Zur NAO-Bilanz von Micha Schilwa, Edith Barthelmus-Scholich & Co-AutorInnen. Teil II
von TaP
I.
Micha Schilwa & Co.-AutorInnen berichten über die SYKP (deutsche Auslandssektion der türkischen Partei des sozialistischen Wiederaufbaus), die Ende 2013 das NaO-Manifest unÂterschrieb und – lt. Schilwa & Co. – „[i]m Sommer 2014“ der NAO beitrat:
Es gab „enorme sprachliche Verständigungsprobleme. Die Mehrheit der GenossInnen spricht nur sehr wenig bis gar kein deutsch, was dazu führte, dass die Nao-Plena in Berlin einige Wochen / Monate zweisprachig (mit Übersetzung) durchgeführt werden mussten.“ (S. 8)
Mir scheint allerdings weniger dramatisch zu sein, daß diese Treffen mit Übersetzung stattfinden mußten. Das wirklich DramaÂtische scheint mir zu sein, daß die SYKP das NaO-Manifest unterschrieb, obwohl es augenscheinlich – trotz der genannten Sprachbarriere – nicht ins Türkische übersetzt wurde.
Wäre es ins Türkische übersetzt worden, wäre die türkische FasÂsung sicherlich – genauso wie die französische – auf der Seite nao-prozess.de veröffentlicht worden. Eine solche VeröffentliÂchung gab es aber nicht.
Es fragt sich dann allerdings, auf welcher Grundlage die SKYP bzw. deren deutsche Sektion Ende 2013 überhaupt das Manifest unterschrieben hat. Wie viele deren Mitglieder haben verstanden, was sie da unterschreiben?
Diese Gruppierung war jedenfalls bis zum 9. bundesweiten TrefÂfen zum NaO-Prozeß bei keinem der bundesweiten (und auch keinem der Berliner) Treffen zum NaO-Prozeß anwesend; sie war nicht in den mailing-Listen zum NaO-Prozeß und auch nicht in den Redaktionsgruppen für das Manifest und die Essentials vertreten. Sie veröffentlichte niemals einen Text auf der Seite nao-prozess.de. Und sie wurde vor dem neunten bundesweiten Treffen zum NaO-Prozeß in dessen Rahmen nicht einmal erÂwähnt... – und dann unterschreibt die SYKP Ende 2013 auf einÂmal ein „Manifest“, das eine Redaktionsgruppe fix und fertig ausÂgearbeitet hatte, in der die SYKP niemals vertreten war...
Diese Episode ist symptomatisch für die Luftschloß-Methode, mit der die ganze NAO-GrünÂdung erfolgte.
II.
Ganz ähnlich die ARAB-Episode. In dem Papier von Micha & Co. heißt es: „Im Oktober 2014 löste sich die ‚Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin’ – ARAB selbst auf und erÂklärte ihren Beitritt zur NaO Berlin.“ (S. 8). Auch seinerzeit, zu NAO-Zeiten, wurde ebenfalls zunächst behauptet:
„Und wieder eine Antifa-Gruppe weniger. Die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin löst sich in die Neue Antikapitalistische Organisation auf.“
(http://nao-prozess.de/eine-frage-der-praxis-interview-mit-nao-arab/ – diese und die nächste Hv. von TaP)
und zwei Tage später erklärte ARAB dann im taz-Interview aber:
„Wir lösen uns nicht auf, wir werden Teil der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO). […]. Das heißt aber nicht, dass es uns nicht mehr gibt: Wir bestehen weiterhin als ARAB und werden vermutlich in einzelnen Fragen auch immer noch eigene Sachen herausbringen.“ (http://www.taz.de/!5030913/).
Schließlich heißt es in dem Bilanzpapier der 14 AutorInnen:
„sie [die Gruppe ARAB] verfügte [vor ihrer angeblichen Auflösung in die NAO] über eine im Verhältnis zur bescheidenen Größe enorme ‚street credibility’ und Mobilisierungsfähigkeit.“
Freilich trat ohnehin nicht die ganze ARAB der NAO bei, sondern ein kleiner Teil von KaÂdern, während die Masse der Mitglieder + Demo-Umfeld anderweitig aktiv wurden. Aber imÂmerhin hatte die NAO ein weiteres Potemkinsches Dörflein vorzuweisen...
III.
Über mich selbst heißt es sehr schmeichelhaft in dem Bilanzpapier der 14:
„Eine sehr belesene und hochgebildete Genossin, die zügig in die Führung der SIB integriert wurde, wo sie viel für den NaO-Aufbau getan hat. Allerdings erwiesen sich unsere Hoffnungen, ‚via DGS’ einen besseren Zugang zum postautonomen Milieu zu schaffen als trügerisch.“
Allerdings hatte ich selbst Derartiges nie versprochen, sondern immer argumentiert, daß, wenn es mit der im debatten-eröffnenden „Na endlich“-Papier anvisierten Bandbreite von „‚Marxismus’ [… bis] ‚Autonomie’“ (S. 1) klappen soll, dann müssen sich alle am NaO-BeteiÂligten in (post)autonome Debatten einlesen[1], die verschiedenen Szene-Spektren nicht nur dem Klischee nach kennen und auch regelmäßig bei Bündnissen und Veranstaltungen präÂsent sein, die nicht von Linkspartei, ATTAC und GewerkschaftlerInnen, sondern von Szene-Gruppen dominiert sind; es müssen von Seiten der im NaO-Prozeß dominierenden Kräfte die auch kulturellen Barrieren zwischen vereinsförmiger Organisierung (mit WahlbeÂteiligungsoption[2]) und Szene-Organisierung und -Politik überwunden werden[3] sowie die Sorglosigkeit, was eventuelle staatliche Repression anbelangt, abgelegt werden.
Das lief schon innerhalb der SIB nur mäßig; GAM[4] und SoKo[5] schienen daran auch politisch nur wenig interessiert zu sein und für kleinstädtische isl- und RSB-Mitglieder war dies schon aus pragmatischen Gründen (keine großen link[sradikal]en Szenen) eher fernÂliegend.
Unter dem Flugi für die Veranstaltung mit SIB, RSB, isl und SAV am 3. Nov. 2011 in der Berliner Werkstatt der Kulturen stand zwar: „Veranstaltungen mit VertreterInnen weiterer Spektren der Linken werden folgen“; und Entsprechendes sollte eigentlich bundesweit orÂganisiert werden, aber nichts davon wurde konkret in Angriff genommen.
Das Einzige, was zumindest auf pragmatischer Ebene, wenn auch ohne inhaltlicher GrundÂlage, funktionierte war die – auf einer wechselseitigen Präferenz für eine selbst-euphorisieÂrende Rhetorik gegründeten – Koalition von Micha Prütz und ARAB im Berliner 1. Mai-Bündnis. Dafür wurde auch über wiederkehrende fragwürdige Konzert-Einladungspolitiken von ARAB und rücksichtslosem Verhalten von ARABs „street credibility“-Umfeldes großzüÂgig hinwegsehen oder beides gar nicht erst zur Kenntnis genommen.
Mag dies noch vertretbar sein, solange es um Demo-Bündnisse geht, so wird es haltlos, wenn es um eine gemeinsame Organisation geht – außer allerdings eine bestimmte Art inÂhaltlicher Ausrichtung und eine bestimmte Art von Mitgliedern ist gerade gewollt... JedenÂfalls GAM und ARAB scheinen in einer Antiimp- & Haudrauf-Rhetorik und -Ästhetik und einem „Internationalismus“, der Klassen außerhalb der imperialistischen Metropolen für von bestenfalls nachrangiger Bedeutung hält, gut konvergiert zu haben:[6]
• „Der Widerstand gegen dieses [Kiewer] Regime, der sich im Süden und Osten des Landes entwickelt hat, ist daher vollkommen legitim.“ (NAO Berlin & ARAB)[7] – Ziele und Mittel dieses Widerstandes; politischen Klassen- und andere gesellschaftliche Widersprüche in der Ost- und Südukraine egal...
• „Solidarität mit dem kurdischen Volk!“ (Martin Suchanek / Micha Prütz)[8] – nicht mit den kurdischen Lohnabhängigen, nicht mit den kurdischen Frauen, auch nicht den kurdischen, landlosen Bauern und Bäuerinnen – sondern ganz pauschal „mit dem kurdischen Volk“, egal welcher politischer Ausrichtung und gesellschaftlicher StelÂlung...
• Konsequenterweise wird auch der Konflikt Israel – Hamas ganz ‚unideologisch’ unter der Volks[9]-Kategorie analysiert: „in diesem Krieg [Israel - Gaza] geht es nicht darum, dass zwei Formen bürgerlicher oder reaktionärer Ideologie aufeinander treffen, […] Es geht um den Kampf einer unterdrückten Nation gegen einen rassistischen UnterÂdrückerstaat.“ (NAO Berlin)[10] Und folglich gelte: „Wir sind solidarisch mit allen, die sich gegen die Unterdrückung durch einen rassistischen, zionistischen Staat, die BeÂsatzung der Westbank und die mörderische Blockade Gazas zur Wehr setzen.“[11]
Daß dies für alle mit etwas komplexeren Analysen und Strategien abstoßend ist, sollte jeÂdenfalls klar sein. Gerechtfertigt werden kann dies allenfalls damit, daß, nachdem sich die SIB-Mehrheit für eine schnelle NAO-Gründung entschieden hatte und dafür – außer von GAM und Revolution – im NaO-Prozeß keine begeisterte Unterstützung bekam, ihr wenig anderes übrig blieb, als aus der Not eine Tugend zu machen und zu nehmen, wer immer kommen mag.
„...dass diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist.“ - Zum Scheitern des NaO-Prozesses - 29-07-16 20:57