Kirchenkritik und Gläubigkeit des Volkes

14.09.13
TheorieTheorie, Kultur, News 

 

von Reinhold Schramm (Bereitstellung)

Angesichts dieser Zustände in der Papstkirche und besonders an ihrer Spitze schwollen oppositionelle Stimmen an und lebte die kirchliche Reformbewegung wieder auf.

Dabei wurde zum Teil auf Gedankengut zurückgegriffen, das bereits im 14. Jahrhundert von Vertretern der Mystik oder von dem englischen Reformtheologen John Wiclif entwickelt worden war. Besonders wirkten auch die radikalen Auffassungen von Jan Hus nach, dessen Ideen und Märtyrertod die revolutionäre Hussitenbewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts in Böhmen beflügelt hatten.

Einer der beißendsten Kritiker der kirchlichen Missstände und vor allem des Papstes Alexander VI. wurde in Italien Girolamo Savonarola, der im Kampf gegen das Regime der Medici Herrscher von Florenz geworden war. Leidenschaftlich predigte er gegen den Klerus und den Papst und erwartete vom französischen König eine durchgreifende Kirchenreform. Nachdem er 1497 vom Papst exkommuniziert worden war, wurde er 1498 festgenommen, als Ketzer verurteilt und verbrannt.

In Deutschland arbeiteten innerhalb der Kirche jene volkstümlichen Prediger, die in enger Verbindung mit ihren Gemeinden standen und Auswüchse und Schwächen der Kirche geißelten, einer umfassenden Volksbewegung gegen die Papstkirche vor. Aus der Menge dieser zumeist namenlos gebliebenen Prediger ragten solche Männer wie der Straßburger Münsterprediger Johann Geiler von Kaisersberg oder der Franziskanermönch Thomas Murner heraus. Aber sowohl Murner als auch Geiler kritisierten die Kirche nur in ihrer äußerlichen, verweltlichten Gestalt, trafen trotz der Heftigkeit mancher Angriffe nur Oberflächenerscheinungen, nicht aber die kirchlichen Dogmen und Institutionen. Beide blieben auf dem Boden der alten Kirche, in deren Rahmen sie Reformen anstrebten.

Außerhalb der Kirche erschollen auf den Reichstagen und Ständeversammlungen laute Klagen und Stimmen der Empörung gegen die Zustände in der Kirche. In den „Gravamina deutscher Nation“ wurden immer wieder Beschwerden über die Kurie und besonders ihr Oberhaupt vorgebracht. Katalogartig zeichneten sie die verschiedensten Missstände auf und prangerten vor allem die finanzielle Aufsaugung der deutschen Städte und Territorien durch den Papst an. Da alle Klagen vergeblich blieben, wuchs die Erbitterung um so mehr.

Besonders die Humanisten traten mit scharfer Kirchenkritik hervor, allen voran Ulrich von Hutten, der den Papst als Todfeind der deutschen Nation, Rom als die Zehntscheuer der Welt anprangerte. „O Rom, du bist das gemein Schauhaus der ganzen Christenheit ... Du bist die weit richtig Scheuer der Welt, darein man führt und zusammenträgt, was man vor jedermann geraubt und genommen hat.“ [1]

In einem seltsamen Kontrast zu den Missständen in der Kirche und zur zunehmenden Kritik an ihr stand die gerade in jener Zeit anwachsende, sich oft bis zur Hysterie steigende Gläubigkeit des Volkes. Heiligenverehrung und Reliquienkult erlebten einen nie gekannten Höhepunkt, Prozessionen und Wallfahrten, religiöse Stiftungen und Seelenmessen nahmen außerordentlich zu.

Groß war die Zahl der Bruderschaften, in denen sich in den Städten Männer und Frauen zu religiösen und geselligen Zusammenkünften trafen und versuchten, durch gute Werke zu ewigen Heil zu gelangen. In Hamburg wurden zu Beginn der Reformation 99 solcher Bruderschaften gezählt.

Und doch standen diese Erscheinungen nicht im Gegensatz zu der sich abzeichnenden Krise in Kirche und Gesellschaft, sie waren vielmehr Ausdruck der allgemeinen Unsicherheit. Wie konnte man Gott wohlgefällig sein, wenn Zweifel wuchsen, ob Kirche und Priester seine Gebote richtig verkündeten? Drohend standen vor dem Sünder das göttliche Gericht und die ewige Verdammnis. Hoffnung auf ewiges Heil vermischte sich mit panischer Höllenangst. In dem Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung gediehen der Drang nach den Gnadenmitteln der Kirche ebenso wie Hexen- und Dämonenglaube, Wundersducht und Astrologie. Propheten verkündeten das nahe Weltende, wie es Albrecht Dürer in seiner berühmten „Apokalypse“ gestaltete. Die weitverbreiteten Totentanzdarstellungen drückten einerseits die zutiefst pessimistischen Todeserwartungen aus, andererseits enthielten sie auch Elemente sozialer Kritik, indem sie den Tod als das allen Menschen gemeinsame Schicksal, auch von Kaisern und Päpsten, Fürsten und Bischöfen, zeigten.

Das schwindende Vertrauen in die Kirche, die Suche nach dem wahren Willen Gottes, nach dem von ihm offenbarten Gesellschaftszustand, verbunden mit den sozialen Wünschen und Forderungen des Volkes, gebaren neue Vorstellungen und Programme mit revolutionärer Sprengkraft. -

Der Gedanke keimte auf und ergriff die Massen, dass die Gesellschaft grundlegend verändert werden müsse, um einen alten, gottgewollten Rechts- und Gesellschaftszustand wiederherzustellen. Der erste, der im deutschen Südwesten mit solchen Gedanken das Volk erregte, war der Pfeifer von Niklashausen.«

Anmerkung

1 Ulrich von Hutten: Gesprächbüchlein. In: Hutten, Müntzer, Luther: Werke in zwei Bänden. Ausgew. und eingel. von Siegfried Streller, Bd. 1, Berlin/Weimar 1970, S. 140.

Quelle: Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution. Dietz Verlag Berlin 1974. Vgl.: Das Heranreifen der deutschen frühbürgerlichen Revolution. Wachsende Gegensätze in Staat und Kirche. Kirchenkritik und Gläubigkeit des Volkes.

https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Hus

 


VON: REINHOLD SCHRAMM (BEREITSTELLUNG)






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