Buchtipps von Michael Lausberg
Buch 1
Sebastian Fitzek: Der Heimweg. Psychothriller, Droemer Verlag, München 2020, ISBN: 978-3-426-28155-0, 22,99 EURO (D)
Dies ist der neue Psychothriller des Erfolgsautors Sebastian Fitzek. Schon der Prolog gibt ein Vorspiel auf die in diesem Thriller vorkommenden Szenen der Gewalt, Demütigung und psychische Extremsituationen.
Jules Tannberg hat Dienst am Begleittelefon, einem Service für Frauen, die nachts auf dem Heimweg Angst bekommen und Hilfe und Unterstützung brauchen. Dort meldet sich Klara, die von einem Psychopathen verfolgt wird, wie sie angibt. Vor einiger Zeit wurde ein Datum mit Blut auf ihre Schlafzimmerwand gemalt, das heutige. Unter Todesangst stehend bittet sie Jules um Hilfe. Je länger das Gespräch dauert, umso mehr verstricken sich beide Parteien in Halbwahrheiten und Lügen. Die Gespräche werden an verschiedenen Aufenthaltsorten fortgesetzt und schon nimmt die Geschichte Fahrt auf.
Vieles, was gesprochen wird, bleibt unklar und nebulös. Rückblicke in vergangene Ereignisse helfen dabei nur bedingt weiter. Ein von Fitzek bewusst eingesetztes Mittel, um die Spannung zu steigern.
Der Psychothriller wird vorwiegend aus der personellen Sicht von Jules und Klara erzählt. Die Erzählperspektiven wechseln dabei, dabei werden die beiden Charaktere gut sichtbar vorgestellt. Man bekommt einen Einblick in die Gefühle der beiden Protagonisten und erlebt deren Weiterentwicklung im Laufe der tragischen Ereignisse.
Es gibt viele überraschende Wendungen, ständig rücken neue Szenen und Konstellationen in den Mittelpunkt. Geschickt werden ungelöste Fragen eingestreut ebenso Szenen, die erstmal keinen Sinn ergeben und verwirren. Im Lauf der Lektüre löst Fitzek dies auf und es erscheinen Zusammenhänge, durch die alles eine Erklärung findet.
Einiges an dem Psychothriller ist schwer verdauliche Kost, detaillierte Szenen der Gewaltdarstellung werden dort geschildert. Muss dies so sein? Einerseits gibt dies einen authentischen Einblick, die wirklich so passieren, anderseits kann das auch ein Mittel sein, um Schockwirkungen beim Leser künstlich zu erzeugen. So spannend er geschrieben ist, Leser müssen sich auch auf besonders grausame Szenen einstellen.
Buch 2
Manuel Andrack: Mein Jahr als Narr. Dem Geheimnis von Karneval, Fasching, Fastnacht auf der Spur, dtv, München 2020, ISBN: 978-3-423-26276-7, 18 EURO (D)
In eine Art Selbstversuch bereist Manuel Andrich verschiedene Gegenden und Orte der BRD, der Schweiz, Österreich, Belgien und Italien, um dem Geheimnis von Karneval, Fasching und Fastnacht auf die Spur zu kommen. Das Ergebnis ist dieses Buch.
Die enge Verbindung mit dem Katholizismus und der Fastenzeit wird ebenso wie historische Traditionen erklärt. Den Abschnitt über psychologische Erklärungsversuche des närrischen Treibens muss man nicht lesen.
Das rheinische Phänomen in Köln, Düsseldorf und Mainz nimmt eine besondere Stellung ein. In der Zeit vor dem 11.11. besucht er diverse Vorbereitungen, lässt sich von Maskenkünstlern in ihre Geheimnisse einweihen und besucht auch das Mainzer Fastnachtsmuseum.
Er nimmt beim traditionellen Hoppeditz-Erwachen in Düsseldorf teil oder beim Orden wider den tierischen Ernst in Aachen. Dort spielt ein Kabarettist traditionell die Rolle von Kaiser Karl den Großen, die Promidichte ist groß und wo Politiker selbst in die Bütt gehen. Fasching im österreichischen Villach, die Hintergründe von Lei Lei und das Klagenfurt-Bashing werden auch präsentiert. Und er führt aus, warum in Ostbelgien mitten in der Fastenzeit gefeiert wird.
Die Basler Fasnacht unterscheidet sich vom rheinischen Karneval. Es gibt eine strikte Trennung zwischen Aktiven und Zuschauern und sie findet zum „Bauernfasnachtstermin“ statt. Sie beginnt am Montag nach Aschermittwoch um 4 Uhr morgens mit dem Morgestraich, dauert exakt 72 Stunden und endet also am Donnerstagmorgen wiederum um 4 Uhr mit dem Ändstraich. Zur Frage, wann und wieso sich in Basel dieser durchgesetzt hat, gibt es bis heute keine überzeugende Erklärung.
Der Morgestraich am Montagmorgen um 4 Uhr ist der Auftakt der Fasnacht. Zu diesem Zeitpunkt wird die Innenstadt praktisch vollständig verdunkelt und die Basler Stadtwerke schalten die Straßenbeleuchtung aus. Das einzige Licht kommt von den Laternen der Aktivisten, die darauf ihre Sujets präsentieren. Eine Zuglaterne wird getragen oder auf einem Wagen gezogen zudem eine Kopflaterne. Es gehört zum guten Ton, dass ein Fasnächtler sich nicht in der Öffentlichkeit erkennen lässt. Die Aktivisten tragen Masken und gehen als Harlekine, Alte Tanten oder Waggis-Larven.
Die Rottweiler Fasnet startet zuschauerunfreundlich bereits gegen 8.00 morgens, es herrscht ein strenger Narrenkodex, die Figuren Gschell und Biss und das Aufsagen der Rottweiler Fasnet, deren Ursprünge im Mittelalter liegen. In Merzig im Saarland darf Andrack sogar bei einer Sitzung als Büttenredner auftreten, ohne durchschlagenden Erfolg. Er besucht natürlich auch Venedig und gibt dort Einblicke in die historischen Wurzeln, Bräuche und Besonderheiten.
Der Höhepunkt ist allerdings der Rosenmontagszug in Köln, wo er selbst im Traditionscorps Rote Funken mitgehen darf.
So ganz kann er das Phänomen für Außenstehende nicht erklären, was aber nicht schlimm ist. Er beschreibt an den verschiedensten Orten, was die Faszination für Karneval, Fasching oder wie es sonst genannt wird, ausmacht und bringt die unterschiedlichsten Traditionen ganz gut rüber. Schade, dass der brasilianische Karneval außen vor bleibt. Dass er sich als gebürtiger Kölner nach Düsseldorf getraut hat, nötigt schon Respekt ab.
Buch 3
Peter Dausend/Horand Knaup: „Alleiner kannst du gar nicht sein.“ Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Angst und Sucht, dtv, München 2020, ISBN: 978-3-423-26249-9, 22 EURO (D)
Peter Dausend und Horand Knaup stellen in diesem Buch die dunklen Seiten des Lebens in Berlin der Mitglieder des Deutschen Bundestages vor.
Vor allem durch den Einfluss von „Social Media“ gibt es Angriffspunkte für persönliche Attacken, Beschimpfungen, Drohungen oder Diskriminierungen. Vor allem von rechten Hassmails und Morddrohungen, die in letzter Zeit zugenommen haben, wird berichtet. Die Fälle, die Cem Özdemir und Claudia Roth öffentlich gemacht haben, scheinen nicht selten vorzukommen. Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag wurde der Ton schärfer, die Sitten rauer und die Diskussionskultur immer konfliktreicher.
Interessant ist, dass die eigene Fraktion nicht als verschworene Gemeinschaft auftritt, sondern es dort massive Kämpfe um Posten, Richtungsentscheidungen und persönliche Eitelkeiten bis hin zu Mobbing in der eigenen Partei. Fraktionszwang wird bei wichtigen Entscheidungen erwartet. Existierende Freundschaften zerbrechen oft an diesen Gegebenheiten. Die Folge ist, dass sich manche Abgeordnete außerhalb ihres Wahlkreises und einer vertrauten Umgebung oft einsam fühlen.
Ein fast nicht zu bewältigendes Problem sei, die Erwartungen der Wähler und der eigenen Basis im Wahlkreis mit denen der Fraktion im Bundestag zu vereinbaren. Auch der eigene Perfektionismus und Karrierewunsch löst oft Frust, Selbstzweifel oder Ängste aus.
Das Buch schildert die Schattenseiten der großen Politik. Es gibt stark zu denken, dass das politische Klima durch den Einzug der AfD vergiftet wird: Ein Klima der Angst ist dort geplant und erwünscht.
Dies ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt, bei weiten sind nicht alle Abgeordneten abgebildet, noch kann man daraus charakteristische und typische Aussagen ableiten. Die zahlreichen Privilegien, das gut bezahlte Mandat mit Altersansprüchen, vielen Nebeneinkünften, im Zentrum der politischen Macht stehend sollten auch mitberücksichtigt werden. Bei anderen Spitzenpositionen in der Wirtschaft und der Gesellschaft werden viele der hier Schattenseiten wie Ellenbogenmentalität, Druck und Anfeindungen geben. Von den Anfeindungen an kommunaler Vertreter ganz zu schweigen, was im Mord an Lübke seinen vorläufigen Höhepunkt fand.
Buch 4
Burghard Schlicht: Im Augenblick der Freiheit. Roman, Olga Grueber Verlag, Frankfurt/Main 2020, ISBN: 978-3-000-65307-0, 26 EURO (D)
Kurz nach dem Anschlag auf die beiden Türme des Word Trade Centers am 11. September 2001 kommt die junge Amerikanerin Rebecca auf der Suche nach ihrer Mutter und ihren Wurzeln nach München. Sie weiß nur, dass ihre Mutter Mutter Jenny Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre Mitglied einer Filmkommune und im Zuge der 68er Protestbewegung neue Lebensformen ausprobierte und ein Aussteigerleben führte. Dort wird sie durch Gottfried schließlich in die damalige Szene und deren Geschichten und Lebensumstände eingeführt. So lernt sie die spannendsten Protagonisten von damals wie den Regisseur den Großen Kantlehner. „Belmondo von Milbertshofen, den Ausstatter Carlchen oder Franz Regler mit allen ihren Vorzügen, Eitelkeiten und Nachteilen kennen. Und sie erfährt mehr über eine längst vergangene Zeit, wo selbst im konservativen München alles möglich schien, Gesellschaftskritik en vogue war und die Filmbranche etwas freier als andere Branchen schien.
Schlicht kennt sich in der Filmbranche bestens aus, er war mal ein Teil von ihr und arbeitete mit Rainer Werner Fassbinder zusammen, bevor er sich mehr der schreibenden Zunft widmete. Dies merkt man nicht nur an den detaillierten Beschreibungen der Dreharbeiten, sondern auch an seine Auseinandersetzung mit dem Neuen Deutschen Film der BRD der 1960er und 1970er Jahre. Dies diente ihm wohl als Vorlage für diesen Roman.
Der Neue Deutsche Film wurde von der französischen „Nouvelle Vague“ und der 68er-Protestbewegung beeinflusst. Prägende Regisseure waren Alexander Kluge, Hansjürgen Pohland, Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Hans-Jürgen Syberberg, und Rainer Werner Fassbinder. Diese antiautoritären linken Filmemacher stellten Gesellschafts- und politische Kritik in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, auch in Abgrenzung zu reinen Unterhaltungsfilmen. Als Autorenfilme wurden diese Produktionen in der Regel unabhängig von großen Filmstudios realisiert, die die Kulturszene enorm beeinflussten und für manchen Skandal sorgten.
Hier wird aber nicht nur eine Rückblende in eine revolutionäre Zeit des deutschen Films mitsamt seiner Protagonisten und allen ihren Widersprüchen, die von einer besseren, freieren Welt träumen, transportiert. Es geht sich auch um die Suche einer jungen Frau nach ihren eigenen Wurzeln, und die Aufarbeitung der Vergangenheit, die schließlich zu einer Veränderung in der Gegenwart führt. Dieses Spiel mit den Zeitebenen und das Beschreiben eines breiten Panoramas gelingen Schlicht ebenso wie Charakterstudien. Auch die Liebe und die Frage nach Glück kommen nicht zu kurz.
Buch 5
Christopher Paolini: Infinitum – Die Ewigkeit der Sterne, Droemer, München 2020, ISBN: 978-3-426-22736-7, 24 EURO (D)
Mit der Serie um den Drachenreiter Eragon schrieb Christopher Paolini eine Reihe von Bestsellern, die weltweit 35 Millionen Mal verkauft wurden. In seinem sehr umfangreichen neuen Sci-Fi-Epos die Leser auf eine Reise durch Raum und Zeit. In der Zukunftsvision von Paolini haben die Menschen das Weltall besiedelt und müssen sich nun vor der Eroberung durch fremde Spezies verteidigen.
Xenobiologin Kira Navarez wird damit beauftragt, Planeten auf eine mögliche Besiedelung und Umgebung her zu überprüfen. An Bord der 'Wallfish' sind Captain Falconi, das Schiffsgehirn Gregorovich, Bordschwein Göffel und Kater Mr. Fuzzypants die weiteren Protagonisten. Dabei entdeckt in der Höhle Anzeichen von außerirdischen Leben. Ihre Entdeckung und ihr Forschungsdrang bilden den Ausgangspunkt für die eigentliche Geschichte: Dabei geht es quer durch das Weltall auf eine gefährliche Mission, wo das Team Planeten, Monde, fremde Spezies, Raumstationen und galaktischen Raumschiffen vorfindet. ihre Entdeckung hat allerdings weitreichende Konsequenzen. Mehr möchte ich an dieser Stelle eigentlich gar nicht verraten. Es wird vom Autor eine neue Welt geschaffen: in Fractalverse sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. In der weiteren Handlung kristallisieren sich langsam Gut und Böse heraus, gefährlich wird es für die Crew natürlich auch.
Die komplexe Welt von „Fractalverse“ wird sichtbar anhand von zahlreichen Karten und Abbildungen im Buch. Außerdem findet sich am Ende ein umfangreicher Glossar, wo wissenschaftliche Begriffe erklärt werden.
Die Charaktere der Handlung sind manchmal komplex, manchmal auch skurril. Die Handlung selbst baut Spannung auf, ist aber immer verständlich zu lesen. Der Autor beschreibt auch viele Details, was bisweilen zu viel ist und den Handlungsfluss eher hinderlich ist.
Er scheint auch über viel Fachwissen zu verfügen, ansonsten könnte er die Abenteuer durch die unendlichen Weiten des Weltalls und Planeten nicht so wiedergeben.
Der Vorteil an dem Epos ist, dass Paolinis Erzählstil die fremden Welten, Galaxien oder Raumschiffe sehr gut in die Vorstellungskraft des Lesers transportieren kann. Paolini kreiert phantastische Welten, die ein tiefes Hineintauchen und ein intensives Leseerlebnis ermöglichen.
Buch 6
Hamed Abdel-Samad: Aus Liebe zu Deutschland. Ein Warnruf, dtv, München 2020, ISBN: 978-3-423-28247-5, 20 EURO (D)
Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft in Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur in München, er war Mitglied der Deutschen Islam Konferenz. Seine Werke über Integration und Islamismus lösten in der jüngeren Vergangenheit Kontroversen aus.
In diesem Buch geht es im Kern um folgendes: Ich habe diesem Buch den Titel ‚Aus Liebe zu Deutschland gegeben. Aus Dankbarkeit für die Freiheit, die ich hier genießen darf, aber auch aus Sorge um den inneren Frieden und die Errungenschaften dieses Landes, die wir nicht leichtfertig verspielen sollten.“ Er macht eine „starke Polarisierung“ aus, die „unsere Gesellschaft spaltet und lähmt.“ Freiheit und Demokratie seien in Gefahr: „Wir müssen uns fragen, welche Werte für uns noch unverrückbar sind und wie wir mit dem gewachsenen Einfluss des Islamisten umgehen? Und wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie es zu dem starken Aufschwung von Populisten und Rechten kommen konnte und welche Diskursverlagerung durch die politische Linke dabei spielt.“ (S. 13)
Bei diesen Fragen spielt Identität und angebliche kollektive Werte eine entscheidende Rolle: „Dafür müssen wir uns aber bewusst werden, was Deutschland wirklich ausmacht, Was Deutsch-Sein bedeutet und was Deutschland – über die Zeitläufe hinweg – im Innersten zusammenhält.“ (S. 13)
Dafür geht es weit zurück in der Geschichte. Immer wieder gibt es entweder oberflächliche Deutungen von historischen Ereignissen oder gar Wissenslücken zur Geschichte seit der Frühen Neuzeit, des 20. Jahrhunderts oder der Zeitgeschichte. Unsäglich wird es, wenn „Identitätsstiftung“ mit dem deutschen Militarismus im Kaiserreich, dem NS-Regime, dem Holocaust und Millionen Toten in Vernichtungslagern und im 2. Weltkrieg verbunden wird: „Die Unsicherheit über die eigenen Identität und die Rolle in der Welt erzeugte Angst. Angst brachte Wut hervor. Wut entsteht, wenn man das Gefühl hat, von der Welt ungerecht behandelt zu werden. Das führte zu zwei Niederlagen in zwei Weltkriegen.” (S. 48)
Dies alles gipfelt in ein „Manifest für eine aufgeklärte Leitkultur“ und der Versuch, den schon immer umkämpften Begriff der Freiheit mit Leitlinien zu besetzen.
Eine offene demokratische Gesellschaft, die Abdel-Samad verteidigen will, wird bestimmt nicht mit „Liebe zu Deutschland“, Deutschtümelei oder nationalistische Phrasen erreicht. Dies steht dem diametral gegenüber: Dies schafft Ausgrenzung im Inneren und nach Außen, einen Dualismus-Wir und die anderen und ist in einer globalisierten Welt ein Rückschritt in schon überwunden geglaubte Zeiten. Von der Kritik, dass Nationalstaaten nur künstliche Gebilde von Macht- und Herrschaftsstrukturen sind, ganz zu schweigen.
Von daher ist die Lektüre ärgerlich und Zeitverschwendung.