von Detlef Georgia Schulze
Ein historisches und ein hypothetisches Beispiel:
KPD Saar (1957) und IMC linksunten (2020)
Am Sonntag wies Achim Schill an dieser Stelle auf folgenden Satz in der kürzlich veröffentlichten schriftlichen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts in SaÂchen linksunten-Verbot hin: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betrieÂbenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinÂter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als OrganiÂsation […].“
Er schlußfolgert daraus – zutreffenderweise –: „Damit besteht nun die MöglichÂkeit, dass linksunten ab sofort von anderen HerausgeberInnen als dem 2017 verÂbotenen ‚Verein‘ wieder herausgeben wird.“ Zugleich wies er auf darauf hin, daß das aber „mit der Gefahr erneuter Repression verbunden“ wäre.
Die Haken an der Sache sind:
• Der „dahinter stehende Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymeÂdia‘“ (gemeint ist entweder etwas nie Existierthabendes [„Verein ‚linksunÂten.indymedia‘“] oder aber das IMC linksunten, der frühere HerausgeberInnen-Kreis von linksunten.indymedia) ist weiterhin verboten.
• Nach § 8 Vereinsgesetz ist die Bildung von Ersatzorganisationen von verÂbotenen Organisationen ihrerseits verboten.
Was heißt dies nun hinsichtlich der von Achim angesprochenen, eventuellen BilÂdung eines neuen HerausgeberInnen-Kreises für linksunten.indymedia?
Erforderlichkeit einer besonderen Feststellung
§ 8 Absatz 2 Satz 1 und 4 Vereinsgesetz lautet folgendermaßen:
„Gegen eine Ersatzorganisation, die Verein im Sinne dieses Gesetzes ist, kann zur verwalÂtungsmäßigen Durchführung des in Absatz 1 enthaltenen Verbots nur auf Grund einer beÂsonderen Verfügung vorgegangen werden, in der festgestellt wird, daß sie ErsatzorganisatiÂon des verbotenen Vereins ist. […]. Die für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder OrdÂnung zuständigen Behörden und Dienststellen sind bei Gefahr im Verzug zu vorläufigen Maßnahmen berechtigt, die außer Kraft treten, wenn die Verbotsbehörde nicht binnen zweier Wochen die in Satz 1 bestimmte Verfügung trifft.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__8.html)
Und der daran anknüpfende § 20 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz lautet:
„Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit
1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verÂbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2. [...]
3. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines […] der in den Nummer 1 […] beÂzeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4. […]
5. Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreiÂtet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html)
Dies heißt dreierlei:
1. Das Bilden von Ersatzorganisationen ist verboten.
2. Die mitgliedschaftliche Betätigung in einer solchen Ersatzorganisation (§ 20 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Vereinsgsetz), die Unterstützung einer solchen ErÂsatzorganisation (ebd., Nr. 3) und das Verwenden der „Kennzeichen“ einer solÂchen Ersatzorganisationen (ebd. Nr. 5) ist aber nicht von vornherein strafbar; vielmehr muß erst in einer neuen Verfügung festgestellt werden, daß es sich um eine Ersatzorganisation handelt.
§ 20 Vereinsgesetz gilt für die Zeit der fachgerichtlichen Auseinandersetzung über ein Verbot („vollziehbar“), sofern die sofortige Vollziehbarkeit währenddesÂsen nicht vom Gericht aufgehoben wird[1]; §§ 85, 86, 86a StGB („unanfechtbar“) für die ganze Zeit danach (auch schon während eines etwaigen VerÂfassungsbeschwerdeverfahrens[2] – es sei denn wiederum, das BundesverfasÂsungsgericht gewährt vorläufigen Rechtsschutz[3]).
3. Auch exekutiv darf gegen „Ersatzorganisationen“ in der Regel erst vorgeganÂgen werden, wenn eine entsprechende „Feststellung“ vorliegt (§ 8 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz) – bei „Gefahr im Verzug“ sind aber „vorläufige Maßnahmen“ zuÂlässig, die allerdings „außer Kraft treten, wenn die Verbotsbehörde nicht binnen zweier Wochen“ eine entsprechende Feststellungs-Verfügung hinterherschiebt (ebd., Satz 4).
In der Begründung der Bundesregierung für ihren Entwurf des Vereinsgesetzes hieß es dazu:
„Aus dem vorläufigen Charakter dieser Maßnahmen ergibt sich, daß sie der Organisation keine nicht wieder zu beiseitigenden Schäden zufügen, also grundsätzlich nur ihre Tätigkeit einschränken dürfen, ihre organisatorische Existenz dagegen unberührt lassen müssen.“
(Bundestags-Drucksache IV/430, S. 18)
Definition des Begriffs „Ersatzorganisation“
Aber was ist nun eigentlich eine „Ersatzorganisation“ im juristischen Sinne?
• Nach der Begründung der Bundesregierung für ihren Entwurf des VereinsÂgesetzes von 1964 soll – anknüpfend an eine Entscheidung des BundesÂverfassungsgerichts (BVerfG) bzgl. Parteiverbote – das „entscheidende Kriterium für eine Ersatzorganisation die Übernahme von Funktionen des verbotenen Vereins im weitesten Sinne des Wortes [sein] und alle sonstiÂgen Umstände [sollen] nur indizielle Bedeutung haben (vgl. BVerfGE 6, 307)“ (Bundestags-Drucksache IV/430, S. 18).
• Zu der genannten Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung: Das SaarÂland war erst zum 1. Januar 1957 Teil der Bundesrepublik geworden. Im Vorjahr hatte das BVerfG die Auflösung der KPD der Bundesrepublik angeÂordnet hatte und außerdem bestimmt: „Es ist verboten, ErsatzorganisatioÂnen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaffen oder besteÂhende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.“ (BVerfGE 5, 85 - 393 [87])
Mit der Entscheidung BVerfGE 6, 300 - 309 aus dem März 1957
++ ließ das BVerfG dann zwar ‚freundlicherweise‘ offen (S. 306: „mag daÂhinstehen“), ob die KPD Saar „Teil“ der – zum Beitrittsdatum des SaarlanÂdes zur BRD – bereits verbotenen (und weitgehend zerschlagenen) KPD war[4],
++ aber erklärte die KPD Saar kurzerhand zur „Ersatzorganisation“ der KPD der Bundesrepublik…
• In dieser Entscheidung gab das BVerfG folgende Definition von „ErsatzorÂganisation“ (in dem Falle: einer Partei; aber das dürfte zwanglos auf „ErÂsatzorganisationen“ von nicht partei-förmigen Vereinigungen zu übertragen sein):
„Eine Ersatzorganisation ist, […], dazu bestimmt, an die Stelle einer nicht mehr vorÂhandenen oder nicht mehr funktionierenden Organisation[5] zu treten. Beide sind orÂganisatorisch nicht ‚dasselbe‘, wollen aber funktionell ‚dasselbe‘. […]. EntscheiÂdend ist […], daß sie in der Art ihrer Betätigung […], in der Verfolgung der politischen Ziele, nach den in ihr wirksamen politischen Kräften, nach dem Kreis der von ihr AnÂgesprochenen, nach der politischen Haltung ihrer Anhänger und nach dem aus der zeitlichen Abfolge des Geschehens (Verbot der Organisation und Schaffung des ErÂsatzes)[6] erkennbaren Zusammenhang die verbotene Partei zu ersetzen bestimmt ist.“ (S. 307)
An dieser Definition als solches scheint mir auf den ersten Blick nichts ausÂzusetzen zu sein und folglich auch klarzusein, daß ein Personenkreis, der die Merkmale des § 2 Absatz 1 VereinsG[7] erfüllt und linksunten wieder mit demselben selben Mission Statement, denselben Moderationskriterien und derselben Moderationspraxis herausgibt, ohne weiteres als Ersatz des alÂten HerausgeberInnen-Kreises verboten werden könnte[8], wenn denn dieÂser alte HerausgeberInnen-Kreis bereits verboten worden wäre (was m.E. aber nicht der Fall ist, da dieser „IMC linksunten“ und nicht „linksunten.inÂdymedia“ hieß, aber in der Verbotsverfügung vom 14.08.2017 von einem Verbot eines „Vereins ‚linksunten.indymedia‘“ und nicht von einem Verbot des [vermeintlichen] „Vereins ‚IMC linksunten‘“ die Rede ist). Da Letzteres das BVerwG aber – jedenfalls bisher – anders sieht, kommt meiner „wenn denn“-Einschränkung [bisher] wenig praktische Bedeutung zu.)
Gerichtliche Kontrolle von Ersatzorganisationsverboten
Bleibt die Frage: Wie weit geht die gerichtliche Kontrolle von ErsatzorganisatiÂonsverboten? Wird nur der Ersatzorganisations-Charakter geprüft? Oder wäre das Gründen einer „Ersatzorganisation“ eine Möglichkeit, nachträglich eine geÂrichtliche Überprüfung der (alten und neuen) Verbotsgründe zu erreichen – insÂbesondere, wenn in Bezug auf das Erstverbot (hier: angeblicher „Verein ‚linksunÂten.indymedia‘“) eine solche gerichtliche Überprüfung nicht stattfand?
Im Grundsatz dürfte in der Tat gelten, was Kathrin Groh in ihrer Kommentierung zu § 8 Vereinsgesetz sagt:
„Eine Ersatzorganisation kann sich im Rechtsschutzverfahren gegen ihr Verbot ausschließÂlich mit der Begründung wehren, sie sei keine Ersatzorganisation, sondern eine eigenständiÂge Vereinigung. In der Praxis bietet es sich aufgrund von Beweisschwierigkeiten […] an, auch das Verbot einer Vereinigung als Ersatzorganisation alternativ auf selbständige VerÂbotsgründe[9], wie zB die niederschwellig Strafrechtswidrigkeit in Form der Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsverbot nach § 20 zu stützen.“
(Groh, in: Das Bundesrecht, 1095. Lfg., Sept. 2010, § 8 VereinsG, Randnummer 9)
Die hier interessierende Konstellation, daß
++ sich eventuell eine Ersatzorganisation zu einer verbotenen „Vereinigung“ bilÂdet,
++ die[10] das Verbot befolgte
++ und in Bezug auf die eine gerichtliche vollständige Überprüfung der VerbotsÂgründe allein deshalb nicht erfolgte, weil das Gericht die tatsächlichen KlägerInÂnen nicht als die ‚richtigen‘ (eine Voll-Überprüfung nötig machenden) ansieht,
scheint aber in der Rechtspraxis noch nicht vorgekommen und in der RechtswisÂsenschaft noch nicht erwogen worden sein.
Unter den hiesigen besonderen Umständen wäre es vielleicht schon möglich, in einem Verfahren über ein „Ersatzorganisations“-Verbot eine Überprüfung der Verbotsgründe zu erreichen – vorausgesetzt freilich, es klagt dann die vermeintliÂche „Ersatzorganisation“ gegen ihr Verbot[11] (und es klagen nicht wiederum IndiviÂduen, die keine Angaben dazu machen, ob sie zur fraglichen Struktur gehörten).