Thomas Rothschild
"ALLES LÜGE"
Buchbesprechung von Dieter Braeg
Gar viele behaupten an einer schönen Welt zu basteln. Noch mehr lügen in die Taschen anderer, weil die eigene Tasche schon lügenvoll ist. Die Verhältnisse sind nützlich und es ist so erfreulich, dass Thomas Rothschild noch immer für viel zu viele kein unangenehmer Zeitgenosse ist. Weil man seine Texte nicht kennt. Mir wäre lieber, es wäre anders, weil Verhältnisse in diesem Land eben nur für den so sind, wie sie sein sollen, der es sich richtet.
Wer aber schreibt noch gegen diese "Verhältnisse", diese "eheähnlichen Zustände" in denen Lug und Trug das Volk regiert und man ihm vorgaukelt man "liebe" es ? Seit 1971 ist der Österreicher Thomas Rothschild in Deutschland "Gastarbeiter" und lehrt als Literaturwissenschaftler an der Universität Stuttgart. Seine Texte müssten für all jene, die so gerne von der Veränderung der Welt reden aber nicht handeln, Pflichtlektüre sein. Die im Buch veröffentlichten Kolumnen sind ab Oktober 2002 fast jeden Monat im Internet unter www.titel-forum.de erschienen. Dazu kommen noch Kolumnen die zum Beispiel im "Freitag" abgedruckt wurden, oder im "Spectrum", einer Samstagbeilage der Tageszeitung "Die Presse" (Österreich).
Wahrheit liegt in den Worten und so gibt es auf die Frage "wie geht's? " Antworten die klar machen, dass diese Gesellschaft in der wir leben müssen, eine schlechte ist. Also heißt die Antwort auf die Frage ob etwa die Privatisierung der Post die Effizienz erhöht hätte: Alles Lüge ! Glaubwürdigkeit in der Politik ? Alles Lüge! So bleiben die Wasserprediger Weinsäufer. Wer "konstruktive Kritik" verlangt, meint Lob. Auf die Heuchelei im öffentlichen Leben reagiert Thomas Rothschild. Wer bereits in der Wahlnacht seine Versprechen vergisst und aus dem Gut Gerechtigkeit den Honig der eigenen Vorteilnahme saugt und mit dem politischen Gegner koaliert und das gemeinsam gegen die Menschen durchsetzt was vorher indiskutabel war, der kann hier recht kritische und wahre Worte lesen.
Eine unheilige Allianz aus Politik und Wirtschaft verlangt vom Volk Sparsamkeit und reist dann in der "Luxus Klasse" zu den politischen und wirtschaftlichen Treffen und Terminen. Der Glaubwürdigkeit wird hier die Henkersmahlzeit verabreicht.
Thomas Rothschild warnt. Der Verlust der Glaubwürdigkeit, der in der Politik immer bestimmender wird und auch das private Zusammenleben der Menschen prägt, birgt kaum abschätzbare Gefahren in sich.
Hier eine Kostprobe aus dem sehr treffenden Text "Triste Zeiten": "Was hat es zu bedeuten, wenn Zwanzigjährige beim Wort "Konsum" nur noch an Einkauf denken, ihnen ein Verein dieses Namens und erst recht dessen historische Bedeutung aber nicht mehr bekannt ist? Was hat es zu bedeuten, wenn das Wort "Volkshochschule" negativ besetzt ist, wenn es nur noch hämisch und abwertend verwendet wird? Was hat es zu bedeuten, dass kaum noch jemand weiß, welche Funktion Mandolinenorchester und Chöre, Freizeitstätten und Sportvereine, erschwingliche Urlaubsheime und Samariterbünde für die Arbeiterbewegung hatten?"
Die Antwort: "Es bedeutet, dass die Arbeiterbewegung und ihre Geschichte aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Wieso spricht niemand von der offensichtlichen und systematischen Zerstörung der Einrichtungen und Errungenschaften der Arbeiterbewegung? Dass die 40-, später die 35-Stunden-Woche ein "Sieg der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften" war, gehörte doch zum täglichen rhetorischen Repertoire der Linken. Kein 1. Mai - wer begreift heute noch den Sinn dieses "Kampftags der Arbeiterklasse"? - ohne Hinweis und berechtigten Stolz auf solche Errungenschaften. Wieso spricht heute angesichts verlängerter Arbeitszeiten und schlechterer Arbeitsbedingungen niemand mit derselben Deutlichkeit von der Niederlage der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften?"
Ich habe selten eine so treffende Analyse der Realität gelesen und ich wünschte mir, Thomas Rothschild würde in den Diskussionsprozess um die "Linke Partei" eingreifen. Das würde Klarheit bringen.
Es sind 44 Kolumnen und sie handeln alle von den großen und kleinen Lügen, aber nicht nur. Hier schreibt einer leidenschaftlich engagiert und klug der Welt das Wahre ins Stammbuch und schont die Ware nicht.
In diesem Buch werden die Missstände nicht verschwiegen, aber es gibt auch das Positive. Texte zu geduldigen Volksschullehrerinnen und Lehrern, zu einer anonymen Oboistin. Lb fr den Fernsehmoderator Thomas Roth oder den vergessenen Otto Krayer. Themen sind unter anderem schludrige Übersetzungen und erschwindelte Habilitationen, das Theater und der Dokumentarfilm, Bush, Sponsoren und geizige Frauen, das Schicksal von Exilanten.
Hier ist ein Buch das zur Verteidigung der letzten Reste einer ehemals solidarischen Gesellschaft aufruft. Hier ist das Buch für jene, die noch Mut haben zu Verändern. Leider sind Veränderinnen und Veränderer sehr selten geworden in dieser Gesellschaft. Aber es gibt sie noch. Einer von ihnen ist Tomas Rothschild, aus seinem Buch müsste jeden Tag im Rundfunk vorgelesen werden und im Fernsehen zitiert. Diese Textsammung müsste Lesepflichtleküre sein an den Schulen und auch für die, die nun die Gesinnung prüfen, der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem Land, weil sie selbst nur eine schlechte und unsoziale haben!
Dieter Braeg
Thomas Rothschild "ALLES LÜGE" Pro-Media Verlag, Wien, 158 Seiten, 11,90 €
ISBN 3-85371-252
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VON: DIETER BRAEG
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