Tsipras griff zu seiner Waffe und es war … der Euro!

01.10.12
InternationalesInternationales, Wirtschaft, Krisendebatte 

 

von Jannis Elafros*

Der Auftritt des SYRIZA - Vorsitzenden Alexis Tsipras als Repräsentanten der größten Oppositionspartei am vergangenen Wochenende, dem 15. Sep., in Saloniki, zog die Schlinge um das Profil von SYRIZA als Partei der Bewegung und der Linken auf bedenkliche Weise weiter zu.

Das Streben nach Regierungsverantwortung und das Training in der Rolle des „besser geeigneten Premierministers“ prägten die Rede und die Pressekonferenz von Tsipras auf der internationalen Messe.

Der SYRIZA - Vorsitzende sprach über die Notwendigkeit, die Memoranden - Katastrophe zu stoppen und sandte eine „patriotische und demokratische Aufforderung“ an „alle Griechen, Griechenland wieder aufzubauen.“ Der „Wiederaufbau Griechenlands“ war das Leitmotiv und der Redner betonte so von Anfang an den klassenübergreifenden Gedanken des „produktiven Wiederaufbaus“ des Landes ohne Gewinner und Verlierer, ohne die (bereits in der brutalsten Weise) entgegen gesetzten Interessenskonflikte zwischen den Arbeitenden und dem Kapital zu berücksichtigen. SYRIZA schreibt somit die Idee eines neuen (und gleichzeitig uralten) Gesellschaftsvertrags, natürlich im Rahmen des kapitalistischen Systems, auf seine Fahnen. Auffällig war, dass Tsipras in seiner langen Rede, in der nur minimal von der Notwendigkeit eines sofortigen Gegenangriffs und des erneuten Aufschwungs der Bewegung die Rede war, den Vorschlag von SYRIZA für die nächste Zukunft in den Mittelpunkt rückte. Der Sozialismus, selbst als Begriff, fehlte dabei völlig. Je mehr sich SYRIZA unaufhaltsam in eine „große demokratische Partei der Linken“ verwandelt, desto mehr erinnert er zwar nicht an PASOK (die Geschichte wiederholt sich nur als Farce), aber an die alten und neuen tröstlichen Illusionen über einen Wechsel -oder sei es nur die Überwindung der Memoranden-Politik- ohne Bruch mit dem System und ohne Umsturz.

Aber werfen wir einen genaueren Blick auf einige Bemerkungen von Tsipras in seiner Rede. „In diesen Wahlen haben wir die Gelegenheit verpasst, heute eine Regierung zu haben, die alles, worauf das griechische Volk Anspruch hat, gewinnen könnte, nämlich das, was andere auf der letzten Gipfelkonferenz vom 26.Juni gewonnen haben.“ So etwa der „Ministerpräsident von Italien“, der die „direkte Refinanzierung der Banken ohne Belastung der öffentlichen Schulden“ erreicht hat! Dies war eine der ersten Antworten in der Pressekonferenz und eine Lobpreisung des italienischen Bankier-Premierministers Mario Monti. Eine Vereinbarung, die Italien auf den Golgathaweg der Memoranden führt, wie es im Beschluss der Konferenz klar zum Ausdruck kommt, wird hier als Erfolg präsentiert! Hat Tsipras tatsächlich solche Verhandlungen über den Kreditvertrag im Sinn?

„SYRIZA - EKM (der offizielle Parteiname) steht für wirtschaftliche, soziale und geopolitische Stabilität“ rief Tsipras von der Bühne des ansonsten in tiefrote Farbe getauchten Velidio - Saals aus, und gab damit für alle, die auf Stabilität bedacht sind, eine Garantieerklärung ab. Aber wie will SYRIZA mit dem Schuldenproblem umgehen? „Wir werden für einen ausgehandelten Aufschub (das heißt also, nicht für eine einseitige Aufkündigung) der Zinsenzahlungen der Auslandsschulden sowie die Streichung eines bedeutenden Teils der Schulden und die Bezahlung der verbleibenden Schulden mit einer Klausel auf Wirtschaftswachstum eintreten. Für den Fall der Fortsetzung der Memoranden-Politik wird Griechenland zusammenbrechen und die Kreditgeber werden ihr Geld verlieren!“

In der Pressekonferenz wurde der Vorsitzende noch deutlicher: "Wir sprechen von einem Modell wie in Deutschland 1953. Das bedeutet einen Schuldenschnitt und gleichzeitig ein Moratorium mit einer Klausel für Wirtschaftswachstum. Wir sind keine Leute, die ihre Schulden nicht abbezahlen (mit einem griechischen Ausdruck: Batachtsides)!“ Indem Tsipras Ausdrücke der Kettenhunde der Troika verwendet, erteilt er allen, die die Ablehnung der Schulden, den Zahlungsstopp und die Schuldenstreichung befürworten, eine Absage. Tsipras steht also im Gegensatz zu allen, die die Schulden für tausendfach bezahlt, ungerecht, imperialistisch und für in extremer Weise klassenbestimmt halten. Und es sind sicher nicht wenige, die SYRIZA gewählt haben, für die es aber kein Kriterium war, dass die Kreditgeber nicht ihr Geld verlieren ...

Aber um die Schulden abzubezahlen, muss der Staatshaushalt stabil sein, wie die Troika und die EU lauthals verkünden. Daher auch die blutigen Sparprogramme. Klar, SYRIZA schlägt eine andere Variante vor. Er spricht von einer ... Haushaltskonsolidierung, die natürlich „sozial gerecht und lebensfähig“ sein soll. Dies aber mit dem Ziel, die durchschnittlichen Staatseinnahmen der Eurozone, hinter denen Griechenland 4% hinterherhinkt, zu erreichen, offenbar mit Steuererhöhungen, für die aber keine weiteren Informationen gegeben werden. Die Akzeptierung der Bedingungen und Kriterien neoliberalen Zuschnitts, wie sie der Wirtschaftsstab des SYN (der führenden linksreformistischen Partei der SYRIZA - Allianz) vorgeschlagen hat, führt aber in Richtung der System - Verwaltung.

Aber wie sind die Ersetzung des Memorandums und das Schulden - Moratorium zu bewerkstelligen? Hier hat Tsipras nicht nur darauf verzichtet, die Stärke der Volksbewegung oder die Möglichkeit des Zahlungsstopps ins Spiel zu bringen, sondern hat den Arbeitenden sogar vorgeschlagen, homöopathische Methoden anzuwenden. Der Euro und die EU haben sich in der Praxis nicht nur als hervorragenden Waffen für die Attacken des griechischen Kapitals, sondern auch als zentrale Instrumente der europaweiten Degradierung der Arbeiter/innen erwiesen. Trotzdem argumentierte Tsipras, dass Griechenland durch die Teilnahme in der Eurozone über „ein mächtiges Druckmittel in den Verhandlungen“ verfügt! Er fügte hinzu: „Wenn Griechenland nicht den Euro hätte, wäre das Land viel früher, als wir denken, seinem Schicksal überlassen worden. So wie es der Internationale Währungsfond mit Argentinien gemacht hat und somit wären gewisse Leute, die Vorgänger von Herrn Samaras, per Hubschrauber geflohen.“ Gerade weil Griechenland, unter anderem über die einheitliche Währung, viel stärker an den Wagen der kapitalistischen Integration gekettet ist, gibt das europäische Kapital nicht nach und ist entschlossen, im Bündnis mit der griechischen Bourgeoisie seine Optionen durchzusetzen. Sollen wir uns darüber freuen oder besteht die Notwendigkeit der antikapitalistischen Abkoppelung von der EU?

Aber Tsipras hat keine derartige Bedenken: „Die Rolle von SYRIZA besteht heute nicht darin, den europäischen Zusammenhalt aufzulösen. SYRIZA sollte dazu beitragen, den verschlungenen Pfad der europäischen Einigung, der bisher von den herrschenden Interessen bestimmt war, zu korrigieren.“ Die Euro - Loyalität und eine demonstrativ „verantwortungsvolle“ Haltung führten auch zu einem Treffen mit dem Chef der Task Force, Horst Reichenbach. Dabei versicherte die SYRIZA - Delegation „ihre Absicht, ständige Kontakte mit den EU-Institutionen zu unterhalten“, ganz im Gegensatz zur bisher gegenüber der Troika eingenommenen Position. Die „Regierungsbereitschaft“ erfordert gewisse Opfer ...

Was besonders ins Auge fällt, ist die vollständige Abwesenheit von gegen das Großkapital gerichteten Thesen, was alle sozialen und ökonomischen Fronten des Landes betrifft. Anstatt die Nationalisierung der Großunternehmen von strategischer Bedeutung und die Annullierung der bisherigen Privatisierungen zu fordern und anstatt die unersättliche Gier des Kapitals auf allen Ebenen ins Visier zu nehmen, sprach der SYRIZA - Vorsitzende von einer „koordinierten Entwicklung der öffentlichen, privaten und sozialen Sektoren der Wirtschaft!“


Auffällig war einmal mehr das Fehlen jeglicher Bezugnahme auf die Frage der NATO-Basen, vermutlich zugunsten der versprochenen Stabilität. Zum bevorstehenden Treffen mit Peres sagte Tsipras, er stimme der strategischen und militärischen Zusammenarbeit mit Israel nicht zu, dagegen erwähnte er Handel und gegenseitig vorteilhafte Beziehungen. Allerdings charakterisierte er als „Pilot-Modell“, was Zypern und sein Regierungschef Christofias in Bezug auf den Kohlenwasserstoff gemacht haben, auch wenn Zypern eine strategische Allianz mit dem Terroristen-Staat abgeschlossen hat ...

In einem solchen Klima ist es kein Zufall, wie Tsipras auf die Frage, was SYRIZA für die Entwicklung der Bewegung tut, antwortete. Er meinte, dass „keine Partei auf Tasten drückt“, um Menschen auf die Straßen zu bekommen, und beeilte sich hinzuzufügen: „Vergessen Sie nicht, dass wir drei Gesetzesvorschläge eingebracht haben, die Regierung mit Müh und Not nur zwei!“ (3 zu 2 auswärts also).

Die Intervention von Tsipras auf der internationalen Messe hat allerdings kontroverse Reaktionen innerhalb von SYRIZA ausgelöst. DEA (eine halb-trotzkistische Organisation) bemerkt in einer Stellungnahme des ZK, dass es eine zentrale Aufgabe von SYRIZA ist, die Aktionseinheit der Linken für die Abwehr der Kapitaloffensive zu fördern. Ebenso, so DEA, bilden „die Losung: kein Opfer für den Euro“ und die Aussage „der Euro ist kein Tabu“ die „minimale Verständigungsbasis für die Einheit von SYRIZA.“

Das Problem von SYRIZA liegt natürlich tiefer. Die Führung hat sich für einen friedliche Übernahme der Regierungsmacht -durch das zu erwartende Abwirtschaften der Dreiparteien-Koalition- entschieden. Ihr ist nicht bewusst, dass die kommende Verschärfung des Klassenkampfs die Arbeitenden und die gesamte Linke mit beispiellosen Herausforderungen, Chancen und Risiken konfrontiert. Gleichzeitig widerlegt die Entwicklung der Krise in der Eurozone und der EU unbarmherzig nicht nur die Illusionen der euro-reformistischen Linken in einen Kurswechsel - man sehe nur, wie schnell sich Hollande in „Olandreou“ verwandelt hat. Sie führt auch dazu, dass die vermeintlich lebensrettenden Vorschläge, wie der EZB als letzter Zufluchtsort, die Eurobonds, Euro-Einlagen etc., bedeutungslos werden und sich in eine reaktionäre Logik der weiteren Konsolidierung der EU zulasten der Völker Europas einordnen.

Es liegt letztlich an der Tiefe der historischen Krise des totalitären Kapitalismus unserer Zeit, dass es keinen Raum für einen auf Konsens beruhenden Gesellschaftsvertrag und eine entsprechende sozialdemokratische Linke gibt. Das Dilemma „Sozialismus oder Barbarei“, Linke des Umsturzes oder der Integration, prägt unsere Zeit. Alle Kämpferinnen und Kämpfer müssen hier eine eindeutige Position beziehen.

 *Der Artikel ist eine Übersetzung aus PRIN, der Wochenzeitung von NAR, vom 23.9.2012. NAR ist eine der an ANTARSYA beteiligten Organisationen.
Übersetzung: A. Kloke)

 

 

 


VON: JANNIS ELAFROS






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