Erklärung der isl zum "Fall Christel Wegner" und den Folgen

27.02.08
TopNewsTopNews, Politik 

 

Zu den Veröffentlichungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner und dem, was daraus gemacht worden ist, erklärt die Koordination der isl:
1. Offensichtlich sind Äußerungen von Christel Wegner in verschiedenen Presseorganen gezielt für eine antikommunistische Kampagne missbraucht worden. Damit sollte der Wahlkampf in Hamburg massiv beeinflusst werden. Auslöser dieser Kampagne war die Hamburger SPD, deren Spitzenkandidat Michael Naumann Herausgeber der großbürgerlichen Wochenzeitung Die Zeit ist. Die Hamburger SPD hat im Wahlkampf gegen die Kandidatur der Partei DIE LINKE eine massive Kampagne betrieben, die in der Frankfurter Rundschau zu Recht mit der Rote-Socken-Kampagne der CDU gegen die ehemalige PDS verglichen worden ist.

2. Auch wenn die Äußerungen von C. Wegner instrumentalisiert worden sind, bleibt leider festzustellen: Sie hat nicht gesagt - vermutlich, weil sie das nicht so sieht -, dass die Stasi nicht nur ein Nachrichtendienst, sondern ein Instrument zur Ausspionierung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung war; das Ministerium für Staatssicherheit hat ja sich nicht auf Geheimdienstaufgaben im gängigen Sinn beschränkt. Ein solches Regime ist unakzeptabel, es ist unvereinbar mit Sozialismus im Sinne der allseitigen menschlichen Emanzipation. Fast 20 Jahre nach der Auflösung und anschließenden Einverleibung der DDR durch die BRD bleibt für uns festzuhalten, dass für Teile der Deutschen Kommunistischen Partei, aber auch anderer politischer Strömungen noch keine politische Verarbeitung des Scheiterns des fälschlich so genannten "realen Sozialismus" stattgefunden hat. Die Frage der Demokratie in einer sozialistischen Gesellschaft oder einer nachkapitalistischen Gesellschaft im Übergang zum Sozialismus scheint für sie noch immer vernachlässigbar zu sein. Sie scheinen nach wie vor davon überzeugt zu sein, dass eine sich über die Arbeiterklasse erhebende Parteibürokratie ein Garant für eine sozialistische Entwicklung sein kann. Solche Vorstellungen diskreditieren alle antikapitalistische Strömungen; in Wirklichkeit sind sie alles andere als radikal, weil sie mit den AnhängerInnen von "Realo-Politik" und Anpassung an den Liberalismus die Überzeugung teilen, dass radikale Demokratie von unten und Selbstorganisation der Ausgebeuteten und Unterdrückten unmöglich oder sogar gefährlich sind - staatliche und andere Apparate sollen dafür sorgen, dass alles in geordneten Bahnen bleibt.

3. Die isl, deren GenossInnen solidarisch in der Partei DIE LINKE und in verschiedenen sozialen Bewegungen mitarbeiten, setzt sich in ihren politischen Aktivitäten und in ihren Erklärungen für einen Ausbau der demokratischen Beteiligung der Bevölkerung ein. Dies gilt für die bestehende bürgerliche parlamentarische Demokratie, erst recht aber für eine nachkapitalistische Gesellschaft, für die sozialistische Gesellschaft, die wir anstreben. Genauso wie wir uns heute gegen die Pläne von Innenminister Schäuble gegen den massiven Ausbau der Beschnüffelung der Bevölkerung aussprechen, haben wir uns gegen die Staatssicherheitsdienste in den Staaten des RGW ausgesprochen, die jede politisch oppositionelle Regung unterdrückt und die Interessen der privilegierten Machthabenden verteidigt haben. Wir haben uns immer mit sozialistischen und kommunistischen Oppositionsgruppen oder mit antibürokratischen Erhebungen gegen die post-stalinistischen Despotien solidarisiert, beispielsweise mit dem "Prager Frühling" in der CSSR 1968 oder mit der "Vereinigten Linken" in der DDR. Sozialismus ohne Demokratie, ohne Bürgerrechte und eine Presse, die frei ist von der Zensur von Behörden ebenso wie von Selbstzensur und dem Zugriff des Großkapitals, ohne breite Beteiligung der Bevölkerung an den grundlegenden Entscheidungen, ist zum Scheitern verurteilt. Anders ausgedrückt: Realer Sozialismus oder Kommunismus hat für uns nichts mit monopolbürokratischer Stellvertreterherrschaft, nichts mit einer Diktatur über das Proletariat zu tun. Ohne Arbeiterselbstverwaltung, ohne sozialistische Demokratie mit realen Freiheiten und verbrieften Freiheitsrechten, ohne öffentliche Debatten kann kein Sozialismus entstehen; ohne Pluralismus von Parteien oder Plattformen ist die Rede von sozialistischer Demokratie Lug und Trug.

4. Der zu Missverständen einladende Auftritt von Christel Wegner und die darauf folgende und absehbare Kampagne der politischen Gegner der LINKEN und der Rechtspresse wäre Anlass, in der Partei DIE LINKE eine breite Debatte über die damit zusammenhängenden Themen zu führen. Stattdessen haben maßgebliche Führungspersonen der LINKEN sich bedenkenlos an die Kampagne der Rechten angehängt und sie auf ihre Weise verlängert. Dieses Verhalten von Bodo Ramelow, Klaus Ernst, Ulrich Maurer und anderen ist skandalös und schädigt die Partei DIE LINKE. Wer sich die Auswahl der KandidatInnen der Partei vom politischen Gegner aufzwingen lässt, wer in voraus- und nacheilendem Gehorsam demokratisch gewählte KandidatInnen zum Abschuss freigibt und wer freimütig antikommunistische Stammtischparolen in die Partei hineinträgt, macht sich zum Büttel der Gegner und zerstört die innerparteiliche Demokratie. Dieses Verhalten diskreditiert DIE LINKE ungleich mehr als eine dumme und unüberlegte Einzelmeinung einer Abgeordneten. Die LINKE ist angetreten, eine neue Parteikultur zu praktizieren, die den Mitgliederwillen ernst nimmt und die gleichzeitig den Antikommunismus überwinden will, der jahrzehntelang den politischen Diskurs in Deutschland beherrscht hat. Das - und nicht ein Bekenntnis zur kapitalistischen Marktwirtschaft - steht in den programmatischen Grundlagen der LINKEN.

Wir treten deshalb allen Versuchen entgegen, den "Fall Christel Wegner" zu nutzen, um die Partei DIE LINKE auf die Marktwirtschaft festzulegen, wie Gregor Gysi und andere "Regierungslinke" das offensichtlich vorhaben. Wir stellen uns dem Versuch entgegen, die Gelegenheit zu nützen und die Partei DIE LINKE auf rechtssozialdemokratische Positionen zu verpflichten und damit vor der bevorstehenden Programmdebatte Positionen festzuschreiben, die in einer offenen und demokratischen Diskussion von einer breiten Mehrheit der Mitgliedschaft abgelehnt werden würden.

Wir sind gegen den Ausschluss von C. Wegner aus der Landtagsfraktion in Niedersachsen, denn dies ist kein geeignetes Mittel, um die erforderlichen Diskussionen zu führen - Diskussionen über Fragen des Bruchs mit dem Kapitalismus, darüber wie Errungenschaften der breiten Mehrheit der Bevölkerung gegen Machenschaften der früheren herrschenden Klasse und ausländischer Geheimdienste geschützt werden können, über Fragen der Funktionsweise einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft. Wir wollen, dass in dieser Partei weiterhin verschiedene Strömungen der Linken beheimatet sein und die notwendigen Debatten über aktuelle Politik, Aktionsformen, Organisationsformen, Grundsätze, langfristige Ziele geführt werden können. In diesem Sinne verteidigen wir den pluralistischen Charakter der Partei.
Koordination der internationalen sozialistischen linken (isl), 25. Februar 2008

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