Von Dieter Blumenfeld
Am 20. Februar beschloss das EU-Parlament mit großer Mehrheit das Abstimmungsergebnis des irischen Referendums über den Lissabon-Vertrag nicht anzuerkennen.
Im Mai wird der südliche Teil Irlands als einziges Land der EU, in dem dies die Verfassung vorschreibt, über den Lissabon-Vertrag abstimmen. Das Lager der Gegner ist groß, bei weitem größer ist die Ablehnung als etwa in Frankreich oder den Niederlanden zur selben Zeit vor dem Referendum. Mitte Jänner veröffentlichte die Irish Times eine Umfrage, in der nur 26 Prozent der Bevölkerung erklärten, für den Lissabon-Vertrag stimmen zu wollen.
Alles deutet nun klar auf eine Ablehnung des Vertrags der Bevölkerung der 26 Counties bei dem Referendum hin. Bereits seit Monaten versucht die politische Elite daher alles, um die Stimmung zu ändern. Taoiseach (Premierminister) Bertie Ahern warnte vor „der Isolation Irlands in Europa“, wenn die Bevölkerung den Lissabon-Vertrag ablehnen werde. EU-Kommissar Charlie McCreevy meinte am 3. Dezember, dass die irische Bevölkerung die „Zielscheibe des Spottes von ganz Europa“ werden würde.
Doch alle Worten halfen nichts, die Stimmung der Bevölkerung blieb weiterhin klar in Opposition zum Lissabon-Vertrag. Das EU-Parlament beschloss daher mit großer Mehrheit, der irischen Bevölkerung jedes Mandat zu entziehen, über ihre Zukunft selbst entscheiden zu können.
Mit großer Mehrheit von 499 zu 129 Stimmen beschloss das Parlament in Brüssel, das Ergebnis des Referendums im Mai nicht anzuerkennen!
Der Antrag war ein Anhang zu einer Resolution unter der Bezeichnung „Mehr demokratische Verantwortung“. Der Wortlaut des Antrags war: „Das Europäische Parlament verpflichtet sich, den Ausgang des Referendums in Irland zu respektieren.“
Einer der Gegner dieses Antrags war auch der irische Labour-Abgeordnete Proinsias De Rossa, der seine Stimmverhalten folgend erklärte: „Der Vertrag ist kein elegantes Dokument; es gibt viele wenn, aber und vielleicht darin, doch es gibt keinen anderen Weg [als das Referendum] für eine so verschiedene Familie von Nationen, um die Macht zu teilen.“
Das EU-Parlament wird ein demokratisch erzieltes Ergebnis einer Volksabstimmung nicht anerkennen, da der Ausgang höchst wahrscheinlich ihren Zielen widersprechen wird. Dementsprechend „zornig und fassungslos“ reagierte daher die Dubliner Abgeordnete Mary Lou Mc Donald von Provisional Sinn Féin: „Es ist bizarr, der Labour MEP, Proinsias De Rossa, macht derzeit eine aktive Kampagne für ein ‚Ja’ beim kommenden Referendum und stimmt zugleich gegen den Antrag [dieses Referendum überhaupt anzuerkennen]“, schrieb sie in einer Presseaussendung.
Die Abstimmung in Brüssel zeigt bereits deutlich, wo das große Demokratiedefizit des Lissabon-Vertrags liegt. Zuerst wurde die EU-Verfassung von der Bevölkerung abgelehnt, woraufhin die EU mit dem Lissabon-Vertrag herausrückte. Ein Dokument, dass außer zehn, alle 250 Artikel wörtlich der abgelehnten EU-Verfassung entnommen hat. Zu 96% ist der Lissabon-Vertrag also mit der abgelehnten EU-Verfassung identisch. Nachdem die Bevölkerung aber nicht so einfach zu täuschen ist, beschloss das EU-Parlament nun erstmals derart offensichtlich, jede demokratische Meinungsäußerung der Bevölkerung zu ignorieren.
Der Vorgang des EU-Parlaments provozierte die Frage eines Internetusers: Vor 90 Jahren akzeptierte die Britische Union die Ausrufung der irischen Republik nicht und schickte die rechtsextremen Black and Tans. Heute akzeptiert die Europäische Union das irische Referendum nicht. Wird sie ihre Battlegroups nach Irland schicken?
Dieter Blumenfeld, 21. Februar 2008