Bertinotti drängt Rifondazione zur nächsten Rechtswende

28.01.08
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Nach Romano: Das letzte Tabu heißt Institutionelle Regierung

Nun muss Bertinotti die Seinen überzeugen
Von Alessandro De Angelis, übersetzt und eingeleitet von Rosso*

Nach dem Sturz der Mitte-Links-Regierung Prodi, der er mit einem Minister und diversen Staatssekretären bzw. Vizeministern angehörte und der sie nicht nur einen Grossteil ihrer Programmatik und ihrer Reputation, sondern auch der Arbeiterinteressen und der Anliegen fortschrittlicher sozialer Bewegungen opferte, steht auch der Partito della Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Neubegründung - PRC) vor einem Scherbenhaufen. Doch damit nicht genug, tritt der Meister der politischen Wendungen und langjährige Partei Chef Fausto Bertinotti, der auch als Präsident der Abgeordnetenkammer (und somit dritthöchste Repräsentant der NATO- und G8-Macht Italien) noch immer Graue Eminenz und Spiritus Rector Rifondaziones ist, bereits für die nächste "Wende" ein: für die Unterstützung einer "institutionellen Regierung" führender bürgerlicher Technokraten unter dem Vorsitz des christdemokratischen Senatspräsidenten Marini (die Nr. 2 der italienischen Staatshierarchie) oder des noch von Silvio Berlusconi ernannten Zentralbankchefs Draghi. Ein solcher Schritt würde die größte Partei der italienischen "radikalen" Linken inhaltlich noch weiter aushöhlen und - angesichts der von einer solchen Exekutive umzusetzenden "Reformen" - noch weiter diskreditieren. In den letzten 15 Jahren erwiesen sich nicht die beiden von Berlusconi geführten Kabinette, sondern die sog "überparteilichen Techniker- / Übergangsregierungen" für die Lohnabhängigen als die aggressivsten und opferreichsten Exekutiven. Im Gegensatz zum Lautsprecher Berlusconi, der die meisten seiner Gegenreformen nur ankündige, sie dann aber - aus Angst vor fallenden Umfragewerten seiner Partei - nicht umsetzte bzw. nicht umsetzen konnte oder bewusst auf die lange Bank schob (und sich damit den Unmut eines Großteils der Bourgeoisie und ihrer Medien zuzog), gingen die "Techniker"- bzw. "Übergangsregierungen" von Giuliano Amato (Juni 1992 - April 1993), Carlo Azeglio Ciampi (April 1993 - Mai 1994) und Lamberto Dini (17.Januar 1995 - 17.Mai 1996) in punkto Rentenreform, Sozialabbau, Umverteilung von unten nach oben etc tatsächlich ans Eingemachte und erfreuten sich dabei regelmäßig der treuen Unterstützung durch die Mehrheit der italienischen Mitte-Linken.

Weshalb sich momentan die Mehrheit der Parteiführung Rifondaziones - zum ersten Mal - tendenziell gegen Bertinottis Vorschlag äußert. Mit seinem letzten großen Vorstoß, der Bildung des "Roten Dings" (der "Cosa Rossa") aus Rifondazione Comunista, ihrer Rechtsabspaltung vom Oktober 1998 PdCI, dem ehemaligen linken Flügel der Linksdemokraten (DS) um Forschungsminister Mussi - SD - sowie den Grünen als diffuser Linkspartei, zwecks Bildung einer "kritischen Masse" (um die noch vor Gründung dieses Vereins verblichene Regierung Prodi doch noch "nach links zu verschieben") hatte er sich noch durchgesetzt, auch wenn die vier Parteien in quasi jeder bedeutenden praktisch-politischen Frage völlig unterschiedlicher Ansicht sind. Seine soeben zu Ende gegangene Südamerika-Reise nutzte Bertinotti dann für die nächste seiner "Entdeckungen". Die lautet nun, dass nicht nur der Kommunismus, sondern auch der Sozialismus "überwunden" oder zumindest durch esoterisch-kleinbäuerliches, "indigenes Denken ergänzt" werden müsse.

Am Vorabend der Tagung der PRC-Parteispitze, die für Samstag, den 26.Januar 2008 vorgesehen ist, gibt Alessandro De Angelis in der kleinen, aber sehr renommierten, dem italienischen Außenminister D°Alema (DS bzw. PD) nahestehenden, sozialdemokratischen Tageszeitung "Il Riformista" vom 25.1.2008 einen sehr gelungenen Einblick ins Innenleben der Partei und in die Geschichte des Bertinotti-Denkens, der sich über weite Strecken wie - ein etwas verfrühter - Nachruf liest. De Angelis Kommentar ist aber auch deshalb spannend, weil Bertinotti im Jesus Christus der deutschen Linkspartei, Oskar Lafontaine, seine kongeniale Entsprechung findet. Italien ist der deutschen Entwicklung einmal mehr um Jahre voraus. Wer sich einen Rest an politischer Neugier bewahrt hat, kann hier einen Blick in die Zukunft werfen:


Nach Romano: Das letzte Tabu heißt Institutionelle Regierung

Nun muss Bertinotti die Seinen überzeugen

Von Alessandro De Angelis

Auf der einen Seite das Charisma, auf der anderen die Zahlen. Fausto Bertinottis letzte Schlacht präsentiert eine Neuheit und das nicht zu knapp. Zum ersten Mal läuft Fausto Gefahr in seiner Partei in Frage gestellt zu werden. Ja, dem ist wirklich so. Er, der Mann der Wendungen, der lombardische Sozialist, der die Kommunisten wiederbelebt hat, die nicht ihre Flagge streichen wollten. Er, der im Namen der Gewaltfreiheit und der Beziehung zu den Bewegungen Rifondazione in die Regierung führte und dabei - zusammen mit dem Stalinismus eine bestimmte Vorstellung von Kommunismus zu den Akten legte, befindet sich jetzt auf der letzten Meile. Streitgegenstand ist eine institutionelle Regierung für die Nach-Prodi-Zeit. Am Vorabend der Leitungssitzung des PRC am Samstag ist ein Grossteil der Führungsgruppe gegen diese Möglichkeit  Und laufend finden Neupositionierungen innerhalb der Gegner des Roten Dings statt. Vielleicht hat dieser Teil des PRC die Zahlen auf seiner Seite. Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Samstag ausgezählt wird. Quellen, die dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer nahe stehen, sprechen von einem "verdrossenen" und "verbitterten" Bertinotti, dessen Kontakte zur Partei in der letzten Zeit dünner geworden seien.

Aber vielleicht sind die Zahlen gar nicht mehr der bedeutendste Aspekt dieser Angelegenheit. Die Politik ist nicht nur Mathematik, sie ist auch Suggestion, beschwörendes Element, das in einer Versammlung zum konditionierten Reflex werden kann. Das wissen auch Bertinottis Gegner, die in diesen Stunden alles zur Schau stellen, nur keine Sicherheit. Die Politik ist auch Charisma. Und, von weitem betrachtet, scheint diese Geschichte wirklich die letzte und vielleicht bedeutendste Herausforderung auf dem Weg eines Leaders zu sein.

Er, Bertinotti, hat einen Plan und den hat er in den letzten Jahren ((konsequent)) verfolgt. Das, was ((der linksliberale "L'Espresso"-Kolumnist)) Pansa als den "Roten Schwafler" abstempelt, der zwischen einer Talkshow und nächsten irgendetwas gesagt hat. Vielleicht nicht nur irgendwas. Und Zeichen auf dem Körper seiner Partei hat er dabei auf jeden Fall hinterlassen. Vielleicht auch nicht bloß oberflächliche. Auf vielen Kongressen, in vielen Interviews, langen und häufig sogar sehr langen Überlegungen hat er die Latte immer höher gelegt. Er hat kein Bad Godesberg veranstaltet und auch kein Bolognina ((die am 12.11.1989 erfolgte erste Ankündigung der am 3.2.1991 vollzogenen Selbstauflösung des PCI durch ihren damaligen Generalsekretär Acchille Occhetto)), aber er hat versucht die Wende in einen langen Marsch zu verwandeln und dabei den Versuch zu unternehmen, Brüche zu vermeiden und - wie man so sagt - hoch zu fliegen. Vielleicht auch zu hoch für seine Partei - obendrein in Zeiten, in denen keiner mehr weiß, was man im Partito Comunista Italiano (PCI) "Kulturarbeit" nannte. Es ist ihm in der tat nicht gelungen den Pöbel in seiner Anhängerschaft zu transformieren. Hier liegt die Stärke und die Grenze seines Charismas: Es übersteht die vielen Kurswechsel (vom ((Anti-G8-)) Protest in Genua ((Ende Juli 2001)) gegen die Mächtigen der Erde bis zu den Würdigungen des ((FIAT-Vorstandsvorsitzenden)) Sergio Marchionne ((im April 2006))) und verführt dennoch, allerdings ohne die Realität bis zur letzten Konsequenz in Rechnung zu stellen. Bei Licht betrachtet gibt es wenige Bertinottianer, weil entweder er die Partei ist oder die Partei nicht ist.

Er hat sich stets als Kommunist bezeichnet, aber in seinem Diskurs ist dieses Wort mehr zu einem Konzept als zur Geschichte geworden ("ein offener und nicht determinierter Prozess", sagte er einmal zur Aktualität des Kommunismus). Und auch seine Partei wurde immer weniger "kommunistisch". Besteuerung der Renditen, Umverteilung des Einkommens, weniger Flexibilität - das sind klassische Parolen der sozialdemokratischen Linken. Aber wehe dem, der sich sozialdemokratisch nennt, auch wenn er ein links davorhängt.

Es stimmt jedoch auch, dass Bertinotti Tabus gebrochen hat, die schwer wie Statuen waren. Beim 80.Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei - das war 2001 - hielt er eine aggressiv antistalinistische Rede. Es folgte die Selbstkritik bezüglich der Foibe ("Die wurden bagatellisiert.") ((Anm1)) und schließlich die Entscheidung für die Gewaltfreiheit ohne Adjektive, die in der extremen Linken keine Selbstverständlichkeit war und auch heute nicht ist. In diesen Jahren war Er Rifondazione. Und er hat sie weiter vom Kommunismus befreit (("decommunistizzata")), indem er sie in die Regierung führte. Im Grunde ist die Radikalität mehr zu einem Denkstil als zu einem kollektiven Verhalten geworden. (Da genügt es an die Vorwahlen der Mitte-Links-Union zu denken.) Von der Regierung auf die Probe gestellt, hat sich seine Wende aber vielleicht als unzureichend erwiesen. ((Der Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und langjährige Chefideologe Rifondaziones)) Alfonso Gianni, der Bertinotti sehr nahe steht, sieht es so: "Die Vorstellung, dass die Regierung eine komplexe Gliederung mehrerer, sozialer, ökonomischer und internationaler Elemente ist, hat sich in der Partei nicht durchgesetzt. Für Viele ist sie, wie für Pietro Nenni ((Anm.2)) in den 60er Jahren, die Schaltzentrale und das Problem, ob Dich die wirklich Mächtigen die richtigen Knöpfe drücken lassen oder nicht."

Und die Institutionelle Regierung bzw. die Wahlrechtsreform? Man weiß nicht einmal, ob die wirklich auf der Tagesordnung stehen und mit wem man sie machen soll. Innerhalb Rifondaziones ist dies allerdings bereits der schmerzhafte Punkt der (möglichen) Wende. Gianni sagt: "Es ist ein Tabu, das eine lange Vorgeschichte hat und das mehr oder weniger so lautet: In einer Regierung, die die Politik von der sozialen Frage isoliert, kann eine klassenbewusste Kraft nicht vertreten sein. Auch weil es keine neutrale Regierung gibt und deshalb - um es mit Marx zu sagen - eine neutrale Regierung in Wirklichkeit die Kommandozentrale der starken Mächte ist."

Fausto hingegen denkt bereits seit einem Jahr an die Zeit nach Prodi. Nach dem Gipfeltreffen der Regierung in Caserta ist das "Prodinotti" ((das Gespann aus Prodi und Bertinotti)) zerbrochen. Seine Partei folgte ihm dabei allerdings nicht und blieb in der Logik der Mitte-Links-Union verhaftet. Bertinottis Plan war es dagegen, über die Mitte-Links-Union hinauszugehen. Auf der institutionellen Ebene, indem ein Bipolarismus überwunden wurde, den man als einen zwangsweisen betrachtet und auf der politischen Ebene, indem man daran arbeitet, über Rifondazione hinauszugehen und einen angemessenen Behälter zu schaffen, um jene diffuse Linke zu repräsentieren, die die Gründung der Demokratischen Partei (PD) ((Mitte April 2007 durch die aus dem PCI hervorgegangenen Linksdemokraten (DS) und die christdemokratisch-liberale Margerite)) zumindest dem Potential nach freigesetzt hat. In diesen Stunden geht das Ping-Pong-Spiel mit ((dem bisherigen Außenminister und ehemaligen DS-Chef)) Massimo D°Alema zur Verabschiedung eines Wahlgesetzes deutschen Typs weiter. Aber nicht einmal dieses Rote Ding gefällt ihm - zumindest nicht so wie es sich gegenwärtig präsentiert: langsam / langweilig / locker zusammengeschlossen, kompliziert und politikasterhaft. Bertinottis Plan sieht eine Veränderung der Kommandobrücke vor. Um die hinzubekommen, muss Fausto die Seinen überzeugen.


Anmerkung 1:
Mit den "foibe" sind die Grotten im Umland von Triest, den benachbarten Gebieten in Slowenien und verschiedenen Teilen Istriens und Dalmatiens gemeint, die heute zu Kroatien gehören. Hier wurden zum einen nach der (zeitweiligen) Absetzung und Inhaftierung Mussolinis und dem Waffenstillstand der vom ehemaligen faschistischen Marschall Badoglio geführten Regierung in Süditalien mit den Alliierten 1943 sowie vom 1.Mai bis zum 12.Juni 1945 (vor allem in Triest und Gorizia) nach ungenauen Schätzungen Hunderte bzw. Tausende italienische Kolonisten, ehemalige Soldaten, Anhänger der Faschistischen Partei, aber auch Unschuldige von wütenden jugoslawischen Partisanen umgebracht und - zum Teil lebend - in die Grotten geworfen. In Vergeltung für die Aktionen im September 1943 rächten sich deutsche SS-Verbände, unterstützt von italienischen Faschisten, mit der Ermordung von circa 3.000 Jugoslawen. Darüber hinaus brannten sie 1.000 Häuser nieder und raubten den Besitz Tausender Bewohner Istriens.

Die von linker jugoslawischer Seite begangenen Taten wurden anlässlich der Ausstrahlung des von der staatlichen italienischen Fernsehanstalt RAI im Jahre 2005 ausgestrahlten Films "Il cuore nel pozzo" (Das Herz in der Höhle) ebenso wie die zivilen Opfer bei Aktionen italienischer Partisanen von der Neuen Rechten unter Berlusconi & Co. zu einer ausgedehnten Kampagne gegen den antifaschistischen Widerstand genutzt. Sozialdemokratische Kreise schlossen sich dieser Stimmungsmache auf ihrem Weg in die "Neue Mitte" zum Teil aus opportunistischen Gründen, zum Teil aber auch zwecks Agitation gegen linke und antiimperialistische Guerillabewegungen und gewaltsame Aufstände in aller Welt an, um fortan den "gewaltfreien Protest der Zivilgesellschaft" und die bürgerliche "Regierungsfähigkeit" zum Dogma und Allheilmittel zu erheben.

2) Pietro Nenni (9.2.1891 - 1.1.1980), pazifistischer Journalist und Politiker. Zunächst Mitglied der linksliberalen Republikanischen Partei (PRI), 1919 Mitbegründer der Faschistischen Partei in Bologna, 1921 Mitglied der Sozialistischen Partei (PSI), kurz nachdem sich der linke Flügel von ihr abgespalten und die Kommunistische Partei (PcdI) gegründet hatte. Seit 1923 Direktor des PSI-Zentralorgans "Avanti!". Aufgrund der Repression des Mussolini-Regimes seit 1926 in Frankreich im Exil. Ab 1936 Teilnehmer am spanischen Buergerkrieg und Politkommissar der Internationalen Brigaden. Im 2.Weltkrieg aktives Mitglied und einer der Führer der antifaschistischen Partisanenverbände. August 1943 - April 1945 sowie von Mai 1949 - November 1963 Nationaler Sekretär der neuformierten Sozialistischen Partei. Von Juni 1948 bis November 1970 italienischer Abgeordneter. Seit Ende 1970 Senator auf Lebenszeit und bis zu seinem Tod Ehrenpräsident des PSI. Von Dezember 1963 bis Juni 1968 war er stellvertretender Ministerpräsident in der ersten bis dritten Regierung des Christdemokraten Aldo Moro.

Der unter Nennis Führung vollzogene definitive Eintritt der Sozialisten in eine Mitte-Links-Regierung mit Christdemokraten, Liberalen und rechten Sozialdemokraten (PSDI) führte im Januar 1964 zur Abspaltung des linken PSI-Flegels und zur Gründung des PSIUP, die bei den Abgeordnetenwahlen 1968 4,45% der Stimmen und 23 Abgeordnete errang, sich nach ihrem Wahldebakel vier Jahre später allerdings im Juli 1972 auflöste und mehrheitlich in der KP aufging.


Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in doppelten Klammern:
   * Rosso

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://www.freewebtown.com/antifauni/ Rubrik "Aktuelles" bzw. die regelmäßig erneuerten Artikel, Übersetzungen und Interviews dort).
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen per Mail an: negroamaro@mymail.ch







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