von Karl - Ludwig Ostermann
In Hamburg haben sich die Eltern aus den Oberklassen und den Stadtteilen mit begüterten Schichten bei der Volksabstimmung zur Primarstufe durchgesetzt. Sie haben ihr Interesse, ihre Kinder frühzeitig für das Gymnasium selektieren zu lassen, in einer bemerkenswerten Geschlossenheit durchgesetzt. Selten ist die soziale, kulturelle und politische Hegemonie von ca 12 % der Einwohner einer westdeutschen Metropole, verstärkt durch weitere 12 % Mitläufer aus den oberen Mittelschichten, mit Sicherheit darunter auch SPD-, Grün- und Linkewähler, so brutal sichtbar geworden. Sichtbar geworden ist auch die verheerende Niederlage von zwei dritteln der Menschen dieser Stadt, die eigentlich ein Interesse haben müßten, für Ihre Kinder wenigstens diese Winzreform durchzusetzen.
Die Sichtweise der Bedeutung dieser Niederlage als Niederlage der Unterklassen kommt in den meisten politischen Kommentaren der Linken nicht vor. Analysieren wir also zunächst den Vorgang selbst, bevor wir uns den "linken" Kommentaren zuwenden.
Daß eine viel weitergehende Schulreform nötig ist, ist unstrittig. Es ist aber auch unstrittig, daß es weder parlamentarisch noch außerparlamentarisch derzeit eine Kräftekonstellation gibt, die das politisch erzwingen könnte. Vor diesem Hintergrund ist es mir völlig wurscht, daß mit der schwarz - grünlichen Koalition ein politischer Gegner etwas tut, was an einem entscheidenden Punkt fortschrittlich ist. Dieser fortschrittliche Moment ist auch der Grund, warum die Koalition aus FDP, Bildzeitung und Focus diese Reform so zentral bekämpft hat. (1)
Und nun kommt es zum Volksentscheid. Nicht komplexe und gleichzeitig allgemeine und unverbindliche Wahlstrategien und Versprechungen, sondern ein einziger, aber ein sehr konkreter Punkt stand zur Abstimmung. Eine winzige Reform zwar nur, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ob er gegangen wird oder nicht, hat lupenartig die Kräfteverhältnisse in diesem Land darlegt.
Die übergroße Mehrheit der Menschen muß ein Interesse daran haben, daß Ihre Kinder gemeinsam lernen und nicht früh sortiert werden. Sie muß darüber hinaus ein Interesse haben, daß darauf aufbauend, mehr in den Schulen für die Kinder der Unterklassen, die Kinder der getretenen und verarmten, für die Hartz IV Kinder gemacht wird. Die Entscheidung für die Primarstufenreform hätte in Hamburg eine Atmosphäre des Vorwärtsgehens im Bildungswesen erzeugen können.
Es stand also Spitz auf Spitz und es ging um mehr als die Winzreform. Und in dieser Situation geht kein Ruck durch die Arbeiterschaft, die Migranten, die allein erziehenden Mütter, die prekär beschäftigten Akademiker. Zu viele bleiben zu Hause, während die Elbchaussee, das Alstertal und die Walddörfer ihre Battalione stehen haben.
Die Kräfteverhältnisse sind dargelegt. Sie sind erschreckend und demotivierend. Den linken gesellschaftlichen Kräften ist es nicht gelungen, ihre Basis in einer einfachen, gleichzeitig aber zentralen, zugespitzten Frage zu mobilisieren. Ob namenlich die Partei "Die Linke" und die anderen oppositionellen Kräfte in der Praxis und in der Tiefe die Bedeutung der Mobilisierung überhaupt erkannt haben, kann ich, im Ruhrgebiet wohnend, nicht beantworten.
Aus allen diesen Gründen ist die Niederlage verheerend und von grundsätzlicher Natur.
Ein Bündnis aus verschiedenen Gruppen, vor allem junge Akteure, darunter Jugendgruppen von Ver.di und GEW, Die Linke/SDS, Regenbogen/Alternative Linke und nicht zuletzt Avanti, Projekt undogmatische Linke haben in der Erklärung "Gibt es eine richtige Schule im Falschen" aus meiner Sicht vorbildlich die Gemengelage dargelegt und wie man weitergehende Forderungen nur aus einem Erfolg der Abstimmung heraus entwickeln kann. Es wurde klar erkannt, daß die Auseinandersetzung eine um die Hegemonie ist und damit bedeutender als die Winzreform selbst ist. Das Papier halte ich für außerordentlich lesenswert (2)
Horst Hilse schreibt in "scharf links": "Für uns Sozialisten stellt sich die Aufgabe, nur einen vergleichbaren Bruchteil an klassenorientiertem Handeln bei jenen zu generieren, die eine Fortentwicklung aus der Geldoligarchie im Privilegienwesen ermöglichen könnten." (3) Wie das geschehen soll, beantwortet er nicht. Was eine "Fortentwicklung aus der Geldoligarchie im Privilegienwesen" ist, ebenfalls nicht. Vielleicht meint er, daß die Unterklassen mal einfach ihre Interessen durchkämpfen, und seien es nur zwei Jahre mehr Schule für die Kinder ohne Selektion. Ebensowenig hat er leider die Tiefe der Niederlage analysiert.
Die DKP hat sich aktuell zur Situation nicht geäußert. Erst nach intensiver Recherche auf der homepage des DKP BV, der UZ und bei Kommunisten.de ist ein Aufruf zu finden, "zweimal mit nein", also auch gegen die Winzreform zu stimmen. "Ein besseres Schulsystem wird nicht über Verhandlungen der Bürgerschaftsparteien erreicht, sondern erfordert außerparlamentarischen Druck durch das solidarische Handeln von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern." Wie allgemein richtig und wahr und doch die Steilvorlage für den hegemonialen Durchmarsch der Reaktion (4)
Ins selbe Horn stößt auf "scharf links" Peter Heykendorf in "Die Linke Hamburg: Schulverbesserer in die Falle getappt: "Gelinde gesagt, könnte man bewerten, DIE LINKE-HH ist geleimt worden. De Facto ist dem nicht so. Bestimmte Verantwortliche in der Linken haben diese Politik durchgesetzt und man muß von Denen eigentlich Intelligenz und Durchblick erwarten. Sie haben jedoch eine halbherzige Schulreform, die letztlich keine ist, durch die Partei und Öffentlichkeit gepeitscht, wo das einzigste Argument, das gemeinsame längere Lernen um 2 Jahre galt. Dies sei der Heilsbringer und damit sei die Reform ein "Schritt in die richtige Richtung". Es wurde mit angeblich linker Argumentationsligitimation über eine Klassenauseinandersetzung zwischen arm und reich, zwischen wohlhabenden und armen Stadtteilen gearbeitet." (5) Er argumentiert weiter richtig, daß allein die zwei zusätzlichen Jahre für Migrantenkinder nichts bringen, wenn Lehrer bösartig selektieren. Das die Selektierer nun aber den absoluten Rückenwind haben, nimmt er mit seiner Argumentation billigend in Kauf.
Die MLPD schließlich, ursprünglich ähnlich wie die DKP und o.g. Beitrag argumentierend, hat die grundsätzliche Bedeutung dieses Konflikts in letzter Sekunde begriffen uns ist auf die Linie des genannten Bündnispapieres umgeschwenkt. Sie sieht nun die Krise der Hamburger CDU als Krise der Herrschaftsverhältnisse und verkennt völlig die Schwäche der Beherrschten: "Die geringe Wahlbeteiligung von 39 Prozent und ca. 280.000 Stimmen für die Reformgegner sind allerdings auch eine schmale Massenbasis für die jetzt Morgenluft witternden reaktionären Kräfte." (6) Nein, völlig falsch, die reaktionären Kräfte haben mit ihrer "schmalen Massenbasis" vollständig obsiegt, da sie ihr Klientel vollständig mobilisieren konnten.
(1) "Daß hinter dieser Kampagne vor allem ein herrschaftliches Klientel steckt, zeigt sich unter anderem daran, daß auf juristischem Wege alles in Gang gesetzt wird, um Proteste gegen die eigene Initiative mundtot zu machen. So wurde der "Jungen GEW", die mit einem Konterfei Sky du Monts (einem der prominenten Unterstützer) auf Masken und Flyern gegen "Wir wollen [ohne die Arbeiter_innenkinder] lernen" protestierte, eine Klage wegen der Verletzung von Persönlichkeits-rechten angedroht. Streitwert: 50.000€." Quelle siehe Anm. (2)
(2), siehe: http://www.avanti-projekt.de/hamburg/gibt-es-eine-richtige-schule-im-falschen dort die PDF Datei aufrufen
(3) http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=11292&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=21aed0e3a2
(4) http://www.kommunisten.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=1941:hamburg-zweimal-nein-am-18-juli&catid=94:aus-den-regionen&Itemid=213
(5) http://www.scharf-links.de/90.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=11285&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=09bc611815
(6) http://www.rf-news.de/2010/kw29/regierungskrise-in-hamburg
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