von Detlef Georgia Schulze
#ZeroCovid mobilisiert für „diesen Freitag (05.02.)“ zu digitalen und Straßen-Protesten „gegen die derzeitige #Corona-Politik“ (https://twitter.com/zeroCovid_DACH/status/1356994250676842499). Kann das richtig sein – wo diese Politik doch gerade unter massivem Druck von rechts steht (nicht nur seitens AfD und FDP, sondern – anders als die Flüchtlingspolitik 2015 – auch seitens relevanter Teile des Kapitals)?
Würden nicht auch die tatsächlichen Forderungen von #ZeroCovid (jedenfalls soweit sie konkretisiert und nicht nur vage Floskeln sind) vielmehr dafür sprechen, den ProÂtest unter die Überschrift „Für Infektionsschutz, der die Erwerbsarbeit nicht ausspart“ oder „Gegen Verminderung des Infektionsschutzes im Kapital-Interesse“ zu stellen? Zwar heißt es in dem Folge-Tweet von ZeroCovid halbwegs zutreffend: „Die bisherige Lockdownstrategie der Regierung tut so, als seien alleine unsere Kontakte im PrivatleÂben schuld an der Verbreitung von #COVID19. Gleichzeitig bleiben Betriebe offen, #HomeOffice wird nicht konsequent umgesetzt, ÖPNV und Kitas sind viel zu voll.“
Aber:
• Zum einen übertreibt, den Regierungen die Auffassung zu unterstellen, es „seien alleine unsere Kontakte im Privatleben schuld an der Verbreitung von #COÂVID19“ (meine Hv.). Es gibt ja inzwischen wieder Geschäfts- und SchulschlieÂßungen, es gibt Arbeitsschutzmaßnahmen und es gibt seit kurzem VerbesserunÂgen bezüglich Home Office. Das mag als unzureichend kritisiert werden, und es ändert auch nichts daran, daß die Pandemie-Bekämpfung auf die „‚Freizeit‘ – und jene Sektoren der Wirtschaft, die damit unmittelbar zusammenhängen“, konzentriert ist – aber sie ist auf diesen Bereich nicht reduziert.
Es ist ein hilfloser Versuch, in den trüben Gewässern des Populismus zu fiÂschen, wenn die Regierungspolitik nicht für ihre tatsächlichen (fachlichen) Fehler und (politischen) Fehlorientierung kritisiert, sondern schwärzer gemalt wird als sie ist: „Es bedarf einer Analyse des Kapitalismus statt der vielfach üblichen Schwarz-Weiß-Malerei. Wer die kapitalistischen Gesellschaften schwärzer macht, als sie sind – meistens um sich und andere zu agitieren –, macht sie daÂdurch nur stärker. Die ‚Stärken‘ denen er seine Massenloyaliät verdankt müssen mitthematisiert werden, weil sie sonst gegen uns – die Kritiker – funktionieren.“[1]
• Zum anderen impliziert die Formulierung „gegen die derzeitige #Corona-Politik“ das Risiko, daß Leute (insbesondere oberflächliche LeserInnen, die nur den AnÂfang des Threads, aber nicht die Folge-Tweets lesen) die vermutlich nicht eingeÂladen sind – m.E. jedenfalls nicht eingeladen sein sollten –, sich sehr wohl einÂgeladen fühlen. „[G]egen die derzeitige #Corona-Politik“ sind (auch) AfD, FDP, Streeck und KonsortInnen.
Ein weiteres Problem kommt hinzu – in einem weiteren Tweet des Threads heißt es: „Wir wollen die Aufmerksamkeit auf noch laufende systemirrelevante Betriebe, leere Hotels oder andere Orte die für unsolidarische Pandemiebekämpfung stehen, lenken! Sperrt die Orte symbolisch ab, malt Plakate, lasst Slogans mit Sprühkreide da, lasst Banner droppen!“
Zwar spricht nichts dagegen, sondern alles dafür, mittels Sprühkreide und Plakaten die Öffnung von leerstehenden Hotels zur Unterbringung von Obdachlosen und Menschen aus aufzulösenden, beengten Gemeinschaftsunterkünften zu fordern.[2]
Problematisch ist dagegen, in „noch laufende systemirrelevante Betriebe“ von außen zu intervenieren und sie – wenn auch nur symbolisch – abzusperren, wenn die dortiÂgen Beschäftigten selbst gar keine Produktionseinstellung fordern. Der Unterschied zwischen der Verteilung eines Flugblattes – die auch sinnvoll sein kann, wenn sie durch Betriebs-Externe erfolgt – und einer (wenn auch nur symbolischen) Absperrung des Betriebes durch Externe bedeutet in diesem Zusammenhang einen Unterschied ums Ganze.
Hier spielt der – bereits bei früherer Gelegenheit kritisierte – Umstand eine Rolle, daß die ZeroCovid-Petition nicht den tatsächlichen Bewußtseinsstand der Lohnabhängigen in der BRD reflektiert[3]. Zwar zeigen verschiedene Meinungsumfragen, daß relevante Teile der Bevölkerung – darunter sicherlich auch Lohnabhängige – für eine VerstärÂkung des Infektionsschutzes sind[4]. Dies erlaubt aber nicht den Schluß, daß alle diese Menschen – die von mir geteilte – ZeroCovid-Forderung, „die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft […] still[zu]legen“, für richtig halten. Vielmehr dürften darunter auch eine ganze Reihe von Leuten sein, die statt dessen für stärkere Einschränkungen im privaten Bereich bzw. die stärkere polizeiliche DurchsetÂzung der ohnehin schon geltenden Regeln sind.
Angesichts des irgendwo zwischen SozialpartnerInnenschaft und Ko-Management schwankenden Bewußtseinsstandes der meisten Lohnabhängigen dürften viele von ihÂnen in der Tat eher zu Beschränkungen im Freizeit-Bereich als zur Gefährdung ihres bescheidenden Wohlstands durch Betriebsstillegungen im Interesse des InfektionsÂschutzes bereit sein. Und dieser Bewußtseinsstand ist – zumal im vorliegenden Fall – (anders als spät-68er Frankfurter Schule-Fans und lukácsianische MarxistInnen sagen würden) auch nicht nur „falsches“ oder „verdinglichtes Bewußtsein“. Er hat seine mateÂrielle Grundlage in der Banalität, daß nur das konsumiert werden kann, was vorher produziert wurde: „Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der ZivilisierÂte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen ProduktionsÂweisen. […]. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellÂschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der NaÂtur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit.“ (MEW 25, 838 – Das Kapital. Dritter Band ? MEGA II.15, 794 f.)
Dies schließt temporäre Produktionseinstellungen zum Zwecke des Infektionsschutzes zwar nicht aus[5], aber macht sie – auch für die Lohnabhängigen – zunächst einmal kontraintuitiv.
In dem Zusammenhang ist noch einmal an den Unterschied zwischen einem üblichen Streik und der Forderung nach Betriebsstillegungen für den Infektionsschutz zu erinÂnern:
• Beim üblichen Streik ist die temporäre Betriebsstillegung das (Druck)mittel zum Zweck, bei Wiederaufnahme der Arbeit besser bezahlt zu werden oder mehr UrÂlaub zu bekommen o.ä.
• Im vorliegenden Fall soll die Arbeit zwar nach der Pandemie auch wieder aufgeÂnommen werden; aber Infektionsschutz liegt hier schon in der Betriebsstillegung selbst – und ist nicht etwas erst nachträglich Hinzukommendes. Die BetriebsÂstillegung durch Streik wäre im vorliegenden Fall nicht Mittel zum Zweck, sonÂdern der Infektionsschutz würde unmittelbar durch Nicht-Erscheinen am ArbeitsÂplatz realisiert. Hinzukommen sollte m.E. zwar während der Betriebsstillegung eine Lohnfortzahlung[6] (in der ZeroCovid-Petition heißt es dagegen nur vage und klassen-indifferent: „Menschen können nur zu Hause bleiben, wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig.“ [meine Hv.])
Letzteres verweist nun aber auf das spezifische Durchsetzungsproblem in Bezug auf die Lohnfortzahlung – der Tausch „Arbeitsaufnahme gegen Lohnfortzahlung“ wäre ja im vorliegenden Falle sinnlos[7]. Statt „noch laufende systemirrelevante Betriebe“ durch Betrieb-Externe symbolisch abzusperren, müßte daher eher der – wenn auch von LiÂberalen und AnarchistInnen viel geschmähte[8] – Staat der Adressat der Forderung sein, Lohnfortzahlung bei infektionsschutz-bedingten Betriebsstillegungen anzuordnen[9].
Zwar stören sich auch KommunistInnen an der Staatsform überhaupt und am bürgerliÂchen Staat insbesondere – aber sie wissen auch, daß die Staatsform unter herrschaftÂlichen und ausbeuterischen Bedingungen eine historisch-transitorische Notwendigkeit ist[10] – und sind sich daher auch nicht zu schade, Forderungen an den Staat zu richten[11].
Zu kritisieren ist die ZeroCovid-Initiative also nicht, weil sie Forderungen an den Staat richtet, sondern weil sie deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben scheint – und vielleicht deshalb meint, ihre Forderungen möglichst unkonkret formulieren und mit bluÂmig-euphorischer Bewegungsrhetorik garnieren zu sollen.
Zu kritisieren ist, wenn betriebs-externe Linke „noch laufende systemirrelevante BetrieÂbe“ (wenn auch nur symbolisch) absperren wollen, statt sich auf Protest vor den (oder meinetwegen auch: in den) Büros der
• Lobbyorganisationen des Kapitals,
• deren akademischen IdeologInnen, die – statt Wissenschaft zu betreiben – PR-BeraterInnen engagieren, um ihre „Lockerungs“-Ideologie via Bild-Zeitung und anderen Tröten zu verbreiten,
und
• den Arbeitsministerien und Parlamenten, von denen die Anordnung von LohnÂfortzahlung für infektionsschutz-dienliche Arbeitseinstellungen zu verlangen ist,
zu konzentrieren.