Abschluss zu Lasten von Azubis und Geringverdienern

02.04.12
SozialesSoziales, Wirtschaft, News 

 

von redglobe

Bei den Tarifverhandlungen für die rund zwei Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen sind Gewerkschaften und Unternehmer in der dritten Verhandlungsrunde in der vergangenen Nacht zu einem Ergebnis gekommen.

Danach sollen die Löhne und Gehälter zum 1. März 2012 um 3,5 Prozent steigen, ab 1. Januar 2013 um 1,4 Prozent und ab 1. August 2013 um weitere 1,4 Prozent.

»Damit haben die Beschäftigten nach zehn Monaten 4,9 Prozent mehr Gehalt und nach 18 Monaten eine dauerhafte tabellenwirksame Gehaltssteigerung um 6,3 Prozent (mit Zinseszins 6,42 Prozent)«,
schreibt die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf ihrer Homepage. »Das ist ein beachtliches Ergebnis, das sich vor allem der großen Entschlossenheit der Streikenden der letzten Wochen verdankt«, behauptet ver.di-Chef Frank Bsirske.

Verlierer der Tarifrunde sind jedoch Azubis und Geringverdiener, die bei den Warnstreiks der vergangenen Wochen besonders aktiv waren. Dem Abschluss zufolge haben die Auszubildenden »bei bedarfsgerechter Ausbildung« einen Anspruch auf unbefristete Anstellung, »wenn sie sich im ersten Jahr nach dem Ausbildungsende bewährt haben«. Die Ausbildungsvergütungen steigen zum 1. März 2012 um 50 Euro und zum 1. August 2013 um weitere 40 Euro. Gefordert hatte ver.di 100 Euro sofort. Bei den Fahrtkosten für Auszubildende zu auswärtigen Berufsschulen übernehmen die Arbeitgeber künftig die Kosten oberhalb eines Eigenanteils.

Eine soziale Komponente konnte ver.di wieder einmal nicht durchsetzen. Die Gewerkschaft hatte gefordert, dass die Gehaltssteigerung mindestens 200 Euro monatlich betragen müsse. Das fehlt im Abkommen völlig, so dass die Schere zwischen oberen und unteren Einkommen weiter aufgeht.

»Die kategorische Weigerung der Arbeitgeber, einem Mindestbetrag zuzustimmen, ist außerordentlich bedauerlich, weil gerade untere Einkommensgruppen durch Preissteigerungen stärker belastet wurden«, räumt Bsirske ein, behauptet jedoch: »Allerdings ist es mit dem Abschluss gelungen, die Reallöhne für 2012 und 2013 nachhaltig zu sichern.« Seiner Rechnung zufolge steigen die Gehälter in der untersten Entgeltgruppe über die Laufzeit um rund 100 Euro. »Eine Erzieherin im fünften Berufsjahr hat dann 154 Euro monatlich mehr.«

Weiter wurde vereinbart, dass die Beschäftigten an Flughäfen mit mindestens fünf Millionen Passagieren 2012 eine Sonderzahlung von 600 Euro erhalten (bei weniger Passagieren: 200 Euro). Verhandlungen über eine Ertragsbeteiligung der Beschäftigten an Flughäfen ab 2013 werden 2012 geführt. Weitere Verbesserungen gab es auch für die Beschäftigten im Bereich der Versorgungsbetriebe (TV-V).

Eingeknickt ist ver.di völlig unnötigerweise auch beim Urlaub. Das Bundesarbeitsgericht hatte die Staffelung der Urlaubszeiten gekippt, weil diese eine Diskriminierung der jüngeren Beschäftigung dargestellt habe. Dadurch hätten alle Anspruch auf 30 Tage Urlaub gehabt. Ab 2013 sollen alle Beschäftigten nun jedoch einheitlich nur 29 Tage Urlaub bekommen, ab 55 Jahre steigt der Anspruch auf 30 Tage. »Wer nach der bisherigen Regelung schon jetzt Anspruch auf 30 Tage Urlaub hatte oder ihn 2012 erlangt, behält diesen Anspruch auch künftig (Besitzstand).«

Die ver.di-Bundestarifkommission hat den Mitgliedern die Annahme des Ergebnisses empfohlen. Die endgültige Entscheidung über die Einigung treffen jetzt die ver.di-Mitglieder in einer Mitgliederbefragung. Die macht sich über Facebook bereits Luft. »So eine Verarschung darf nicht angenommen werden!!!« schreibt einer, ein anderer kündigt an: »Bei der Abstimmung sagen wir NEIN!«

»Der Deutsche nimmt mal wieder in Demut sein Schicksal hin anstatt mal Kante zu zeigen. Wo um alles in der Welt ist der "Arsch in der Hose" geblieben...?«
schreibt ein weiterer Kollege, und ein anderer wählt ebenfalls drastische Worte: »Datt iss wie vor der Toilette stehen und sich in die Hose machen...«

Die Kritik richtet sich auch ausdrücklich an die Gewerkschaftsführung: »Das hohle Gewäsch mit dem Sockelbetrag wird doch nur immer gefordert, damit man die Betroffenen auf die Straße bekommt...« Und eine Kollegin: »Die Arbeitgeber haben es mal wieder geschafft uns über den Tisch zu ziehen.«

http://www.redglobe.de/deutschland/wirtschaft-a-gewerkschaft/5052-abschluss-zu-lasten-von-azubis-und-geringverdienern

Offener Brief zur Tarifrunde 2012 im Öffentlichen Dienst

Lieber Kollege Bsirske, Liebe Kolleginnen und Kollegen in der Großen Tarifkommission, Liebe Kolleginnen und Kollegen im Hauptvorstand,

den vorläufigen Abschluss vom 31. März 2012 lehnen wir ab und werden in der Mitgliederbefragung mit NEIN stimmen. Ohne einen Mindestbetrag, der gerade die niedrigen Einkommen spürbar anhebt, und ohne verbesserte Übernahmeperspektiven für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen, ist ein Abschluss nicht akzeptabel.

Auch eine Absenkung des Urlaubsanspruchs unserer neuen KollegInnen ab 40 können wir nicht hinnehmen, mit der scheibchenweisen Ausdehnung der Arbeitszeit auf unsere Kosten muss endlich Schluss sein!

Eine 24-monatige Laufzeit nimmt uns die Möglichkeit, frühzeitig eine Anpassung unserer Einkommen nach oben durchzusetzen. Obendrein lähmt sie die Aktivität kämpferischer GewerkschafterInnen und damit die von ver.di.

In der aktuellen Tarifrunde 2012 geht es für uns um - eine Umkehr der über Jahre nach unten weisenden Lohnspirale, - eine tatsächliche Umverteilung des erarbeiteten Reichtums statt endloser Bankenrettungen, - einen Mindestbetrag für die unteren Lohngruppen statt Niedriglöhne im Öffentlichen Dienst und - eine geregelte Übernahme nach der Ausbildung statt Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit.

Zur Durchsetzung unserer berechtigten Forderungen haben wir uns auf harte Auseinandersetzungen bis hin zu Erzwingungsstreiks gut vorbereitet. Mit zwei großen Warnstreikwellen haben Zehntausende Kolleginnen und Kollegen aus KiTas, Kliniken, Bauhöfen, Kläranlagen, Verwaltungsstellen etc. ihre Entschlossenheit demonstriert.

Wir haben 23.000 neue Gewerkschaftsmitglieder gewonnen, wir haben die Jugend begeistert und auch Unorganisierte aus den Betrieben zum Warnstreik herausgeholt, wir haben die Bevölkerung von unseren Forderungen überzeugt und euch für die Verhandlungen enorm den Rücken gestärkt.

Die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall gehen nahezu parallel in die Tarifauseinandersetzungen und haben vergleichbare Forderungen. Auch das unterstreicht die Berechtigung unserer Ansprüche an gute Arbeit und ein gutes Leben. Die Gegenseite fürchtet diese unsere gemeinsame Stärke – und sie fürchtet überdies Auswirkungen auf die anstehenden Wahlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ver.di-Funktionäre haben schon seit Wochen auf die Notwendigkeit einer Umkehr in der Lohnentwicklung hingewiesen, und zur Durchsetzung auch Erzwingungsstreiks angekündigt. Die Basis ist darauf vorbereitet – wir wollen und werden mehr durchsetzen als das bisherige Verhandlungsergebnis. Lasst uns gemeinsam mit dieser Tarifrunde ein Zeichen setzen, dass nach 5 Jahren Krise, Reallohnverlusten und Schonung der Vermögen die Zeit für eine sozial gerechtere Verteilung gekommen ist.

Mit unserem NEIN zum vorläufigen Abschluss vom 31. März 2012 verbinden wir die Erwartung an euch, den Ankündigungen auch am Verhandlungstisch gerecht zu werden. Wir sagen JA zu weiteren Verhandlungen, wir werden euch nach besten Kräften auch weiterhin unterstützen, wir sagen JA auch zum Streik, wenn er notwendig werden sollte. Mit kollegialen Grüßen.

 


VON: RED GLOBE






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