von „Internationale KommunistInnen"
Ein Beitrag der internationalen KommunistInnen zum aktuellen Stand der Organisierungsdebatte
Mit dem Beitrag der „Sozialistischen Initiative Berlin“ (SIB) hat die Debatte um eine „Neue Antikapitalistische Organisation“1, die u.a. bei Trend schon seit längerer Zeit geführt wird, deutlich an Lebendigkeit gewonnen. Inzwischen gibt es eine Reihe von Beiträgen, die sich an der DeÂbatte beteiligen.
Wir begrüßen die Tatsache an sich, dass nun ein paar Gruppen und Einzelpersonen die NotÂwendigkeit einer verbindlichen antikapitalistischen Organisierung2 zur Intervention und ZuspitÂzung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und zur Formierung grundsätzlicher und fundierÂter Gesellschaftskritik betonen. Und wir begrüßen, dass sich bereits über die RahmenbedingunÂgen eines antikapitalistischen Organisierungsprozesses ausgetauscht wird.
An diesem Punkt möchten wir uns ebenfalls einklinken.
Unserer Meinung nach hat die Debatte eine Reihe von Fragen und Problemen aufgeworfen, weshalb wir uns jetzt mit diesem Beitrag zum aktuellen Stand der Diskussion positionieren und einige der Fragen aufgreifen wollen. Diesen Beitrag verstehen wir nicht als Grundsatzpapier. Wir wollen jedoch zu gegebener Zeit einen längeren inhaltlichen Text veröffentlichen.
1. Was wollen wir überhaupt für eine Art von Organisierung?
Das Ziel der aktuellen Debatte war es ursprünglich eigentlich, eine „Neue Antikapitalistische Organisation“ zu gründen, zumindest wurde dies von der SIB in ihrem Papier so formuliert. In der derzeitigen Diskussion scheinen sich jedoch zwei gegensätzliche Ansätze herauszukristalliÂsieren:
a.) Antikapitalistische Organisierung, was aus unserer Perspektive eine kommunistische OrienÂtierung impliziert
b.) Organisierung auf klassenkämpferischer Grundlage = “Klassenlinke“ (Ablehnung von SoziÂalpartnerschaft, keine Mitverwaltung der Krise und allgemeine sozialistische Orientierung ohne explizit revolutionäre Politik, diffuser Antikapitalismus)
2. Worin bestehen die Unterschiede zwischen einer antikapitalistischen Organisierung und einer Organisierung auf klassenkämpferischer Grundlage?
Vorneweg:
Wir wollen als Gruppe zusammen mit anderen interessierten Gruppen und EinzelÂpersonen eine antikapitalistische Organisierung aufbauen.
1 Die Debatte wurde durch den Text „Neue Antikapitalistische Organisation? Na endlich !“ von der SIB eröffnet
(http://www.trend.infopartisan.net/trd0311/t550311.html).
2 Antikapitalistische Organisierung ist für uns gleichbedeutend mit revolutionärer oder kommunistischer Organisierung, also mit einer Organisierung, die die Überwindung der bestehenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse zum primären Ziel hat.
Die Gleichsetzung von revolutionärer Organisierung mit kommunistischer Organisierung und die damit verbundene Ausgrenzung z.B. anarchistischer Strömungen ist für uns kein Festhalten an einem dogmatischen, verstaubten Label, sondern drückt eine inhaltliche Differenz aus.
Uns geht es um ein bestimmtes Politikverständnis, welches wir als Gruppe vertreten und welches mit den unterschiedlichen Varianten anarchistischer Ideologie (z.B. Individualismus (das „freie“ Individuum), Spontaneismus, Syndikalismus, Demokratiefetisch, dogmatische Herrschafts-, Hierarchie-und Staatsfeindlichkeit) unvereinbar ist.
Dass andere politische Strömungen ebenfalls einen antikapitalistischen Anspruch haben, der sich aber in einem anderen Politikverständnis widerspiegelt, können wir akzeptieren. Das schließt aber eine strategische Zusammenarbeit (antikapitalistische Organisierungsdebatte) aus, nicht jedoch auf eine Zusammenarbeit auf klassenkämpferischer Grundlage.
a.) Was ist das Ziel einer antikapitalistischen Organisierung?
Für eine antikapitalistische Organisation steht das Ziel einer befreiten Gesellschaft und die FraÂge, wie wir dorthin kommen, im Vordergrund bei der Ausrichtung der theoretischen und praktiÂschen Politik.
b.) Was ist eine Organisierung auf klassenkämpferischer Grundlage?
Hier steht im Gegensatz zu einer antikapitalistischen Organisierung der Aufbau und die UnterÂstützung gesellschaftlicher3 Kämpfe im Vordergrund.
Ein allgemeiner Antikapitalismus spielt hier zwar eine Rolle, ist aber nicht das zentrale Ziel.
3. Warum sind eine antikapitalistische Organisierung und eine Organisierung auf klasÂsenkämpferischer Grundlage ein Widerspruch?
Der Widerspruch besteht in dem Versuch, eine Organisierung aufzubauen, die beides sein will, aber am Ende nur eines sein kann: Entweder – oder! Es ist aber kein Widerspruch, 2 unterschiedliche Organisierungen aufzubauen, eine antikapitaliÂstische und eine klassenkämpferische.
Wir haben uns als interkomms stets an unterschiedlichen klassenkämpferisch oder reformistisch ausgerichteten Bündnissen beteiligt wie das Mayday-Bündnis, der Klassenkampfblock oder das Berliner Antikrisenbündnis. Das ersetzt aber nicht die Notwendigkeit des Aufbaus einer antikapitalistischen Organisierung.
4. Aus welchem Verständnis heraus wollen wir praktische Politik betreiben, und was unÂterscheidet uns dabei von einer Organisierung auf klassenkämpferischer Grundlage?
Wenn wir uns gemeinsam mit Gewerkschaften, ReformistInnen oder klassenkämpferischen Bündnissen oder Organisierungen an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligen, haÂben wir zunächst ein gemeinsames Ziel: Unmittelbare gesellschaftliche Verbesserungen.
Auch hier gibt es in der Regel bereits punktuelle inhaltliche Differenzen:
• unterschiedliche konkrete Forderungen
• unterschiedliche Perspektiven in Bezug auf gesellschaftliche
Organisierungsprozesse und Vernetzungen
Die grundsätzliche Differenz besteht darin, dass wir uns vor dem Hintergrund einer kommunistischen Perspektive an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligen.
Das bedeutet:
• es ist nicht unser primäres Ziel, unmittelbare Verbesserungen durchzusetzen, das müssen Gewerkschaften und soziale Initiativen sowie die Betroffenen selber leisten. Dennoch unÂterstützen wir grundsätzlich gesellschaftliche Kämpfe
• wir fördern zwar gesellschaftliche Organisierungsprozesse, verstehen uns aber nicht als „Organizer“
• unser erstes primäres Ziel ist die Formulierung einer fundierten Kritik an den besteÂhenden gesellschaftlichen Verhältnissen und die Agitation für den Kommunismus4. Es muss der Zusammenhang zwischen z.B. sozialen Verschlechterungen oder WirtÂ
3 Unter gesellschaftlichen Kämpfen verstehen wir Kämpfe gegen konkrete gesellschaftliche Ausbeutung oder Unterdrückung,
z.B. Arbeitskämpfe, antisexistische Kämpfe oder Proteste von Flüchtlingen.
4 Unter Kommunismus verstehen wir eine weltgesellschaftliche Formation ohne Staat, Herrschaft und Ausbeutung.
Die Wirtschaft wird nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen transnational geplant. Zum Kommunismus gehört für uns ausdrücklich auch die Abschaffung von Rassismus, Antisemitismus und Patriarchat, die mit der Überwindung des Kapitalismus keineswegs von alleine verschwinden, da sie eigenständigen Ursprungs sind.
Gesellschaftskrisen, geschlechtlicher und rassistischer Diskriminierung und der kapitaliÂstisch-bürgerlichen Wirtschaftsweise aufgezeigt werden sowie die Grenzen von gesellÂschaftlichen Kämpfen. Nur so kann ein Zusammenhang zwischen dem konkreten AllÂtag der meisten Menschen, konkreten Auseinandersetzungen und dem Verständnis, wie die zu überwindende Gesellschaft grundsätzlich funktioniert (und warum sie abÂgeschafft werden muss), hergestellt werden.
5. Wir wollen praktische Politik aus einer politischen Analyse heraus betreiben
Um es noch einmal zu betonen: Kommunistische Politik muss aus einer politischen Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Situation und der bestehenden Gesellschaft entwickelt werden. Wir wollen nicht einfach jeder Bewegung hinterher rennen, die wir irgendwie sympathisch finden. Wenn wir etwas unterstützen oder mittragen, stellt sich für uns die Frage, welchen Beitrag wir leisten können, was das mit uns als KommunistInnen zu tun hat, und was die Aktion jenseits von verpuffenden kurzfristigen Erfolgen aus kommunistischer Sicht wirklich bewirkt.
6. Was einigt die MitgliederInnen einer kommunistischen Organisierung -
Mit wem wollen wir uns antikapitalistisch organisieren?
Mit Menschen, die
• die gleichen allgemeinen Ansichten über die Entwicklung der Geschichte haben (historiÂscher Materialismus)
• ein grundsätzliches Verständnis von der Funktionsweise der bestehenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung haben
• die Auffassung vertreten, dass eine befreite Gesellschaft nur jenseits der bestehenden geÂsellschaftlichen Verhältnisse durchgesetzt werden kann und hierfür ein revolutionärer Bruch mit dem alten System notwendig ist
• und die Willens sind, aktiv am Aufbau einer kommunistischen Bewegung mitzuwirken, emanzipatorische soziale und politische Kämpfe voranzutreiben, zu unterstützen und zuzuÂspitzen und für eine befreite Gesellschaft zu kämpfen
Ausschlusskriterien:
• Wer Klassenkämpfe und den Kampf gegen patriarchale und rassistische UnterdrückungsÂverhältnisse ablehnt
• Wer die aktuelle kapitalistische Krise auf die Finanzmärkte reduziert und daher ein mangelÂhaftes Verständnis von der Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und vom Zusammenspiel zwischen Produktions- und Finanzsphäre hat.
• Wer den untergegangenen Systemen des Ostblocks hinterhertrauert
• Wer Imperialismus nicht als ökonomischen Analysebegriff, sondern als Schimpfwort gegen kriegerische und aggressive westliche Staaten verwendet
7. Eine kommunistische Organisierung ist keine selbsternannte Avantgarde
Marx schrieb im Kommunistischen Manifest: „Sie (Die Kommunisten) haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. … Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des ProletaÂriats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletariÂschen Bewegung voraus.“
In diesem bekannten Zitat steckt die Idee der politischen Avantgarde. Stalinisten unterschiedliÂcher Coleur haben sich durch bloßen Zwang und Gewalt zur selbsternannten Avantgarde erhoÂben.
Die ursprüngliche Bedeutung der Avantgarde ist jedoch eine positive: KommunistInnen sammeln die Erfahrungen aus unterschiedlichen Kämpfen über einen längeÂren Zeitraum, setzen sich mit Ursachen von Erfolgen und Misserfolgen auseinander, beschäftiÂgen sich mit der Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, seinen Problemen und Widersprüchen. Sie decken die Lügen und Illusionen der bürgerlichen Ideologie, des bürÂgerlichen Staates, des Kapitals und ihrer Vertreter, Parteien und Organisationen auf. Sie analyÂsieren und kritisieren die Funktionsweise bürgerlicher Regime, des Staatsapparates mit all seiÂnen Facetten usw. usf. In diesem Sinne verstehen wir das oben genannte Zitat aus dem ManiÂfest, dass KommunistInnen durch ihre konkrete politische Arbeit zum fortgeschrittensten Teil der Bewegung werden, weil sie aufgrund ihrer Erfahrungen, Kontinuität und inhaltlichen Grundlage ein tiefgreifendes Verständnis von den Zielen und Aufgaben gesellschaftlicher Kämpfe und einer revolutionären Perspektive haben.5
Denn das sind Dinge, die kein Individuum leisten kann, keine Gewerkschaft, keine spontane Interessensvertretung, keine „Bewegung der Empörten“, keine Studierendenvertretung, kein Stadtteilkomitee, kein alternatives Hausprojekt. Hierzu ist eine langfristig angelegte und bewusste Organisierung auf einer klaren inhaltlichen Grundlage mit einer verbindlichen Struktur notwendig.
8. Wie ist das Verhältnis von KommunistInnen zu gesellschaftlichen AuseinandersetzunÂgen und zur Klasse der Lohnabhängigen?
KommunistInnen sind nicht die LehrmeisterInnen, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haÂben und deshalb das dumme Volk aufklären müssten. Ob jemand ein politisches Bewusstsein hat oder nicht ist nicht alleine eine Frage von Intelligenz oder Dummheit. Es gibt bestimmte gesellschaftliche Erfahrungen, die sich nicht einfach ignorieren lassen. Dazu gehört die Erfahrung, dass Menschen in der Regel aus sich selbst heraus nur ein gewerkschaftÂliches Bewusstsein entwickeln, also sich für unmittelbare Verbesserungen einsetzen.
Das hängt damit zusammen, dass aufgrund bürgerlicher Ideologie und Lebensrealität bestimmte VorstelÂlungen innerhalb des Bestehenden als „logisches“ Alltagsbewusstsein erscheinen. Z.B. dass die aktuelle Krise durch Spekulanten oder eine falsche Politik verursacht worden wäre. Denn wer die Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie nicht infrage stellt, kommt schnell in die Versuchung, nach „Schuldigen“ zu suchen.
Dieses Argument ließe sich mit beliebigen BeispieÂlen ausführen, wir belassen es aber dabei.
Die besondere Aufgabe von KommunistInnen als „ExpertInnen“ auf dem Gebiet AntikapitaÂlismus ist es deshalb, kommunistische Positionen von außen in die Kämpfe hinein zutragen (Lenin), um das gesellschaftliche Bewusstsein voranzutreiben. Gleichzeitig sind gesellschaftliÂche Auseinandersetzungen die beste Lehrschule für RevolutionärInnen, weil dort sichtbar wird, wie sich Kapitalismus konkret auf die Lebensbedingungen der Menschen auswirkt, weil dort Diskussionen stattfinden, und Erfahrungen mit den Kämpfenden und Protestierenden ausÂgetauscht werden.
Die Aufgabe der KommunistInnen ist es, diese teils sehr konkreten ErfahÂrungen zu sammeln, zu verallgemeinern und mit dem Hintergrund einer materialistischen AnaÂlyse auszuwerten und daraus praktische wie theoretische Konsequenzen zu ziehen. Indem KommunistInnen ihre Positionen in die Kämpfe hinein tragen und diese inhaltlich und organiÂsatorisch unterstützen und gleichzeitig von den konkreten Erfahrungen der Lohnabhängigen lernen, werden sie gleichzeitig auch Teil der Kämpfe.
Das ist es, was wir als dialektischen AusÂtausch zwischen KommunistInnen und den TeilnehmerInnen an gesellschaftlichen AuseinanÂdersetzungen bezeichnen.
5 Im Rahmen dieses Textes belassen wir es bei dieser kurzen Ausführung.
http://arschhoch.blogsport.de/images/IK_Komm_OrgDebatte_FIN.pdf
http://arschhoch.blogsport.de/2012/01/01/kommunistische-organisierungsdebatte-na-endlich/?mid=56
VON: „INTERNATIONALE KOMMUNISTINNEN"