von Achim Schill (mit Unterstützung von DGS)
Wie am Montag (17.8.) bereits kurz angesprochen, ist in der Bundesrepublik die zentrale Hürde, um juristisch gegen „Verwaltungsakte“ (vorliegend: gegen das am 25. August 2017 bekanntgemachte Verbot von linksunten.indymedia) vorzugehen, darzulegen, in „eigenen Rechten“ verletzt zu sein.[1]
Bekanntlich wurde linksunten.indymedia 2017 vom Bundesinnenministerium als „Verein“ deklariert. Mittlerweile sind Bundesinnenministerium und die VerwaltungsÂgerichte umgeschwenkt:
• Es sei gar nicht die internet-Plattform (das Medium) linksunten.indymedia,
• sondern der „dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunÂten.indymedia‘ als Organisation“ (Bundesverwaltungsgericht)[2] bzw. „eine VerÂeinigung von Personen zu einem bestimmten Zweck“ (Verwaltungsgerichtshof Mannheim)[3] – also der HerausgeberInnenkreis von linksunten – verboten worden.
Konsequenterweise hatte auch Prof. Roth, der Prozessvertreter der BundesregieÂrung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29. Januar geäußert: „Niemand – weÂder Ihre Mandanten noch andere – ist gehindert wieder so eine Seite einzurichten, wenn es nicht gerade eine Fortsetzung der verbotenen Vereinsaktivitäten ist.“ (sieÂhe z.B. trend 6/2020)
Allerdings: Dies ändert nichts daran,
• dass auch ein Verbot des (alten) HerausgeberInnenkreises
ein ausgesprochenes Ärgernis ist – jedenfalls, solange wie
• sich kein neuer HerausgeberInnenkreis zusammenfindet (siehe dazu den kürzlichen Vorstoß von dgs und mir: Ein neues linksunten?)
• ein neuer HerausgeberInnenkreis unter dem Demakolesschwert steht, als „Ersatzorganisation“ verboten zu werden (siehe scharf-links vom 18.06.2020)
und
• die Mitglieder des alten HerausgeberInnenkreis weiterhin mit Strafverfahren bedroht sind[4].
Was ist also nötig, um sich juristisch gegen das linksunten-Verbot wenden zu dürÂfen, wenn nicht das Medium, sondern dessen HerausgeberInnenkreis verboten wurde?
• Das Einfachste (aber auch strafrechtliche Riskanteste – angesichts der Weite des politischen Strafrechts in der BRD und der Vielzahl existierender Äußerungsdelikte – für die von den Staatsapparaten im Zweifelsfall sogar versucht wird, HerausgeberInnen und DruckerInnen in Haftung zu nehmen) wäre, es wären – innerhalb der Klagefrist – tatsächliche HerausgeberInnen von linksunten bereitgewesen, als solche namentlich in Erscheinung zu treÂten und – als VertreterInnen des vermeintlichen „Vereins“ – gegen das Verbot des HerausgeberInnenkreises zu klagen.
Dies ist nun – aus durchaus nachvollziehbaren – Motiven nicht geschehen; es bleiÂben aber noch zwei andere Möglichkeiten bzw. Betroffenheits-Argumente – und zwar auch dann, wenn angesichts der misslichen Umstände, die Fiktion des BunÂdesverwaltungsgerichts hingenommen wird (bzw.: würde), es sei der HerausgebeÂrInnenkreis von linksunten.indyemedia verboten worden; dieser sei vereinsförmig organisiert gewesen und dieser haben den gleichen Namen wie das von ihm herÂausgegebene Medium gehabt (in Wirklichkeit hieß der HerausgeberInnenkreis „IMC linksunten“[5] – und nicht „linksunten.indymedia“ [wie aber im verfügenden Teil der Verbotsverfügung stand[6]]):
• Möglichkeit 1: Die sog. Strafbewehrung von Vereinsverboten (also die StrafÂandrohung gegen Leute, die Vereinsverboten zuwiderhandeln – z.B. indem sie „Kennzeichen“ verbotener Vereine verwenden, oder solche Vereine unterstützen oder deren Propagandamittel verbreiten) richtet sich auch geÂgen Dritte (also Nichtmitglieder) – Peter Nowak, dgs und ich selbst haben das ja – in Form eines immer noch in der Schwebe befindlichen – Strafverfahrens am eigenen Leibe erfahren müssen.
Folglich ist es ein liberaler/fair trial-Mindeststandard (und kein linksradikaler oder kommunistischer Voluntarismus), dass auch solche Dritten die MöglichÂkeiten haben müssen, das tatsächliche Vorliegen der Verbotsgründe vor GeÂricht überprüfen zu lassen. Denn auch in deren Handlungs- und MeinungsäuÂßerungsfreiheit wird durch die genannten Strafandrohungen eingegriffen; vgl. Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“
Dieses Argument kann sowohl in Bezug auf die Verfassungsbeschwerden von dgs als auch – jedenfalls sofern sie es vorbringen – in Bezug auf die Verfassungsbeschwerden der VerbotsadressatInnen Bedeutung erlangen.
• Möglichkeit 2: Es kann passieren, dass Gerichte – und so ist es ja auch schon vor dem Bundesverwaltungsgericht passiert[7] –, Leute die sich nicht als Mitglieder von bestimmten „Vereinen“ bekennen, trotzdem als Mitglieder des jeweiligen Vereins anzusehen. Dann müssen sie konsequenterweise – auf der Grundlage der vom Gericht als zutreffend angesehenen Faktizität – auch die Möglichkeit haben, gegen das etwaige Verbot eines solchen „Vereins“ zu klagen. Denn Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz lautet: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“ Es sind also die MitglieÂder, in deren Recht, den jeweiligen Verein zu bilden, eingegriffen wird, wenn der Verein verboten und aufgelöst wird. Das Bundesverwaltungsgericht sieht dies zwar seit langer Zeit anders; aber das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich klargestellt:
„Der Schutz des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG umfasst für Mitglieder ebenso wie für eine Vereinigung selbst das Recht auf Entstehen und BesteÂhen in der gewählten gemeinsamen Form [...].“ (Beschluß vom 09.07.2020, Textziffer 28)
Wenn also Vereinsmitglieder ein Recht auf Bestand des jeweiligen Vereins haben, dann haben sie folglich auch ein Recht, die Rechtmäßigkeit eines etwaigen Verbotes des Vereins vor Gericht überprüfen lassen. Denn durch das Verbot wird in deren genanntes Recht eingegriffen.
Dieses Argument kann – realistisch betrachtet – allenfalls für die Verfassungsbeschwerden der VerbotsadressatInnen Bedeutung erlangen – nämlich dann, wenn sich das Bundesverfassungsgericht (ungeachtet des Schweigens der Betroffenen selbst) der Auffassung anschließt, die VerbotsadressatInnen seien Mitglieder des HerausgeberInnenkreises von linksunten gewesen.