie Avanti sie sieht, beim NaO nicht. Der Unterschied zwischen „Partei“ und „Organisation“ wird kontrovers diskutiert und verstanden.

Gemeint hat Avanti nach meinem Verständnis die deutliche Abkopplung des eigenen Handlungskonzepts von jedweden reformistischen Illusionen bei gleichzeitigem praktischem und kommunikativem Dialog und Aktionseinheit mit diesen Kräften (die umfassen mehr als nur die PdL):

„Wir begreifen uns demgegenüber nicht als „Mitgliederpartei“ sondern als Organisation von Aktivist_innen. Wir sehen die Notwendigkeit von gemeinsamen zentralen Strukturen, um politisch handlungs- und reaktionsfähig zu sein. Eine wesentliche Grundlage unserer Politik ist jedoch die Selbstermächtigung unserer Aktivist_innen, die Autonomie der lokalen Gruppen und die Orientierung auf eine außerparlamentarische und aktivistische Organisation. Generell versuchen wir die Widersprüche zwischen schnellen Entscheidungen und Basisbeteiligung, gemeinsamen Großaktionen und kontinuierlicher lokaler und thematischer Verankerung anzuerkennen und für uns produktiv zu machen.“

Avanti hätte in diesem Kontext sein Verhältnis zur PdL wie auch seine Interpretation der Dokumente der NaO präziser beschreiben müssen.

Nun zurück zu Frank Braun:

„Scheinbar arbeitsteilig segelten und segeln die beiden Strukturen nebeneinander her. Die einen, die PDL, hauptsächlich irgendwie links-parlamentarisch orientiert. Die anderen, die IL inkl. Avanti, ohne erkennbare strategische Zielstellung von Kampagne zu Kampagne hangelnd, hauptsächlich irgendwie links-außerparlamentarisch orientiert – beide aber doch offenbar mit negativer Bilanz. (…) Aber auch das event-hopping der IL vermittelt trotz ‚Schottern ist Handarbeit’ den Leuten keinen Vorschlag für eine Alternative zum real existierenden Kapitalismus und auch nicht, wie man es strategisch und taktisch dahin schaffen kann. Die von Euch aufgeführten Kampagnen von Heiligendamm bis Dresden, an deren gewissermaßen operativ erfolgreiches Gelingen gerade Ihr Avantis einen großen Anteil hattet, krankten unter strategischen Gesichtspunkten allesamt zudem an einem Makel von Selbstreferenzialität, dem Schmoren im eigenen Saft. (…) Und auch programmatisch ist aus der IL kein antikapitalistisches Projekt geworden. Nichts dergleichen ist zu vernehmen. Wenn aber aus der IL schon nicht wenigstens ansatzweise ein programmatisch und theoretisch antikapitalistisches Projekt wurde, ist dann – rein interventionistisch gesehen, also auf der Ebene praktischer Sozialkritik – wenigstens ein nennenswerter dynamischer gesellschaftlicher Impuls zugunsten der IL zu verzeichnen? Dazu hört man von Euch nichts Konkretes.“

Das sind schwere Geschütze! Kampangenhoppelnde, theorielose, letztendlich erfolglose Handwerklerei!

Aber es kommt noch dicker: „Wie wollt ihr das als Avanti oder auch als IL darstellen, wenn Ihr Euch heute nicht zwischen pro oder kontra Kapitalismus entscheiden wollt – in Theorie, in alltäglicher Praxis und ausdrücklich programmatisch? Ist da nicht ‚Selbstermächtigung’, wovon in Eurem Papier die Rede ist, als Impuls widerständiger Aktivität und quasi strategische Option eine viel zu windige Instanz, um diesen Kapitalismus systematisch bekämpfen zu können?

Also nicht nur Handwerklerei, sondern auch eine, die sich nicht zwischen pro oder Kontra Kapitalismus entscheiden will ….

Echte Demokratie – das geht nur ohne Kapitalismus (Zwischenüberschrift)

Bleiben wir nach diesen Vorhaltungen mal cool und lassen nüchtern Dokumente sprechen. Selbst auf der homepage der SoKo ist das Dokument „Echte Demokratie – das geht nur ohne Kapitalismus“ (2) von Avanti an hervorragender Stelle platziert. Frank sollte mal ab und zu seine eigene homepage lesen.

Ich halte diese Erklärung für eine der besten, kurz zusammengefassten Schriften, die sich im letzten Herbst an die Zielgruppe der jungen Menschen richteten, die in Gruppen wie „Echte Demokratie jetzt“ oder „Occupy“ sich, oft zum ersten mal, fanden und bei der Diskussion um die Erscheinungsformen der Krise glaubten, neue Wege gehen zu können:

„Nahezu alle Bereiche unseres Lebens sind den kapitalistischen Prinzipien von Gewinnmaximierung, Konkurrenz und daraus folgender destruktiver Expansion unterworfen. Erst wenn wir dem ein Ende setzen, ist Platz für Democracia real.

Die industrielle (Waren-) Produktion ist traditionell den kapitalistischen Prinzipien unterworfen: schnell und vor allem billig muss produziert werden. Die Folgen sind immer miesere Arbeitsbedingungen, schlechtere Löhne und rücksichtslose Entlassungen, Überproduktion, sinnlose oder zerstörerische Produkte und Kriege um knapper werdende Rohstoffe.“

Allerdings fehlen in dieser Schrift die sattsam bekannten „Forderungen“ wie „die Arbeiterklasse muß jetzt ….“ bis hin zu „jetzt müssen die Banken unter Arbeiterkontrolle gestellt werden…“ Stattdessen wurde das immer verheerender wirkende Regime des Kapitals an konkreten sozialen Feldern aufgezeigt und die Notwendigkeit der Überwindung („wörtlich: Erst wenn wir dem ein Ende setzen“) dieses Regimes klargestellt.

Die Form des Überwindens allerdings wird nur als zu findende Aufgabe gestellt und nicht mir dem Löffel der tradierten, orthodoxen Wahrheit verfüttert: „Aber wie soll das Ganze aussehen? Dazu gibt es Ideen, Träume und Utopien, aber eine wirklich freie Gesellschaft kann nicht am Reißbrett entworfen werden. Es braucht dafür eine gemeinsame Praxis, in der wir solidarisch miteinander den Begriff mit Leben füllen, wirklich demokratische Entscheidungsstrukturen schaffen und die Welt ohne Kapitalismus greifbar machen.“

Wer so argumentiert, bezieht klar Stellung dazu, ob er pro oder contra Kapitalismus steht.

Zur Praxis von IL und Avanti (Zwischenüberschrift)

Frank Braun schreibt: „Einige Male habe ich AktivistInnen der IL sozusagen sinnlich erlebt und zuletzt ist mir im Zusammenhang mit den Besprechungen im Vorfeld der Demos und Aktionen in Frankfurt/M. berichtet worden, daß diese GenossInnen praktisch nicht gerade zu den überzeugenden und auch nicht zu den schärfsten KritikerInnen des kapitalistischen Krisenmanagements a la Troika gehören, sondern eher zu denjenigen, die systematische Kritik eher unterbelichtet lassen wollten. Eben eher in der milden Form von Kritik gegen die Macht von Banken. Ist es ein Zufall, daß in dem von Euch mitgetragenen Aufruf zu den ‚Maifestspielen’ die Kritik an der ausgesprochen kapitalistischen ‚Lösung’ der sozialen und ökologischen Probleme der Zeit vollständig unterbleibt?“

Dazu erneut lesbare Dokumente, gleich vorn im dritten Absatz des Aufruft der IL (3): „Es ist offensichtlich: Seit ein paar Jahren durchlebt der Kapitalismus eine der schwersten Krisen seiner Geschichte und die Mutter aller Fragen steht wieder im Raum: Wie viele Jahre kann und wie viele Jahre will sich die Welt noch dieses System leisten? Auch hierzulande wird die Zeit langsam reif für eine kraftvolle rebellische Mobilisierung: laut, entschlossen, offensiv und antikapitalistisch.“

Zurück zum „sinnlichen Erleben“ von Frank Braun. Der Autor dieser Zeilen teilt mit Frank Braun die Herkunft aus einer maoistischen Denktradition. Ich beziehe mich heute nur noch selten auf Mao Tse Tung. Ihm wird das Bild zugesprochen, daß der nicht über einen Apfel urteilen könne, der ihn nicht selbst gegessen habe. Frank Braun müsste aber wissen, daß es leichtfertig ist, eine politische und gesellschaftliche Entwicklung – dazu zählt auch die Entwicklung einer linken Organisation – zu beurteilen, ohne sie umfangreich und allseitig untersucht zu haben.

Kommen wir also zum Vorwurf des Kampagnenhopping am Beispiel Dresden: Dresden war also „nur operativ erfolgreich“ und „krankte unter strategischen Gesichtspunkten (…) an einem Makel von Selbstreferenzialität, dem Schmoren im eigenen Saft….“

Führen wir uns also vor Augen, was ins Dresden los war. Über Jahre der größte europaweite Aufmarsch der Neonazis und Geschichtsrevisionisten, eingebettet in eine Ideologie des Opfermythos, die in der Stadt herrschte. Die Gegenkräfte hilflos, die radikalen regelmäßig isoliert und von der Polizei leicht angreifbar, die bürgerlichen handzahm und selbstgefällig.

Wenn es nicht angekommen ist, dann muß es noch einmal deutlich angesagt werden: Erst mit einer konzeptionellen Neuplanung der Widerständigkeit, die alle Kräfte in einem neuen Aktions- und inhaltlichem Bewertungsrahmen in einem Handlungskonsens zusammenführte, die Extremismuskeule praktisch unterlief, die bürgerlichen Kräfte zur Handlung zwang und die richtigen Inhalte hegemonial durchsetzte, gelang es mit Massenaktionen von jeweils über zehntausend Teilnehmern in drei Jahren hintereinander den Dresdener Naziaufmarsch Geschichte werden zu lassen. Dazu war in der Vorbereitung und Durchführung eine Kärrnerarbeit nötig. An dieser konzeptionellen Neuplanung und der konkreten Vorbereitung und der jeweiligen reflektierenden Aufarbeitung waren Genossinnen und Genossen der IL und auch von Avanti führend beteiligt. Konzeptionsloses Gewurschtel? Kein „nennenswerter dynamischer gesellschaftlicher Impuls“? Geht’s noch?

Ich habe, Frank Braun kann es bestätigen, auf den letzten beiden SoKo Veranstaltungen jeweils zweierlei vorgeschlagen:

Erstens in der SoKo als Gruppe eine gemeinsame, verbindliche organisierte und langfristig angelegte Praxis zu entwickeln (die fleißige praktische Teilnahme einzelner Genossinnen und Genossen an einzelnen politischen Projekten bestreite ich nicht). Zweitens den Prozeß der Herausbildung stärkerer politischer Handlungskompetenz links der PdL durch einen „Fermentierungs- und Clusterungsprozeß“ von sich nahestehender Gruppen voranzutreiben und mit den sich bildenden Zusammenhängen anderer Konzepte den solidarischern Meinungsstreit zu suchen und zu organisieren

Avanti hat mit seinem Brief erneut seine Vorstellung dargelegt, organisiertes Handeln, um „dem Kapitalismus ein Ende zu setzen“ aus einer stetig zu reflektierenden Praxis zu entwickeln. Es ist ein anderes Konzept, als das von NaO und Frank Braun favorisierte. Kann man dennoch nicht einfach mal akzeptieren, daß Avanti dieses Konzept hat und es aufmerksam, gerne auch kritisch begleiten, statt in Schnellschüssen derartige heißdüsige, voreilige und zum Teil denunziatorische Bewertungen zu treffen?!

(1) „dass Avanti eine Konkurrenz zur Linken für eine strategische Fehlentscheidung hält, zeugt von ernsten politischen Differenzen, die eh nicht in EINER Organisation integrierbar wären. eine REVOLUTIONÄRE Organisation KANN nur in Konkurrenz zur Linken aufgebaut werden.“
Siehe:
http://www.nao-prozess.de/blog/irgendwie-revolutionar-mit-selbstermachtigung/

(2) http://avanti-projekt.de/avanti/echte-demokratie-das-geht-nur-ohne-kapitalismus

(3) http://avanti-projekt.de/news/take-square-weltweit-gegen-krise-krieg-kapital

 


VON: KARL – LUDWIG OSTERMANN


Leserbrief von Frank Braun zu "Gründlich falsch verstanden" - 28-04-12 14:19
Irgendwie revolutionär mit Selbstermächtigung - 21-04-12 20:25
Für den kleinteiligen und mühsamen Weg des Aufbaus einer undogmatischen revolutionären Organisation - 20-04-12 21:32




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