Neuerscheinungen Kunst und Kreativität

19.03.23
KulturKultur, TopNews 

 

Buchtipps von Michael Lausberg

Buch 1

Bruegel und seine Zeit, Hirmer, München 2023, ISBN: 978-3-7774-4042-2, 45 EURO (D)

Sensible Helldunkelzeichnungen, kritische Moralsatiren, Porträts, oder weite Landschaften – kaum eine Epoche der europäischen Geschichte sah eine so erstaunliche Vielfalt der Zeichenkunst wie die Niederlande des 16. Jahrhunderts. Mit größter technischer Virtuosität und außerordentlichem Erfindungsreichtum schufen die Künstler der Zeit Bilder einer sich radikal verändernden Lebenswelt.

Die Ausstellung der Wiener ALBERTINA vom 15. Februar bis 24. Mai 2023 präsentiert eine Auswahl von rund 90 Werken aus eigenem Bestand, die diese unvergleichliche Blüte der Zeichnung veranschaulicht. Neben berühmten Meisterwerken Pieter Bruegels des Älteren und anderer Künstler wie Jan de Beer, Maarten van Heemskerck oder Hendrick Goltzius werden auch Blätter gezeigt, die nach erstmaliger Bearbeitung nun einer größeren Öffentlichkeit präsentiert werden können.

Das Buch beginnt mit einem Geleitwort von Jan Jambon, Ministerpräsident von Flandern, und einem Vorwort von Klaus Albrecht Schröder, dem Generaldirektor der Albertina zu ihrer niederländischen Zeichensammlung und der Ausstellung.

Die Werke im Katalog sind entlang verschiedener ikonografischen, funktionaler, medialer und chronologischer Aspekte gruppiert. Sie sind von Essays zu verschiedenen Schwerpunktthemen umgeben.

Im ersten Essay beschäftigt sich Laura Ritter mit der Zeichenkunst im Zeitalter Pieter Bruegels dem Älteren. Schwerpunkte sind dabei künstlerische Innovationen, Wirtschaft, Politik Kultur, das aufstrebende Bürgertum, Kunstmarkt, Kunstproduktion, Techniken wie Federkunststücken und Bedeutungsdimensionen.

Danach geht es um die Künstlerwerkstätten in Antwerpen und Zeichnungen auf farbig grundiertem Papier, Hell-Dunkel-Zeichnungen und das Sammeln von Zeichnungen.

Die Entwicklung der Zeichnungen in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts ist eng mit den besonderen sozialen, religiösen und politischen Bedingungen der dortigen Städte verwoben. Dieses Phänomen der „urbanen Ikonografie“ steht dann im Vordergrund. Der Rückgriff auf Hieronymus Bosch und seine Bildfindungen und seine Hintergründe wie Ästhetik und die Verhandlung moralischer Fragen im aufstrebenden Bürgertum werden danach behandelt. Weiterhin geht es um den Zusammenhang zwischen Zeichenkunst und den religiösen Diskurs über Kunst und Bild im 16. Jahrhundert. Zuletzt wird das Bild von Hans Bot Amsterdam, vom Norden gesehen und die Ergebnisse der jüngst angefertigten materialtechnologischen Untersuchungen vorgestellt.

Im Anhang gibt es eine Werkliste, eine umfangreiche Bibliografie und den Bildnachweis.

Hier werden ausgewählte Exponate der Ausstellung gezeigt und einige davon intensiver exemplarisch vorgestellt. Es ist eine opulente Zusammenstellung von Beiträgen, die viel Hintergrundwissen offenbaren. Leider gibt es weniger historische Karten zum Beispiel von den spanischen Niederlanden oder die europäischen Handelswege mit dem Zentrum Antwerpen. Dennoch gibt es in Grundzügen das Rüstzeug für die Erschließung von historischen und kunsthistorischen Zusammenhängen, die wichtig zum Verständnis der Werke sind.


Buch 2

Jessica Wynne: Bitte nicht wegwischen. Die Schönheit mathematischer Tafelbilder, Antje Kunstmann, München 2023, ISBN: 978-3-95614-516-2, 40 EURO (D)

Dies ist ein Bildband über eine ungewöhnlicher Betrachtungsweise von Mathematik im Zusammenhang mit Kunst.

Die Autorin Jessica Wynne wuchs auf dem Campus einer Internatsschule auf, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit in Klassenräumen, wo damals noch mit Kreide Gleichungen an die Tafel gemalt wurden. Sie entdeckte ihre Leidenschaft, Tafelbilder von Mathematikern zu dokumentieren schon früh, als Fotografin setzte sie dies mit Abzügen von Kreidetafeln fort. Sie begann in ihrer Heimatstadt New York, reiste aber in andere US-Städte und sogar nach Rio de Janeiro oder Paris extra zu bekannten Mathematikern oder Forschern.

Das Buch präsentiert nach einer längeren Einleitung der Autorin auf mehr als hundert Doppelseiten eine Auswahl dieser Bilder, die jeweils einem kurzen Kommentar des Schöpfers des jeweiligen Tafelbildes gegenübergestellt sind. Die Fotografien werden also von Essays der einzelnen Mathematiker begleitet, die ihre Arbeit und Prozesse reflektieren, flankiert. Dazu gibt es noch eine Kurzbiografie des Schöpfers des Tafelbildes.

Ihr kommt es nicht primär auf den Inhalt an, sondern auf die Ausdrucksform und kreative Ausgestaltung der Mathematiker. Sie denkt über Mustern in Bildern, aber auch in Prozessen nach: „Darüber, wie Mathematiker und Künstlerinnen die Welt sehen. Es gibt ähnliche Muster, nicht nur in der Art und Weise, wie wir sehen, sondern auch wie wir denken, wie wir arbeiten und wie wir erschaffen.“ (S. XI)

Die Darstellungen stammen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Mathematik. Manche sind komplizierte Beweisführungen wichtiger Theoreme, einige sollen lediglich zur Veranschaulichung und Visualisierung dienen. Ausdrucksformen und Skizzen von Lehrenden, um Zusammenhänge zu beschreiben und fassbar zu machen, gibt es ebenfalls.

Gemeinsam ist allen, dass die Kreidetafel als schnell korrigierbares und anschauliches Medium für mathematischen Ausdruck dient.

Die hier vorgestellten Mathematiker kommen aus unterschiedlichen Schwerpunktbereichen aus der ganzen Welt. Es sind Koryphäen in der Wissenschaft, aber auch Forscher einer neuen Generation, die noch mit Kreidetafeln arbeitet.

Am Ende findet sich noch ein Nachwort des New Yorker Schriftstellers Alec Wilkinson zum Thema.

Im Anhang gibt es noch ein Namensregister der vorgestellten Mathematiker.

Ein verblüffendes Thema, das die Autorin sich sowohl zum Hobby als auch zur tieferen Analyse gemacht hat. Diese ungewöhnliche Verbindung der eigentlich gegensätzlichen Polen höherer Mathematik mit ihrer Ergebnisorientierung und kühler Rationalität und Kunst bzw. schöpferischen, kreativen Prozessen macht den Reiz des Bandes aus. Auch wenn es für normaler Leser mitunter etwas zu abstrakt wird, ist es spannend, den verschiedenen Mathematiker bei ihren Reflexionen zum Thema Tafelbild zu folgen.


Buch 3

Thomas von Steinacker: Stockhausen – Der Mann, der von Sirius kam. Die Biografie über einen Pionier der elektronischen Musik, Carlsen, Hamburg 2022, ISBN: 978-3-551-71366-5, 44 EURO (D)

Dies ist die Biografie von Karlheinz Stockhausen (1928-2007), ein fast vergessener Pionier der elektronischen Musik, der Vorbild für die Beatles, Miles Davis oder auch Kraftwerk war.

Stockhausen hatte bereits 1952 in Paris im Studio eine konkrete Tonbandkomposition (Etude) hergestellt. Sie basierte auf Klaviersaitenklängen, die aber durch Geschwindigkeitsmanipulationen und Zerschneiden der Bänder in kleine und kleinste Stücke fast völlig unkenntlich gemacht wurden. Im Kölner Studio für Elektronische Musik begann er mit weiteren Arbeiten. Die dort entstandenen beiden Studien für Elektronische Musik stellten für Stockhausen das Erreichen des Anfanges einer neuen Musikwelt dar, in der die Interpreten eliminiert und alle musikalischen Parameter unter der Kontrolle des Komponisten waren.

Stockhausen hielt das Werk zurück, da es eigentlich nicht seiner damaligen Grundüberzeugung entsprach, vorhandenes Klangmaterial nicht zu verwenden und es zwischenzeitlich in seinem Klangarchiv verschollen war. Erst Jahrzehnte später präsentierte er das Werk der Öffentlichkeit.

Der Autor Thomas von Steinaecker hat Stockhausen schon als Kind verehrt. Im Alter von zwölf Jahren lernte er den Musiker kennen – es entstand eine Freundschaft daraus. Jetzt er lange nach einem Genre gesucht und gemeinsam mit David von Bassewitz einen Comic zu Stockhausen gemacht. Dies ist der erste Band, es sollen wohl noch weitere folgen.Als Aufhänger dient dabei das exzentrische Wesen von Stockhausen, der den Krieg vergessen will und behauptet, er komme vom Sirius.

Nicht nur die Form und der Ausdruck ist außergewöhnlich. Ein Comic über einen fast vergessenen Musiker ist schon innovativ, aber von Steinaecker geht noch einen Schritt weiter. Er integriert sich selbst in die Geschichte und schildert seine Verehrung für die Musik von Stockhausen darin und seine Begegnung mit dem Komponisten.

Wie schon der Titel suggeriert, wird Stockhausen als musikalisches Genie und exzentrischer Geist, der nichts weiter als eine musikalische Revolution probt, charakterisiert. Stockhausens Mut für Neues und sein Pioniergeist werden zeichnerisch gut rüber gebracht, allerdings ohne die große künstlerische Note.

Der Ansatz, einen sehr persönlichen Zugang zu wählen und sich so als Subjekt einzubringen, ist auf den ersten Blick neu-irritierend, aber sorgt insgesamt für eine starke Identifikation der Leser*innen. Der Autor und der Zeichner setzen so Stockhausens Arbeit und seinem Genie ein Denkmal und holen ihn aus der Vergessenheit. Wie er als Mensch war, bleibt dabei (bisher)etwas im Hintergrund.

 

Buch 4

Jürgen Seibold: It’s My Life. Jon Bon Jovi. Biografie, Neues Leben, Berlin 2022, ISBN: 978-3-355-01910-1, 22 EURO (D)

Jürgen Seibold, der 1991 seine erste Biografie über den Musiker und Menschen Jon Bon Jovi geschrieben hat, hat nun zum 60. Geburtstag eine aktuellere verfasst.

Die Biografie ist chronologisch aufgebaut. Er wächst als Sohn von sizilianischen Einwanderern in einem normalen Elternhaus in New Jersey auf. Seine Leidenschaft für Musik begann sehr früh, es war für ihn der Traum als Musiker erfolgreich zu sein. Dem ordnete er alles unter, er brachte sich vieles selbst bei und hatte nicht selten mehr als 12 Stunden-Tage. Also nicht viel von der Rock’n-Roll-Romantik.

Nachdem er einige Bands durchlaufen hatte, stellte sich der Erfolg ein. Dies entwickelte sich kontinuierlich weiter, nach den ersten erfolgreichen Hits ging ist im Verlauf der Jahrzehnte immer mehr steil nach oben. Die Krönung war wohl die Aufnahme die Rock and Roll Hall of Fame.

Dies war alles möglich, weil der familiäre Hintergrund mitspielte: Schon früh heiratete er seine Jugendliebe Dorothea und ist mit ihr immer noch zusammen. Sie und ihre vier Kinder fehlten dem Familienmenschen auf Tourneen doch sehr. Er versucht, normal erscheinende Sachen wertzuschätzen und achtsam sein Leben zu genießen.

Neben der Musik wagte er sich auf das Terrain des Schauspielers. Er spielte in zahlreichen Filmen und Serien mit, es war aber nur eine Abwechslung von seiner großen Liebe, der Musik und dem Auftritt bei Konzerten.

Neben politischen Stellungnahmen engagierte sich der Musiker für verschiedene karitative Projekte. 2006 gründete er die Jon Bon Jovi Soul Foundation. Durch das vielseitige Arrangieren von diversen Programmen und Partnerschaften unterstützt die Einrichtung mittellose Familien und Individuen, die größtenteils der Obdachlosigkeit zum Opfer gefallen sind. Am 19. Oktober 2011 eröffnete Jon Bon Jovi schließlich die JBJ Soul Kitchen, die den Gästen die freie Auswahl darin gibt, ob und wie viel sie für ihre Speisen bezahlen wollen.


In der Buchmitte gibt es eine kleine Strecke mit Farbbildern.

Ergänzt wird die Biografie mit, einer Diskografie der Band Bon Jovi, sowie der Solokarriere von Jon und der Filmografie mit allen Auftritten in Film und Fernsehen von Jon Bon Jovi.

In dieser Biografie steht mehr der Mensch als der Erfolgsmusiker im Vordergrund. Es werden zwar alle Facetten des Künstlers Jon Bon Jovi und Stufen seines Erfolges - ob solo oder mit Band – mit einigen wenigen Anekdoten und Hintergründen vorgestellt. Im Mittelpunkt steht aber die wohltuende Bodenständigkeit des Menschen, der im Vergleich zu anderen Künstlern ein harmonisches Familienleben besitzt, fast ohne Skandale auskommt und soziales Engagement zeigt. Quasi ein Anti-Held im Rockmusik-Showbusiness.








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