Von Charlotte Ullmann
Es ist eine verzwickte Situation für die Parteien: Um Glaubwürdigkeit zu erlangen oder zu behalten müssen sie sich an Wahlversprechen halten. Nun könnte man sagen, schlitzohrig verhalte sich die Partei, die erst gar keine Wahlversprechen macht oder sich vor der Wahl so vage hält, dass sie hinterher alle Optionen hat, ohne ihr Wort brechen zu müssen. Doch das kann zum Eigentor werden. Weil man dann vielleicht gar nicht gewählt wird. Denn ohne klare Positionierung vor der Wahl geht es eben auch nicht. Dabei weiß man ja vor der Wahl noch gar nicht, wie der Wähler sich entscheiden wird. Trotzdem: Vorstellbar wäre da immerhin eine eingegrenzte Positionierung für alle möglichen Eventualitäten.
Nun ist unter den gewählten maßgeblichen Parteien in Hessen eine Patt-Situation entstanden. Nicht allein, weil es jetzt fünf Parteien gibt, die sich arrangieren müssen. (Das war ja vorherzusehen). Sondern auch, weil die Parteien, insbesondere die etablierten, spätestens mit dem Abgang von Schröder um ein neues Glaubwürdigkeitsimage ringen. Genau deshalb wollen sie, auf Teufel komm raus, ihre Wahlversprechen einhalten, so unsinnig sie auch geworden sein mögen. Sich in einer solchen Situation richtig zu verhalten gleicht einem Salto Mortale in der Zirkuskuppel, und das ohne Netz.
Aus Angst, weiterhin Terrain zu verlieren, hat die SPD bei der Hessenwahl der Linkspartei das Wasser abgegraben. Mit einer plötzlich linken Wahlkampfrhetorik und einer Rückbesinnung auf ihre Wurzeln, nämlich als eine Partei der sozialen Gerechtigkeit zu gelten. Eben weil ihr diese Identität abhanden gekommen war, hatte sich die WASG gegründet, die erst der Linkspartei/PDS zur Bundestagswahl 2005 eine Frischzellenkur verpasst und sich dann auch noch mit ihr verschmolzen hat (im Sommer 2007). Gegen eine solche Frischzellenkur wehrt sich die Hessen-SPD mit Händen und Füßen, insbesondere eine Ypsilanti. Obwohl doch die Kur indirekt wirksam war. Wenigstens ansatzweise (siehe linke Wahlkampfrhetorik). Ihr wirklich guter und raffinierter Wahlkampf hat der SPD überdies Stimmen gebracht, die der LINKEN verloren gingen, zumindest in Hessen, obschon jeder hätte wissen müssen, dass die SPD die Agenda 2010 und Hartz IV hauptverantwortlich exekutiert hat und ihre Wahlkampfversprechen daher als bloße Lippenbekenntnisse hätten bewertet werden müssen.
Wie man sieht, die SPD und die LINKE erscheinen komplementär: verliert die eine Partei, gewinnt die andere, und vice versa. Das heißt aber auch, dass die eine ohne die andere nicht kann oder umgekehrt, die eine ist der anderen Tod. Das ist die tragische Dialektik einer unheilvollen Symbiose, die sich noch verstärken könnte, sollten sich beide Parteien verbrüdern, und sei es nur in Form einer Tolerierung. Wessen Tod da wahrscheinlicher ist, liegt auf der Hand.
Als Gewinner aus dieser Situation würde sich die CDU in die Opposition davonmachen und feixen.
Zusammen mit der FDP. Wie es dann 2009 zur Bundestagswahl aussieht, steht nicht ausschließlich in den Sternen geschrieben.
Charlotte Ullmann am 22. Februar 2008