Schwarzers „Appell gegen Prostitution“

02.11.13
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von Dona Carmen e.V.

Eine Entgegnung von Doña Carmen e.V.

Alice Schwarzer startet wieder einmal eine Kampagne gegen Prostitution. Ein von ihr initiierter „Appell gegen Prostitution“ fordert jetzt von der Bundesregierung „Maßnahmen, die kurzfristig zur Eindämmung und langfristig zur Abschaffung des Systems Prostitution führen.“

Schon hier die erste Lüge der Alice Schwarzer. Denn sie bekämpft nicht irgendein abstraktes „System der Prostitution“. Sie bekämpft ganz konkret die in der Prostitution tätigen Sexarbeiter/innen, jede einzelne Frau, die dort sexuelle Dienstleistungen anbietet.

Es gibt kein „System“ jenseits der Frauen. Es sind die Rechte der Frauen auf eine freie und ungehinderte Berufsausübung, die Schwarzer mit Füßen tritt. Eine feine „Frauenrechtlerin“!

1. Prostitution als „moderne Sklaverei“?

Prostitution sei „moderne Sklaverei“ – tönt Schwarzer, um ihrem Tun den Schein einer Rechtfertigung zu geben. Es ist die zweite Lüge der Frau Schwarzer. Versklavte Menschen sind Eigentum anderer. Sklaven sind käufliche oder verkaufbare Dinge, nicht aber Personen und damit Rechtssubjekte. Sklaverei bedeutet, dass der Kauf und Verkauf von Menschen eine legale Angelegenheit, eine sozial akzeptierte Institution ist. Bei aller notwendigen und berechtigten Kritik an heutiger Unfreiheit – von Sklaverei, ob alt oder modern, kann hierzulande wahrlich keine Rede sein.

Ausdrücklich hat die Bundesregierung den hierzulande in der Prostitution tätigen Frauen die Grundrechte zugebilligt. Für Migrantinnen gelten die Bürgerrechte der EU. Wer nichtsdestotrotz zum brutalst möglichen Vorwurf greift und Sexarbeit als „moderne Sklaverei“ denunziert, verhöhnt im Nachhinein nicht nur Millionen Menschen, die tatsächlich unter der Sklaverei zu leiden hatten, sondern betreibt billige Effekthascherei auf deren Kosten. Der Zweck heiligt die Mittel. Geht es doch darum, die Lebenslüge der Prostitutionsgegner salonfähig zu machen, Frauen würden in der Prostitution nicht einvernehmlich eine Dienstleistung, sondern ihren Körper, ihre Seele, ihre Person verkaufen.

Wären Sexarbeiterinnen wirklich in einer ‚sklavenähnlichen Situation‘, wie Schwarzer meint unterstellen zu können, dann bräuchten sie nichts dringender als mehr Rechte. Dass Alice Schwarzer aber jemals Rechte für Sexarbeiterinnen gefordert hätte, ist uns bislang noch nicht zu Ohren gekommen. Und dass Frau Schwarzer gegen die größte Geißel der heutigen Zeit, die Lohnsklaverei, ihre Stimme erhoben hätte, wäre uns ebenfalls neu. Ihr geht es eben nur um das Niedermachen der Prostituierten.

2. Gleichheit der Geschlechter durch Abschaffung der Prostitution?

Prostitution sei eine „Fortschreibung der traditionell gewachsenen Ungleichheit zwischen Männern und Frauen“, sagt Schwarzer und suggeriert, mit ihrer Abschaffung befördere man die Gleichheit der Geschlechter. Welch ein Blödsinn! Noch niemals in der Geschichte hat die Ächtung oder das Verbot von Prostitution die Gleichstellung von Mann und Frau auch nur einen Millimeter vorangebracht. Schwarzer aber will genau das Glauben machen und geht auf Dummenfang.

Eine Kriminalisierung von Prostitution hatte stets zur Folge, das freizügige Sexualverhalten von Frauen, die nicht in der Prostitution arbeiteten, zu missbilligen und durch den Dreck zu ziehen. Das waren hierzulande die Zeiten, als Frauen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ (hwG) als „Nutten“ galten und gesellschaftlich geschnitten wurden. Wollen wir dahin zurück?

Selbstverständlich ist Prostitution in ihrer heutigen Form Ausdruck einer patriachalischen Gesellschaft. Und zu Recht gibt es gleichstellungspolitische Einwände gegen ihre jetzige Form. Doch wohlgemerkt, nicht die Prostitution an sich ist patriachalisch, sondern das exklusive Privileg des Mannes darauf. Für eine wirkliche Gleichstellungspolitik heißt das: Auch Frauen sollten sexuelle Dienstleistungen, z. B. von Callboys käuflich in Anspruch nehmen können und dürfen. Es gilt also, den Kauf und Verkauf sexueller Dienstleistungen auszuweiten und zu egalisieren, anstatt Prostitution zu ächten und zu verbieten.

Warum - wenn ihr die Gleichheit der Geschlechter so sehr am Herzen liegt - hört man dazu nichts von Frau Schwarzer?

3. Billige Polemik gegen die „Käuflichkeit des Geschlechts“

Ausgerechnet Alice Schwarzer, die sich für Werbezwecke und Berichterstattung der BILD-Zeitung verkauft hat, moralisiert gegen die „Käuflichkeit des Geschlechts“. Lachhaft!

Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft ist die Grundlage dieser Gesellschaft. Wem das nicht passt, soll es kritisieren. Wer aber das Grundverhältnis dieser Gesellschaft nicht angreift, hat jedes moralische Recht verwirkt, über die „Käuflichkeit des Geschlechts“ in der Prostitution herzuziehen. Eine primitive Ersatzhandlung und ein Ventil für aufgestauten Frust – mehr ist das nicht. Gegenüber den Sexarbeiterinnen aber ist das nur schäbig.

4. Die Verdrängung des Sex

Schwarzers ‚Appell gegen Prostitution‘ ist unverkennbar geprägt vom schwerfälligen, oberlehrerhaften, insgesamt galligen Unterton der Verbitterung und Freudlosigkeit einer Generation 70 plus. Da passt es ins Bild, dass in diesem Appell, der von Prostitution handelt, „Sex“ mit keiner einzigen Silbe Erwähnung findet. Eine grandiose Verdrängungsleistung! Aber das entspricht durchaus der offenbar sexualfeindlichen Grundeinstellung der größtenteils konservativen Unterzeichner-Klientel. Schämt man sich schon wieder bei der Erwähnung des Wortes ‚Sex‘?

Allemal ist es grotesk, dass ein Aufruf, der Kritik an Prostitution zum Gegenstand hat, diesen zentralen Aspekt glaubt aussparen zu können. Denn was zeichnet das Wesen von Prostitution aus? Es ist die ‚Trennung von Sexualität und Liebe‘, eine historisch entwickelte und erworbene Fähigkeit, die durch Professionalisierung kultiviert wird. Es handelt sich dabei um eine mit der Warenwirtschaft entwickelte Kulturtechnik, die (in der Regel nur dem Mann) eine vom Zufall und der Gunst des Augenblicks losgelöste, jederzeitige, nicht-reproduktive sexuelle Befriedigung gewährleistet.

Wie will man über Prostitution befinden oder sie kritisieren, wenn man über den zentralen Aspekt ‚Sex‘ schweigt? Ein aufklärerisches Anliegen darf dem Appell von Frau Schwarzer daher mit Fug und Recht abgesprochen werden.

5. Menschenwürde nur jenseits der Prostitution?

Prostitution, so sagt Schwarzer, verletze die „Menschenwürde von Männern und Frauen“. „Ein menschenwürdiges Leben ist denkbar“ – offenbar jenseits von Prostitution. In der Tat: Menschenwürde reklamieren Prostitutionsgegner wie Schwarzer ausschließlich und exklusiv für sich selbst! Sie definieren für andere, was deren ‚Menschenwürde‘ ist. Im Zweifel auch gegen den Willen der Betroffenen! Schwarzer macht sich damit stark für ein System der Entmündigung, wie man es aus alten Zeiten kennt. Deswegen auch die vielen kirchlichen Schleppenträger als Unterzeichner/innen des Aufrufs von Schwarzer. Der Konservativismus der Schwarzer - das ist ganz nach ihrem Geschmack.

Doch längst hat sich herumgesprochen: Menschenwürde ist unteilbar. Es gibt nicht eine Menschenwürde, die Prostitutionsgegner für sich reserviert haben, und die man Sexarbeiterinnen vorenthalten kann.

Allzu viele sind heutzutage auf dem Ticket ‚Menschenwürde‘ unterwegs und machen doch nichts anderes, als die Würde des Menschen gegen dessen Selbstbestimmungsrecht auszuspielen. Schwarzer ist eine von ihnen. Die rechtliche Diskriminierung von Sexarbeit fordern und das als Eintreten für Menschenwürde zu vermarkten – welch eine Verlogenheit!

6. Ächtung und Kriminalisierung der Freier

„Ächtung und wenn nötig, auch Bestrafung der Freier“, das fordert Schwarzer. Jede/r, die/der an eigenem Leib einmal erfahren hat, was gesellschaftliche Ächtung bedeutet, der zuckt unwillkürlich zusammen. Nicht so Frau Schwarzer. Nichts scheint ihr leichter von den Lippen zu gehen als die Forderung einer Ächtung von Männern, die sexuelle Dienstleistungen nachfragen und die sie als „Frauenkäufer“ tituliert.

Nun ist es aber ein Unterschied, ob man etwa ein gesellschaftliches Verhältnis wie die Sklaverei oder aber den Einsatz bestimmter Waffensystem wie chemische oder atomare Waffen ächtet, oder ob man für die Ächtung rechtlich bereits diskriminierter Personengruppen eintritt. Hierbei geht es – wie einst im Mittelalter oder im Wilden Westen – darum, Personen rechtlos zu stellen, für vogelfrei zu erklären, zum Abschuss freizugeben. Die Forderung nach einer Ächtung und Kriminalisierung von Prostitutionskunden fällt in diese Kategorie. Die Ächtung von Prostitutionskunden ist nichts anderes als die verschämte Form der Ächtung von Sexarbeiterinnen, mithin der Ächtung gesellschaftlicher Minderheiten.

Die rote Linie diesbezüglich ist von Schwarzer längst überschritten. Ohne Hemmungen plädiert sie dafür, die Staatsmacht und deren repressives Handeln auf Menschen anzusetzen, deren Verhalten nicht in ihr eigenes Weltbild passt. Ein solches Verhalten Schwarzers ist äußerst bedenklich. Weckt es doch Assoziationen an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

7. Verharmlosung des Faschismus - verkappter Nationalismus?

Zu den Erstunterzeichner/innen von Schwarzers Appell zählt die Organisation „Femen Deutschland“, die im Januar 2013 mit einer denkwürdigen Aktion in der Hamburger Herbertstraße ihre Kampagne „Fickt die Sex­in­dus­trie“ startete. Denkwürdig war: Ein Haken­kreuz war anstatt des „x“ in dem Wort „Sex­in­dus­trie“. Gleichzeitig pinselten die Femen-Aktivistinnen in Hamburg die KZ-Toraufschrift »Arbeit macht frei« und Sätze wie „Pro­sti­tu­ti­on is ge­no­ci­de“ an die Wände. Zweifellos eine hirnlose und den Nationalsozialismus verharmlosende Gleichsetzung der Sexindustrie mit Verhältnissen im Faschismus. Billige Effekthascherei sollte wieder einmal fehlende inhaltliche Argumente ersetzen.

Nun könnte man darüber hinwegsehen, hätte Alice Schwarzer in ihren Publikationen nicht in ganz ähnlicher Weise die Verhältnisse im deutschen Faschismus relativiert und verharmlost, indem sie mehr als einmal Juden und Frauen als gleichwertige Opfer des Faschismus präsentierte.

So glaubte Schwarzer 1985 zu wissen, „dass auch ich selbst zu einer minderen Rasse gehöre: zu der der Frauen.“ (Alice Schwarzer, Mit Leidenschaft, 1985, S. 135) Schließlich hätten auch die Frauen einen Genozid vorzuweisen: die Millionen ermordeter ‚Hexen’. Gegner ihres Konzepts von Frauenemanzipation bezeichnete Schwarzer - mit dem Jargon der Nazis kokettierend - mehrfach als Vertreter einer „Herrenrasse“. Schwarzer und ihre Zeitschrift EMMA propagierten die These der amerikanischen Therapeutin Judith L. Herman von „den kleinen versteckten Konzentrationslager(n), errichtet von Tyrannen, die über ihre Familie herrschen“. (EMMA, Jan/Febr. 2004, S. 88) Hier werden heutige Opfer häuslicher Gewalt mit politischen Opfern des Nazi-Regimes auf eine Stufe gestellt. So genannte „Lustmörder“ bezeichnet Frau Schwarzer mehrfach als die „SS des Patriachats“, was zweifellos die SS verharmlost. Immer wieder drängen sich Schwarzer „Parallelen zu 1933“ auf: „Auch damals waren (zunächst) die Juden im Visier - und die Frauen“. Schließlich habe es unter Hitler ein Berufsverbot für weibliche Juristen gegeben. (EMMA, März/April 2002) „Den Gaskammern der Nazis gingen selbstverständlich die Propagandafeldzüge der Nazis voraus, die jüdische Menschen wie Untermenschen gezeigt haben. Und wir Frauen werden heute gezeigt wie Untermenschen.“ (EMMA-Sonderband PorNO, 1988, S. 49) „Wollt ihr die totale Objektfrau?“ fragte Schwarzer, Goebbels imitierend, seinerzeit in der von ihr initiierten PorNo-Kampagne. (PorNO, 1994, S. 85) Allemal legte Schwarzer es darauf an, Frauen „mit anerkannt Diskriminierten, mit Schwarzen oder gar Juden (zu) vergleichen“. (Alice Schwarzer, Mit Leidenschaft, 1985, S. 200) Das fand sie keineswegs problematisch. Denn solche „realistischen Parallelen“ seien nötig „weil oft erst das die Ungeheuerlichkeit der Frauen-‚Normalität’ klarmacht“, so Schwarzer. (ebenda, S. 200)

Wer wie Schwarzer die rechtliche und gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen in demokratisch verfassten Gesellschaften mit der Verfolgung der Juden unter dem Hitler-Regime derart auf eine Stufe stellt und Opfer häuslicher Gewalt mit Opfern politischer Gewalt unter dem Nationalsozialismus gleichsetzt, der betreibt eine verantwortungslose Verharmlosung und Banalisierung der Nazi-Verbrechen. Diese Verbrechen werden für pseudofeministische Zwecke instrumentalisiert, um eine angeblich allgegenwärtige „Männergewalt“ zu behaupten, zu dämonisieren und Frauen als stets hilflose Opfer zu fixieren. Frauenbefreiung wird auf diese Weise mit dem Heiligenschein einer antifaschistischen Tat versehen und vermarktet.

Wenn die Gruppe um ‚Femen‘ nun als eine der Erstunterzeichner des ‚Appells gegen Prostitution‘ in Erscheinung tritt, treffen sich mithin Gleichgesinnte.

Es ist nicht unwichtig sich vor Augen zu führen, dass Schwarzer als auch Femen nicht nur Prostitutionsgegner, sondern insbesondere erbitterte Gegner von Prostitutionsmigrantinnen sind. Prostitutionsmigration ist für sie der Inbegriff von „Armuts- und Zwangsprostitution“ und somit rundweg abzulehnen. Doch auch die „deutschstämmigen Prostituierten“ (!) gelten Schwarzer als Opfer. Prostituierte vom Stamme der Deutschen? Hallo? Derartige Bezeichnungen haben wir lange nicht mehr gehört! Es ist ein nationaler Jargon, der einem hier aus Schwarzers „Appell gegen Prostitution“ entgegenschlägt. Hat dies niemand der Unterzeichner/innen gestört?

8. Schwarzers Gefolgschaft

„Prominente unterschreiben gegen Prostitution“ - so titeln die von Schwarzers Kampagne mal wieder faszinierten Medien. Vieles soll an die Anti-Abtreibungskampagne des ‚Stern‘ im Jahre 1971 erinnern. Wieder werden Gesichter auf einer Titelseite präsentiert, wieder – wie seinerzeit – unterschreibt Senta Berger. Doch es handelt sich um ein schlechtes Remake. Die vordergründige Ähnlichkeit täuscht.

Während damalige Unterzeichnerinnen für Fraueninteressen, gegen bestehende Gesetze unterschrieben und dabei etwas riskierten, wird diesmal die Einschränkung der Rechte von Frauen (in der Sexarbeit) gefordert. Damals agierte man noch gegen die (katholische) Kirche, heute sitzt sie bei Schwarzer mit im Boot. Denn sie hat obsiegt. Jahrhundertelang hatten hierzulande die christlichen Kirchen und Sekten das Monopol auf die moralische Erregung über Prostitution. Mittlerweile hat ein staatstragender Pseudo-Feminismus ihnen dieses Monopol streitig gemacht. Was für ein Fortschritt!

Es gereicht insbesondere dem deutschen Feminismus und seiner Ikone Alice Schwarzer zur Schande, wenn es heute – im 21. Jahrhundert! – immer noch den Strafrechtsparagrafen § 218 gibt, in dem es bis heute heißt: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Doch Frau Schwarzer hat mittlerweile das Geschäftsfeld gewechselt und spekuliert in Anti-Prostitutionspolitik. Mit den Vertreter/innen einer frauenfeindlichen Religion wie dem Katholizismus hat sie längst ihren Frieden geschlossen – auf Kosten der Frauen, für die sie zu sprechen vorgibt.

Anders als damals agiert man heute im Mainstream: Prostituierten-Bashing ist ‚in‘. Die Rede von „Zwangsprostitution“ ist längst durch die Medien, die Bezeichnung von Prostitution als „moderne Sklaverei“ ist ein alter Hut amerikanischer Prostitutionsgegnerinnen, und auch die Forderung nach einer Kriminalisierung von Prostitutionskunden ist seit dem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels vom 16. Mai 2005 offizielle Linie einer fragwürdigen EU-Politik mit dem faden Beigeschmack von Etikettenschwindel: Denn es geht dabei neben traditioneller Prostitutionsgegenschaft vor allem um eine Politik der Migrationsabwehr. Vieles im Appell der Frau Schwarzer ist also geklaut und schlicht ein Fake.

Gleichwohl haben viele bekannte Namen aus „Kunst und Kultur“ Schwarzers Appell unterzeichnet. Ein veritabler Fehler! Wir möchten nicht über deren Motive spekulieren, wagen aber mal die Behauptung, dass insbesondere Vertreter/innen aus dem hoch ehrwürdigen Bereich „Kunst und Kultur“ sich in den Niederungen des profanen Alltags von Sexarbeiterinnen hierzulande nicht wirklich auskennen und Schwarzers leichte Beute wurden. Ob sie die behördliche Schikanen durch das ‚Düsseldorfer Verfahren‘ der Sonderbesteuerung von Sexarbeiter/innen kennen, ob sie die nötigende und illegale Praxis der Zwangsregistrierung von Sexarbeiter/innen durch die Münchner Polizei kennen, ob sie die Praxis der Platzverweise und des Kontaktverbots am Dortmunder oder Hamburger Straßenstrich kennen, ob sie die illegale Praxis der Verweigerung von Arbeitsvermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit kennen, ob sie die erniedrigenden und Grenzen überschreitenden Treibjagden gegen Frauen in der Prostitution (und immer mehr auch gegen Freier) im Zuge der ständigen Rotlicht-Razzien kennen - all das bezweifeln wir.

Manch eine/r würde in Kenntnis dieser Realitäten womöglich ihre/seine Unterschrift unter die Forderung nach noch weiter gehender Repression gegenüber Sexarbeiter/innen überdenken. Aber sicherlich nicht alle. Einige wissen genau, was sie tun, wenn sie Schwarzer beispringen. Insbesondere jene, die sich als Unterzeichnerinnen des Appells ausdrücklich den Institutionen der frauenfeindlichen monotheistischen Religionen zuordnen. Das ist im Fall von weiblichen Unterzeichnerinnen zweifellos praktizierter Sadomasochismus. Sie alle eint die Blutspur, die ihre Religionen im Kampf gegen Prostitution in der Geschichte hinterlassen haben.

Da findet sich dann die unvermeidliche Frau Käsmann, die anderen Menschen Wasser predigt und selbst (in Hannover, während der Fastenzeit) zu viel Wein säuft. Da ist die Caritas-Constabel und die Anti-Prostitutions-Nonne Lea Ackermann, deren Verein Solwodi schmutziges Geld verdient mit der so genannten ‚freiwilligen‘ Rückführungspolitik von Migrantinnen in ihre von Armut und Krieg geprägten Herkunftsländer. Da ist der verhinderte Jesuit Dr. Heiner Geißler. Und - weil sich Schwarzer für keine Peinlichkeit zu schade ist – solche Lichtgestalten der deutschen Frauenemanzipation und Heldin der Arbeit des Europäischen Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP).

Wenngleich sich unser Respekt vor den Unterzeichner/innen des Aufrufs von Frau Schwarzer in Grenzen hält, so ist doch einzuräumen, dass der ‚Appell gegen Prostitution‘ ernst genommen werden muss. Er fällt dem Kampf der Sexarbeiter/innen für ihre Rechte in den Rücken und untergräbt die notwendige gesellschaftliche Wertschätzung von Sexarbeit. Und er schadet allen Frauen hierzulande. Denn eine schärfere Gangart gegen Prostitution war historisch schon immer ein Vorbote dafür, dass es tatsächlich gegen die freizügige Sexualität aller Frauen, gegen eine freie Gesellschaft ging.

9. Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter

Schwarzers ‚Appell gegen Prostitution‘ ist rückwärtsgewandt und Teil der verbreiteten gesellschaftspolitischen Retro-Welle. Sie setzt um, was Helmut Kohl seinerzeit als „geistig-moralische Wende“ eingefordert hatte. Doch Schwarzer und ihr Anhang kommen einfach zu spät. Der Zug ist abgefahren.

Angebot und Nachfrage sexueller Dienstleistungen sind in der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung gut begründet. Es sei nur stichwortartig verwiesen auf die Herausbildung der modernen Arbeitsteilung und der Ware-Geld-Beziehungen; auf die Verstädterung bürgerlicher Gesellschaften; auf die den Menschen ökonomisch abgenötigte Mobilität in Zeiten der Globalisierung; auf die demographische Entwicklung hin zu einer älter werdenden Gesellschaft, wo die Beziehung zu einem Liebespartner nicht mehr automatisch eine Lebenspartnerschaft bedeutet, die 50 oder 60 Jahre halten müsste; auf den medizinischen Fortschritt im Hinblick auf die Möglichkeiten der Prävention und Heilung von Krankheiten, die früher als unheilbar galten; auf die Fortschritte in der Geburtenkontrolle; und nicht zuletzt auf die unaufhaltsame Säkularisierung moderner Gesellschaften

All dies sind ökonomisch begründete Faktoren, die der Herausbildung einer „Sexindustrie“ zugrunde liegen. Eine Verbotspolitik und der Wunsch nach Strafe werden daran nichts ändern. Eine aufgeklärte Gesellschaft gestaltet diesen Prozess. Nur ewig Gestrige ziehen daraus Argumente für eine Hexenjagd.

Schwarzers „Appell gegen Prostitution“ ist ein Fall für den Papierkorb. Jeder zweite Satz ist eine Lüge. Das ist der Fall, wenn von „700.000 Frauen“ in der Prostitution hierzulande die Rede ist; wenn vom Prostitutionsgesetz behauptet wird, es trage die „Handschrift der Frauenhändler“; wenn die amtlich längst widerlegte Behauptung wiederholt wird, seit Einführung des Prostitutionsgesetzes sei Deutschland eine „Drehscheibe des Frauenhandels“ (vgl. dazu Kritische Justiz, Heft 4, S. 460 (2012)); wenn Ausländerinnen notorisch als „Armuts- und Zwangsprostituierte“ stigmatisiert werden.

Früher warnte man Frauen: ‚Pass auf, du gerätst auf die ‚schiefe Bahn‘, du landest ‚in der Gosse‘. Heute erklärt Schwarzer, dass Prostituierte - die „schon als Kinder“ Opfer sexueller Gewalt gewesen seien - „zu über 90 % in der Altersarmut“ landen würden. Wo ist der Unterschied?

Schwarzers Absicht ist durchsichtig und erbärmlich, die inhaltliche Substanz einfach lausig.

Aber genau damit trifft sie heute das Niveau vieler Medien. Und das ist ein Problem.

Gleichwohl tun Sexarbeiter/innen und alle, die deren berechtigte Anliegen unterstützen, gut daran, dem eitlen Kampf der Frau Schwarzer um mediale Aufmerksamkeit nicht allzu großen Stellenwert beizumessen. Prostitutionspolitik in diesem Land wird nicht von katholischen CDU-Frauenverbänden oder von Frau Schwarzer gemacht, sondern bedauerlicherweise immer noch vom Bundeskriminalamt und dessen Schleppenträgern quer durch alle politischen Parteien. Nicht das Verbot von Prostitution steht auf der Tagesordnung, sondern die nicht minder gravierende „Konzessionierung“ von Prostitutionsstätten, die mit jederzeitigen, anlasslosen und verdachtsunabhängigen Kontrollen auf die überwachungsstaatlich registrierte und geprüfte Sexarbeiterin zielt. Der Bremer Entwurf für ein „Prostitutionsstättengesetz“ zeigt, was auf uns zukommt.

Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche, auf die Rechte, die wir fordern und die Möglichkeiten ihrer Durchsetzung, nicht auf den Boulevard und den medialen Markt der Eitelkeiten!

2. Frankfurter ProstitutionsTage (22. – 24. November 2013)

Die 2. Frankfurter Prostitutionstage bieten ein Forum der Auseinandersetzung über die aktuelle Entwicklung der Prostitutionspolitik. Alle Interessierten sind recht herzlich eingeladen, darüber nachzudenken und zu beraten, wie das Recht auf ungehinderte Berufsausübung von Frauen und Männern in der Prostitution gestärkt werden kann.

Die 2. Frankfurter ProstitutionsTage werden organisiert von Doña Carmen e.V.,
Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten.

Das PROGRAMM finden Sie unter:
www.donacarmen.de/?p=413#more-413

ANMELDUNG:
Eine vorherige Anmeldung ist erforderlich. Anmeldungen über Doña Carmen e.V.; Anmeldeschluss ist der 15. November 2013.

TEILNAHMEGEBÜHR:
Als Beitrag zur Deckung der Unkosten erheben wir eine Teilnahmegebühr von 20,- Euro. Der Betrag ist auf folgendes Konto zu überweisen:
Doña Carmen e.V., Frankfurter Sparkasse 1822, Konto 466 166, BLZ 500 502 01
Stichwort „ProstitutionsTage“

DONA CARMEN E.V.
Elbestr. 41
60329 Frankfurt/Main
Tel: 069-76752880
Fax: 069-76750882

www.donacarmen.de

SPENDENKONTO
Dona Carmen e.V.
Frankfurter Sparkasse
Konto: 466 166
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VON: DONA CARMEN E.V.


Auf nach Frankfurt am Main... - 03-11-13 20:48




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