von Horst Hilse - SOKO - KÖLN
Der Notstandsstaat fletschte die Zähne und lieferte gratis einen intimen Einblick in die Funktionsweise bürgerlicher Realdemokratie. Ausgerechnet in der Stadt, wo der deutsche Parlamentarismus einst stolz seine Würde erfochten hatte, konnten trübe Restbestände von den angereisten blockupy-Aktivisten bestaunt werden: Versammlungs- und Bewegungsfreiheit der Bürger war vorübergehend ausser Kraft gesetzt und städtischer Grund und Boden war in Anlehnung an mittelalterliche Fürstenherrlichkeit mit Aufenthaltsverboten belegt.
Die Honoratioren wetteiferten im Vorfeld der Proteste mit der Polizei und den „Experten“ darum, wer die schönsten Horrorszenarien von dem drohenden Einfall barbarischer Horden zum Besten geben konnte.
CDU- Parlamentarier forderten ein „hartes Durchgreifen“ von der Polizei und diese erinnerte sich an die alte Preussentradition, „zog ihre Einsatzkräfte“ zusammen und knallte zackig eine Notstandsübung zum Wohlgefallen der Herrschenden aufs Frankfurter Straßenparkett.
Sie standen alle unter Strom, nämlich unter Geldstrom, denn der „muss“ fliessen, koste es, was es wolle…
Und beileibe handelt es sich im Frankfurter Bankencasino nicht grade um wenig Strom, sondern um ordentlichen Zaster, der in Europa ganze Staaten in neokoloniale Abhängigkeit zwingt.
Wie ertappte Gauner reagierten die Bankster angesichts der angekündigten Proteste gegen die Banken und sie mobilisierten die ihnen hörige Politfolklore samt ihrem Staatsbalett in Uniform.
Sogar ihre Privatvillen sollten von der Polizei geschützt werden.
Der Protest gegen die Bankenmacht verwandelte sich zunehmend in eine Verteidigung der Grundrechte in der zerbröckelnden Demokratie.
Es lässt sich vortrefflich darüber streiten, wer aus diesem Szenario mehr Gewinne einfahren konnte: die Staatsgewalt, der es gelungen war, einen großen Teil potentieller Mitstreiter/innen von solidarischer Teilnahme abzuschrecken, oder aber jene, die zwangsweise einen Schnellkursus in realer bürgerlicher Machtverteilung absolvieren mussten.
Es gelang nicht, die vielen Verbote insgesamt aufzuheben, aber mit der Erlaubnis zur Demonstration am Samstag hatte die blockupy-Bewegung unter Zuhilfenahme des bürgerlichen Rechts einen wichtigen Sieg erringen können. Dies sollte nicht unterschätzt werden, denn damit wurden Tausende, ja zehntausende dazu ermuntert, sich wieder auf ihre eigene solidarische Wirksamkeit zu besinnen. Die Bereitschaft, sein Anliegen „vertreten“ zu lassen sank weiter.
Andererseits gelang es durch die „Kriminalisierungskampagne“ im Vorfeld der Proteste, viele abzuschrecken: Embleme und Fahnen der Friedensbewegung fehlten im Demobild ebenso, wie die bei ähnlichen Gelegenheiten doch immer wieder anzutreffenden SPD-Fähnchen.
Durch das polizeiliche Stoppen der Busse und dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis für das Stadtgebiet wurde institutionell kräftig nachgeholfen, um die Teilnehmerzahlen zu drücken. Es war aus Sicht der Herrschenden also gelungen, die Demo möglichst klein zu halten. Attac stellte wohl das Gros der Teilnehmer/innen und erfreulicherweise sah man auch immer wieder Fahnen der IG-Metall und von Ver.di.
Andererseits bewirkt die hohe Zahl der Festnahmen im Vorfeld, sowie die Empörung vieler Bürger über die zeitweilige Annulierung der Verfassung, multiple Lerneffekte. Hier enthüllte sich anschaulich, was von den vielen Sonntagsreden und Zeitungszeilen über die deutsche Demokratie zu halten ist. Diese Erfahrung kann nicht nur bewusstseinserhellende Wirkung haben, sondern verdeutlicht auch, wozu der Liberalismus mitsamt seinem Medienanhang bereit ist, wenn´s um das Schmieröl der kapitalistischen Welt, die Knete geht.
„Geld regiert die Welt“ gerinnt hier zu sinnlicher Erfahrung für immer mehr Menschen.
Dass sich in Italien und Griechenland mit Protesten vor und Besetzungen von deutschen Einrichtungen praktische Solidarität manifestierte, ist für den künftigen gesamteuropäischen Widerstand ausgesprochen hoffnungsvoll.
Die Demo selbst verlief bei strahlendem Sonnenschein bunt, kreativ und friedlich – auch das ein großer politischer Erfolg ! Einmal drohte eine Eskalation, als die legal vermummte Staatsmacht meinte, einige illegal vermummte Mitstreiter mittels Greiftrupp aus dem Zug holen zu müssen. Böller flogen und die Polizei nahm dies zum Anlass um noch eine Horrormeldung über die bösen „Chaoten“ abzusetzen. Die besonnenen Kräfte auf beiden Seiten setzten sich jedoch rasch durch und der lange Zug wälzte sich weiter. Erfreulich: Am DGB-Haus hingen ebenso Transparente, wie auch einige Bürger ihre selbstgemalten Transparenten mit ihrem Protest gegen den Notstandsstaat sichtbar aus dem Fenster hingen.
Die Hoffnungszeichen für die Verbreiterung antikapitalistischer Aktivitäten sind also vorhanden und es liegt an den politischen Akteuren, diese zu deuten und taktisch in künftige Planungen aufzunehmen. Den Organisatoren der Proteste sowie den teilnehmenden Aktivisten gebührt angesichts der Eskalationsstrategie des institutionalisierten Bankenschutzes großes Lob und herzlichen Dank.
20. Mai 2012
VON: HORST HILSE - SOKO - KÖLN