Von Wolfgang Hoss
Die Kritik von Guenther Sandleben an meinem 2006 erschienenen Buch "Modell einer sozialistischen Marktwirtschaft" in seinem Artikel "Sozialistische Marktwirtschaft - ein Sozialismus im Zweispalt. Kritik des von Wolfgang Hoss entwickelten Modells einer sozialistischen Markt-wirtschaft" (siehe http://www.wolfgang-hoss.com, Rubrik Sozialismustheorie) richtet sich in einem der Schwerpunkte gegen die Nutzung des Marktes im Sozialismus. Zu Marxens Lebzeiten gab es die Begriffe Markt- und Planwirtschaft noch nicht, es gab auch keine umfassende Diskussion zur Rolle des Marktes im Sozialismus, und Marx hat diesem Thema keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Sein Hauptwerk war eine umfassende Analyse und Kritik des kapitalistischen Systems. In unserer Zeit hingegen ist die Klärung der Rolle des Marktes im Sozialismus eine Aufgabe von erstrangiger Bedeutung geworden. Marx hat meines Erachtens die Nutzung des Marktes im Sozialismus nicht prinzipiell verworfen (der Austausch von Konsumgütern gegen Arbeitszertifikate nach Marxens Modell kann doch nur auf dem Konsumgütermarkt erfolgen), aber er hat dieses Thema, wie gesagt, nicht umfassend behandelt, so daß unklar geblieben ist, welche Rolle der Markt im Sozialismus spielen soll bzw. muß. Sandleben ist der Ansicht, daß eine Nutzung des Marktes mit der sozialist-ischen Produktions- und Verteilungsweise prinzipiell unvereinbar ist. Gegen die Nutzung von pro-gressiven Elementen des Marktes im Rahmen einer monetären gesamtwirtschaftlichen Planung in meinem Modell bringt Sandleben folgende Argumente vor:
"Zur Erzielung einer größeren Flexibilität meint Hoss den Regelmechanismus von Angebot und Nachfrage nachbilden zu müssen. Bestehe beispielsweise ein Überangebot an Bremsmotoren und eine Übernachfrage nach Schrittmotoren dann würden im Kapitalismus die Preise für Bremsmotoren und die damit erzielten Profitraten sinken, was zu einer Einschränkung der Bremsmotorenproduktion führe. Umgekehrt würde wegen steigender Preise und Profite die Schrittmotorenproduktion ausgeweitet. "Abweichungen des Angebots von der Nachfrage stellen Regelabweichungen dar, die in der kapitalistischen Marktwirtschaft im Normalfall selbsttätig ausgeglichen werden." (S. 103) Entstehe im sozialistischen Zuteilungssystem ein Überangebot an Bremsmotoren und eine Übernachfrage nach Schrittmotoren, dann dürften die Preise zwar nicht geändert werden, jedoch sei ein rascher Ausgleich durch eine "reichliche Nachfrageanpassungs-prämie" möglich. Das Resultat wäre dann das gleiche wie im kapitalistischen System, "die Produktion der stärkeren Nachfrage wächst, und die Produktion der verringerten Nachfrage geht zurück." [Buch S. 104, W.H.] Aber ist die Anpassung der Produktion an den Bedarf nicht etwas Selbstverständliches und funktioniert sie nicht gerade dort vortrefflich, wo zwischen Produktion und Bedarf kein Markt existiert, wie im Bereich der innerbetrieblichen Arbeitsteilung oder des privaten Haushalts. Wenn jemand eine Party gibt, dann wird er seine Vorbereitungen auf den wahrscheinlichen Bedarf ausrichten: Wenn er 10 Gäste erwartet, wird er kaum für 100 kochen. In einem produzierenden Betrieb müssen Tausende Einzelteile zur richtigen Zeit, in der richtigen Qualität und Menge am richtigen Ort eintreffen, um dort das "produktive Bedürfnis" der Produzenten zu befriedigen, die solche Teile weiter bearbeiten. Und in aller Regel funktioniert eine solche nicht Marktvermittelte betriebliche Planwirtschaft vorzüglich. Und was sich auf betrieblicher Ebene bewährt, sollte - sofern nicht irgendwelche bürokratischen Bereicherungsinteressen stören - auf volkswirtschaftlicher Ebene nicht weniger reibungslos Bedarf und Prod-uktion miteinander vermitteln, ohne dass ein Marktmechanismus dazwischen geschaltet wird." (S. 11/12 in der Kritik von Sandleben).
Dem letzten Argument im Zitat, daß nämlich eine nicht marktvermittelte Bedarfsdeckung auf volkswirtschaftlicher Ebene nicht weniger reibungslos funktionieren würde als auf betrieblicher Ebene steht zunächst die Erfahrung gegenüber, daß eine solche Planung z.B. in der DDR mit ihren etwa 100 Millionen verschiedenen Erzeugnistypen eben nicht reibungslos funktioniert hat. Es hat sich in der Praxis gezeigt, daß die Marktregulierung in der BRD der zentralstaatlichen Naturalproduktionsplanung in der DDR überlegen war. Die Erfahrung der ungünstigeren Resultate der zentralstaat-lichen Naturalproduktionsplanung im Vergleich zu Systemen mit Marktregulierung unter etwa gleichen Ausgangsbedingungen gilt meines Erachtens für die gesamte gegenwärtig erreichte Stufe der Produktionsorganisation und ihrer Möglichkeiten im Weltmaßstab (nicht jedoch unbedingt für alle Zeiten). Jedenfalls wäre gegenwärtig eine weltweite lückenlose Planung der Produktion von mehreren Hundertmillionen Erzeugnistypen und noch sehr viel mehr Einzelteilen und Baugruppen eine organisatorisch nicht zu bewältigende Aufgabe. Bisher wurde eine durchgängige Produktionsplanung ohne Nutzung des Marktes nur in Teilsystemen bis zur einer Größe der heutigen größten Konzernen erreicht, und auch hier zeigen sich mit wachsender Größe der Konzerne zunehmende Schwierigkeiten in der Planung insbesondere mit Hinsicht auf die starke Komplizierung der Entscheidungsfindung. Zum Beispiel die "Welt-AG" Daimler-Chrysler ist gerade erst gescheitert, obwohl hier hauptsächlich nur Automobile produziert werden und damit nur eine winzig kleine Zahl von Erzeugnistypen im Vergleich zu den vielleicht 500 Millionen verschiedenen Erzeugnissen der Weltwirtschaft. Ab einer bestimmten Größe der Konzerne schleicht sich Bürokratismus ein, es entsteht ein zu kompliziertes und letztlich schwerfälliges hierarchisches Entscheidungssystem, welches die Initiative der kleinsten Einheiten des Konzerns bzw. der Werktätigen und kleinen Abteilungsleitern hemmt. Die Zahl der Entscheidungen im einzelnen wird insgesamt so groß, daß die Konzernspitze nicht mehr alle Einzelheiten kennen kann und mit wachsender Größe des Konzerns und zunehmender Komplizierung der Produktion schließlich den Überblick verliert und der "Chef der Zentrale" mitunter "fast blind" entscheiden muß, insbesondere dann, wenn sich die Ansichten der befragten Fachleute nicht decken. Um so größer der Konzern, um so komplizierter und vielstufiger und damit schwerfälliger wird der Entscheidungsprozeß. In kleinen Unternehmen hingegen ist die Entscheidungsfindung sehr viel einfacher und Entscheidungen können schneller und kompetenter getroffen werden als in der Hierarchie eines großen Konzerns. Der Chef eines Kleinunternehmens kann sofort entscheiden, er muß nicht Vorgesetzte höheren Ranges in mehreren Ebenen der Hierarchie überzeugen, die sich noch mit einer großen Zahl ganz anderer Angelegen-heiten beschäftigen müssen, und die daher mitunter gar nicht kompetent entscheiden können.
Es ist also nicht richtig, daß die Planung in einer modernen Volkswirtschaft in allen Einzelheiten auf dem gegenwärtigen erreichten Niveau der Produktionsorganisation gleichermaßen reibungslos funktionieren kann wie die Planung in einer heutigen nicht zu großen Fabrik. Die Produktions-prozesse einer modernen Volkswirtschaft sind so massenhaft, kompliziert und komplex, daß eine durchgängige Produktionsplanung wie in einer einzigen Fabrik gegenwärtig organisatorisch nicht in der gleichen Qualität wie in hinreichend kleinen Wirtschafteinheiten möglich ist. Auch Computer-systeme ändern daran nichts wesentliches, denn entscheiden muß der Mensch im Interesse des Menschen. Einer der wesentlichen Unterschiede zum Entscheidungssystem in der urgesellschaft-lichen Jagd- und Sammelwirtschaft ist gerade diese ungeheuere Komplexität der Entscheidungs-findung in der heutigen Weltwirtschaft oder in einer großen modernen Volkswirtschaft. Mindestens ein großer Teil der Entscheidungen kann nicht den Computern überlassen werden, denn sie "fühlen" nicht so wie wir, sie können nicht "aus dem Bauch heraus" in unserem Interesse ent-scheiden, sie können nicht so entscheiden, wie es nach unserem Empfinden am günstigsten für uns ist. Und außerdem gibt es häufig gegensätzliche Interessen einzelner Menschen, Gruppen und Schichten, und für wen sollen sich die Computer automatisch entscheiden? Und wäre es nicht furchtbar für uns, wenn die Roboter und Computer uns alle Arbeit und alle Entscheidungen abnehmen könnten und würden? Meines Erachtens wird die Fähigkeit der Roboter und Computer in dieser Hinsicht zumeist maßlos überschätzt. Roboter und Computer sind Arbeitsmittel des Menschen, die ohne den Menschen nach kurzer Zeit verrosten und von Pflanzen überwuchert werden würden. Selbst die niedrigsten Pflanzen und Bakterien wären den Robotern und Computern ohne den Menschen haushoch überlegen.
Aber auch dann, wenn es heute möglich wäre die weltwirtschaftliche Produktion wie in einer einzigen Fabrik vollständig durchzuplanen, müßte diese "Weltfabrik" Konsumgüter für den Markt produzieren, falls diese den individuellen Konsumenten nicht nach einem Weltplan nach Über-einkünften einer Weltgemeinschaft zugeteilt werden würden. Die Endprodukte dieser Weltfabrik wären Konsumgüter und die Fabrik müßte die Nachfrage auf dem Markt nach diesen Konsum-gütern erforschen und diese Nachfrage wäre Ausgangsposition für die Erstellung eines Produktions-planes der Weltfabrik. Erst danach könnte nach objektiven technischen Gegebenheiten und techno-logischen Vorschriften der Produktionsplan für die zur Herstellung der Millionen Konsumgüter benötigten Produktionsmittel und für die zur Produktion der Produktionsmittel benötigten Produktionsmittel erstellt werden (was aber heute, wie gesagt, organisatorisch nicht möglich ist).
Auch durch eine ideale Planung in einer Weltfabrik würde also der Konsumtionsmittelmarkt nicht beseitigt werden, wenn den Konsumenten die Entscheidung überlassen wird, welche Konsumgüter sie kaufen wollen. Im Gegensatz zum Bedarf an Produktionsmitteln gibt es keine objektive Vor-schrift durch die z.B. festgelegt wäre, welchen Fisch in welcher Menge jeder individuelle Konsument einholen will. Wenn z.B. nicht mehr die Nachfrage auf dem Markt nach Fernsehgeräten erforscht werden würde, sondern eine bestimmte Menge davon nach zentralstaatlicher Festlegung produziert werden würden, dann dürften auch in einer Weltgesamtplanwirtschaft mit Naturalplanung durch eine Zentrale nicht mehr Fernsehgeräte produziert werden, als die Verbraucher haben möchten. Überschüssige Fernsehgeräte über die Nachfrage hinaus müßte der Staat den Verbrauchern aufnötigen, damit sie nicht vernichtet werden müßten. Einerseits müßten Überproduktionen durch staatliche Zwangszuteilungen verhindert werden, und anderseits würden Mangelerscheinungen auftreten, falls nicht nachfragegerecht produziert worden ist. Und was eigentlich soll so furchtbar sein an der Erforschung der Nachfrage nach Konsumgütern auf dem Markt durch die einzelnen Unternehmen, die diese Güter herstellen, und zum großen Teil direkte Kontakte mit den Händlern und ihren Kunden pflegen?
Der Konsumgütermarkt würde also auch dann nicht beseitigt werden, wenn eine durchgängige Naturalproduktionsplanung in einer einzigen Weltfabrik möglich und realisiert wäre, falls keine Zwangsaufteilung der Konsumgüter eingeführt werden würde.
Sandleben spricht von der Mystifizierung des Marktes. Die Frage, was der Markt eigentlich ist, kann ohne Mystifizierung offenbar nur auf Basis einer zutreffenden Definition beantwortet werden. Eine solche Definition ist meines Erachtens die folgende:
Definition:
Der Gütermarkt ist der Ort, an welchem Güter angeboten und nachgefragt werden und Eigentums-wechsel der Güter zwischen Anbietern und Nachfrager stattfinden bzw. ausgehandelt werden. Auf dem Markt liegt es in der freien Entscheidung des Nachfragers (Kunden) im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten und seiner Bedürfnisse Güter einzukaufen, die durch andere Eigentümer angeboten werden. Der Nachfrager bzw. Käufer erhält demnach keine Güterzuteilungen (Natural-zuteilungen) nach Entscheidungen der Gemeinschaft oder anderer Personen.
Wenn auf einem Rast- oder Dorfplatz einer urgesellschaftlichen Gemeinschaft Güter der Jagd und des Sammelns vor den versammelten Mitgliedern ausgebreitet und zur Aufteilung angeboten und nach gemeinschaftlichen Übereinkünften zugeteilt werden, dann finden damit zwar Eigentumswechsel statt - gesellschaftliches Eigentum verwandelt sich mit der Zuteilung in individuelles Eigentum - und Keimformen des Marktes haben sich damit bereits herausgebildet, da aber in diesem System keine Güter ge- und verkauft werden, liegt nach der obigen Definition noch kein Markt vor. In einem Naturalienzuteilungssystem gibt es den Markt nicht, bzw. es gibt ihn nur in Keimformen oder in Ausnahmefällen.
Erst in der Warenwirtschaft, darunter im kapitalistischen System, werden die Produkte für den Aus-tausch produziert und auf dem Markt zum Verkauf angeboten und nachfreien Entscheidungen der Käufer dem Markt entnommen.
In einer Geldwirtschaft, in der das Geld eine Ware gleichen Werts ist, z.B. Gold- oder Silbergeld, ist jeder Kauf und Verkauf eines Produkts entweder mit einem Tausch gegen eine Geldware oder mit einem Tausch einer Geldware gegen eine andere Ware identisch. Damit wird im System in jedem Fall Ware gegen Ware getauscht. Wäre der Markt unter allen Umständen der Ort, an welchem Güter wertgleich ausgetauscht werden, entweder ein beliebiges Gut gegen ein Geldgut (z.B. Gold) oder ein beliebiges Gut gegen ein beliebiges anderes Gut, so wie dies zu Lebzeiten Marxens in der allgemeinen Regel der Fall war, dann müßte unter der Voraussetzung, daß das Geld eine Ware ist, mit der Aufhebung des Warenaustauschs auch das Geld aufgehoben werden, denn jeder Tausch Geld gegen Gut wäre ein Warenaustausch.
Wenn aber in einer höheren Entwicklungsstufe der Geldwirtschaft das Geld keine besondere Ware mehr ist, wenn die Geldeinheit aber als Maßeinheit des Werts genutzt wird, die durch eine bestimmte Arbeitszeitmenge bestimmt ist, und wenn damit ein Geldbetrag einem arbeitszeitbestimmtem Wertbetrag und damit eine Wertinformation darstellt, dann stellt ein Tausch Produkt gegen Geld noch keinen Warenaustausch dar, denn das Geld ist dann ja keine Ware mehr. Erst wenn das Produkt gegen Geld und die gleiche Geldsumme gegen Produkte gleichen Werts getauscht wird, ist ein wertgleicher Tausch Produkt gegen Produkt realisiert. Ist das Geld eine arbeitszeitbestimmte Wertinformation, und wird es gegen ein Produkt getauscht, dann ist ein Austausch Produkt gegen Produkt noch nicht zustande gekommen. Es wird dann möglich den Produzenten Geld unabhängig vom Wert ihrer Produkte und unabhängig von den Regeln des Warenaustauschs zuzuteilen. Eine Geldsumme kann zugeteilt werden, ohne daß der Empfänger Produkte gleichen Werts an den Geldgeber übereignen muß. Und der Geldempfänger in einem Zuteilungssystem kann Produkte kaufen, indem er das Geld gegen andere Produkte tauscht, ohne daß er Ware gegen Ware getauscht hat. Er tauscht dann Geld (das keine Ware mehr ist) gegen Produkt, aber nicht Produkt gegen Produkt. Wenn die Unternehmen ihre finanziellen Mittel für Produktionsmittelkäufe und Löhne prinzipiell durch Zuteilungen nach einem gesellschaftlichen Plan und nicht durch Einahmen aus dem Verkauf ihre Produkte erhalten, und wenn sie Produktionsmittel nach freier Entscheidung kaufen, dann tauschen sie ihre Produkte nicht aus. Sie kaufen zwar Produkte und tauschen damit Geld gegen Produkt, aber sie liefern ihre Produkte in einen gesellschaftlichen Fonds und erhalten Zuteilungen unabhängig vom Wert und Verkauf ihrer Produkte. Ein Warenaustausch findet damit nicht mehr statt, die Produkte werden nicht mehr für den Austausch durch die Unternehmen, sondern für die Lieferung in einen Fonds des Volkes produziert.
Die Produkte solcher sozialistischer Unternehmen werden in einen Gemeinschaftsfonds bzw. in einen Fonds des Volkes geliefert und durch die Gesellschaft zum Verkauf angeboten. Die Gesellschaft ist zunächst der Eigentümer der Produkte des Gemeinschaftsfonds und bietet die Produkte zum Verkauf an - die Gesellschaft ist also der Anbieter - und die Konsumenten fragen die Produkte nach und kaufen Produkte nach freier eigener Entscheidung - sie sind die Nachfrager. Und mit jedem Kauf bzw. Verkauf findet ein Eigentumswechsel statt. Volkseigentum wird in individuelles oder genossenschaftliches Eigentum verwandelt, falls die Genossenschaften frei über ihre Produktionsmittel verfügen können. Damit werden die Produkte der Arbeit auf dem Markt angeboten und nachgefragt, obwohl die Produzenten ihre Produkte nicht mehr austauschen bzw. obwohl eine gleichwertige Einnahme von Geldmitteln für die Auslieferung der Produkte des Unternehmens keine Regel mehr, sondern bestenfalls noch eine Ausnahme ist. Der Markt bleibt in diesem Fall erhalten, die Geldwirtschaft bleibt erhalten, aber der Warenaustausch und damit die Warenwirtschaft werden aufgehoben. Der Markt erweist sich damit also als eine Institution, die auch ohne Warenwirtschaft existieren kann. Und trotz Aufhebung des Warenaustauschs und damit der Warenproduktion bleibt das Geld in seiner zweckmäßigsten, historisch gewachsenen Form erhalten. Und wenn die finanziellen Mittel des Volkswirtschaftsfonds in großen Portionen nach einem volkswirtschaftlichen Plan auf große Unternehmensvereinigungen aufgeteilt werden, und wenn vereinbart wird, daß die sozialistischen Unternehmen das Recht und die Pflicht besitzen die Nachfrage auf dem Markt zu erforschen und ihre Produktion schnellstmöglich an die Nachfrage auf dem Markt anzupassen, dann wird eine überaus vorteilhafte Symbiose zwischen Markt- und Planwirtschaft möglich. Die Rahmenbedingungen der volkswirtschaftlichen Produktion können dann durch den globalen Finanzplan bzw. durch die Geldzuteilungen in großen Portionen an die Unternehmensvereinigungen einfach und unbürokratisch geplant werden (ohne Vorgaben zu Menge und Sortiment der Erzeugnisse durch den Staat), während die Naturalproduktionsplanung den Unternehmen überlassen werden kann. Aufgabe der sozialistischen Unternehmen ist es dann Produkte entsprechend der zahlungsfähigen Nachfrage zu produzieren (aber nicht Produkte für den Austausch) und ihre Produktionspläne schnellstmöglich an die Nachfrage auf dem Markt anzu-passen.
Es liegt keine Mystifikation des Marktes vor, wenn man sachlich feststellt, daß in einer modernen Volkswirtschaft mit ihrer riesigen Zahl an Erzeugnistypen der Bedarf der Bevölkerung und der Unternehmen am besten an Hand der Nachfrage auf dem Markt festgestellt werden kann. Nur wenn eine durchgängige Planung in einer einzigen volkswirtschaftlichen oder weltwirtschaftlichen Fabrik in allen Einzelheiten möglich wäre, könnte der Produktionsmittelbedarf zentral festgestellt und ohne Markt planmäßig gedeckt werden. Der Konsumtionsmittelbedarf aber müßte auch dann durch Marktforschung ermittelt werden.
Nur dann wenn Milliarden und Abermilliarden Portionen in Naturalform nach Übereinkünften des ganzen Volkes oder einer Weltgemeinschaft in der heutigen Zeit verteilt werden könnten, nur wenn eine solche, mit Sicherheit mit Riesenaufwand verbundene Naturalienzuteilung organisatorisch möglich wäre, wäre es möglich auf den Markt zu verzichten. Eine solche Forderung hat auch Marx nicht gestellt. Anstelle eines Naturalienzuteilungssystems wie im Urkommunismus hat er für die Gesellschaftsordnung, die den Sozialismus ablösen wird, d.h. für die kommunistische Ordnung, eine unentgeltliche Verteilung der Konsumgüter nach den Bedürfnissen vorgeschlagen. Der Riesenauf-wand einer Naturalienzuteilung von Milliarden Portionen nach gesamtgesellschaftlichen Übereinkünften entfällt damit in Marxens Kommunismus-Modell, das ohnehin nur ein Ordnung der fernen Zukunft antizipieren sollte.
Eine sofortige unentgeltliche Verteilung aller Konsumgüter würde in unserer Zeit zu einer Stürmung der Handelsunternehmen bzw. der Verteilungsstellen führen. Nach kurzer Zeit wären an jedem Tag die meisten Güter vergriffen. Wer zu spät kommt, bekäme nichts, darunter auch sehr wichtige Existenzmittel. Eine solche Verteilung wäre für einen Großteil der Bevölkerung eine Katastrophe, auch für viele Menschen in den reichsten Ländern. Wie kann man annehmen, daß der Bedarf der heutigen Milliarden Hungerleider bereits vollständig gedeckt ist? Und selbst dann, wenn alle Erden-bürger Millionäre wären, wäre der Bedarf nicht gesättigt. Zum Beispiel wenn der Bedarf an PKWs weltweit gedeckt wäre, wenn jedes erwachsene Familienmitglied aller Familien der Welt über ein hochwertigen PKW verfügen würde, dann wäre noch lange nicht der Bedarf an Privatflugzeugen, oder an Privathubschraubern, die im Straßenverkehr nicht steckenbleiben können, gedeckt. Wenn jede Vierköpfige Familie über eine Wohnung mit 4 Zimmern verfügen würde, dann wäre der Bedarf an Wochenendhäusern und Villen noch nicht gedeckt usw. Eine unentgeltliche Verteilung aller Güter ist im 21. Jahrhundert ist keine realistische Option.
An eine solche Verteilungsweise ist im 21. Jahrhunderts nicht zu denken - es geht im 21. Jahrhundert vielmehr, insbesondere auf Grund der Wirkungen des exponentiellen weltwirtschaftlichen Produktionswachstums, ums nackte Überleben der Menschheit. Nicht nur daß in den letzten beiden Jahrzehnten etwa 1 Milliarde Menschen verhungert sind, sondern viel schlimmer noch, die ungezügelte Fortsetzung des exponentielle Wachstum des produzierten Reichtums bedroht bereits im 21. Jahrhundert die Existenz der ganzen Menschheit. (Die Grenzen des Wirtschaftswachstums und des Wachstums des gesellschaftlichen Reichtums und die Wirkungen des übermäßigen Wachstums auf die Naturumwelt waren zu Marxens Lebzeiten noch nicht oder nur zum Teil erkennbar.)
Günther Sandleben ist der Auffassung, daß die Nutzung des Marktes im Sozialismus nach Auf-hebung der Warenproduktion eine Unmöglichkeit in der Realität und Zwiespältigkeit in der Theorie darstellt. Sandleben sagt:
"Hoss weiß, dass im Sozialismus die Warenform, das heißt die Wertform der Ware und die private Produktion, worauf sie beruht, beseitigt sind. Er zieht aber nicht die Konsequenz daraus, dass not-wendigerweise auch der Markt verschwinden muss. Den engen und notwendigen Zusammenhang von entwickelter Wertform, also Preisform und Markt blendet er aus. Hoss sieht nur die Formbe-stimmungen der Ware, also die spezifisch historische Seite der privat produzierten Waren, nicht aber die der Warenform entsprechenden Formbestimmungen des Marktes. Beides wird mal mehr mal weniger als etwas Getrenntes angesehen, so dass ihm die Idee kommt, die Ware zu verwerfen nicht aber den Markt. Der Markt tritt als harmloser und ewig notwendiger Vermittler von Produzenten und Konsumenten auf, und scheint die mysteriöse Eigenschaft zu besitzen, Produktion und Bedarf in Einklang zu bringen, so dass dann der Markt auch im Sozialismus einen gesegneten Platz erhalten muss. Der Markt wird als organisierende Macht verdinglicht, zu einem glänzenden Vermittler von Produktion und Konsumtion mystifiziert. ... Der Markt umfasst also ganz ebenso wie die Ware ein besonderes historisches Produktionsverhältnis, und verschwindet in dem Maße, wie die Kategorie der Ware verschwindet, wie also die private Produktion durch eine gesellschaftlich organisierte ersetzt wird." (S.12/13)
Es ist richtig, daß dann, wenn der Gütermarkt unter allen Umständen ein Warenmarkt wäre, der Markt zwangsläufig verschwinden würde, wenn der Warenaustausch und damit die Warenpro-duktion aufgehoben werden würden. Aber warum sollen auf dem Markt nicht auch Güter angeboten und nachgefragt und gekauft und verkauft werden können, die nicht als Privateigentum, sondern als gesellschaftliches Eigentum produziert werden, Güter die in einen gesellschaftlichen Fonds geliefert werden (ähnlich wie im Urkommunismus), und die nach gesellschaftlichen Übereinkünften zunächst durch Geldzuteilungen verteilt werden und damit nicht durch Privatunternehmen ausgetauscht werden? Die Beantwortung der Frage, ob der Markt unvermeidlich beseitigt wird, wenn der Waren-austausch beseitigt wird, oder ob dies nicht unter allen Umständen der Fall sein muß, hängt davon ab, was man unter einem Gütermarkt versteht bzw. wie der Begriff Gütermarkt definiert ist. Nach der obigen Definition gilt: Der Gütermarkt ist der Ort, an welchem Güter angeboten und nachgefragt werden und Eigentumswechsel der Güter zwischen Anbietern und Nachfrager stattfinden bzw. ausgehandelt werden. Auf dem Markt liegt es in der freien Entscheidung des Nachfragers (Kunden) im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten und seiner Be-dürfnisse Güter zu kaufen, die durch andere Eigentümer angeboten werden. Wenn erstens, die Konsumenten und Produzenten Geldzuteilungen nach einem gesellschaftlichen Plan erhalten, wenn zweitens, die neu produzierten Güter zunächst in einen Fonds des Volkes als Volkseigentum geliefert werden, und wenn drittens, die Produzenten und Konsumenten nach freier eigener Entscheidung Güter kaufen können, dann werden die Güter durch die Gesellschaft zum Verkauf angeboten und mit dem Verkauf durch die Gesellschaft bzw. mit dem Kauf der Güter durch die Konsumenten und Produzenten findet ein Eigentumswechsel statt, obwohl die Produzenten ihre Produkte nicht austauschen. Die Güter werden in diesem Fall auf dem Markt angeboten und nachgefragt und auf dem Markt gekauft und verkauft, obwohl sie keine Waren mehr sind. Kaufen Konsumenten z.B. in einer Kaufhalle Güter nach ihrer freien Wahl, dann kaufen sie Güter auf dem Markt, unabhängig davon, ob die Güter als Waren, also für den Austausch durch Privatunter-nehmen, oder direkt als Güter für die Gemeinschaft produziert wurden. Mit einem Übergang zur sozialistischen Produktions- und Verteilungsweise nach meinem Modell einer sozialistischen Markt- und Planwirtschaft würde sich lediglich der Warenmarkt in einen Gütermarkt mit Gütern ohne Warencharakter verwandeln. Es liegt in dieser Hinsicht also kein theoretischer Widerspruch vor.
Sandleben bringt ferner folgende Argumente gegen die Nutzung des Marktes im Sozialismus vor:
"Dass ein Kritiker der Warenform, wie Hoss, dennoch irgendwie am Markt festhalten möchte, ist auf eine Faszination des Marktes zurückzuführen, die selbst kritische Geister immer wieder blendet. Diese Faszination ist aber nichts anderes als Ausdruck eines Fetischs, den der Markt selbst hervorbringt und der stark genug wirkt, um die bekannten schrecklichen Seiten des Marktes, wie die Wirtschafts- und Finanzkrisen, das Elend am Arbeitsmarkt, Pleiten etc. zu verdecken." (S. 13)
Die von Sandleben genannten Seiten schrecklichen "des Marktes", die Wirtschaftskrisen, die Finanzkrisen, das Elend am Arbeitsmarkt und die Pleiten sind keine Eigenschaften des Marktes, sondern Mißstände der kapitalistischen Produktionsweise. Auf mittelalterlichen Märkten, auf denen einfache Warenproduzenten aufeinander trafen, also Produzenten, die keine Lohnarbeiter beschäftigen, sondern ihre Produkte durch die eigene Arbeit der Familie anfertigen, gab es weder große Absatzkrisen, noch ein Elend von Lohnarbeitern auf dem Arbeitsmarkt. Den Arbeitsmarkt gab es unter solchen Produktionsverhältnissen nicht, obwohl es einen Warenmarkt gab. Auch der römische Sklavenmarkt hatte nichts zu tun mit der Ausbeutung von Lohnarbeitern durch Kapitalisten. Wenn in einer hochentwickelten Urgesellschaft Hirtenstämme und Pflanzanbau be-treibende Stämme aufeinander trafen und Produkte der Tierhaltung und des Pflanzenanbaus zum Tausch anboten, existierte zwar bereits ein Markt, aber auch unter solchen Produktionsverhältnissen gab es die Ausbeutung nicht oder nicht in relevantem Umfang. Günther Sandleben beschreibt im obigen Zitat offenbar nicht Verhältnisse auf dem Markt schlechthin, sondern Verhältnisse auf dem kapitalistischen Markt. Und außerdem werden die genannten gesellschaftlichen Verhältnisse auch nicht durch den kapitalistischen Markt, sondern durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, also durch bestimmte Eigentumsverhältnisse, die die Menschen im Produktionsprozeß eingehen, hervorgebracht. Die Lohnarbeit ist ein Verhältnis welches die Arbeiter in den Produktionssystemen eingehen, und kein Verhältnis, das der Markt erzeugt. Der Gütermarkt ist keine Gesellschafts-ordnung, sondern der Ort, an welchem Güter angeboten und nachgefragt werden. Der Gütermarkt ist demnach auch keine Ausbeuterordnung. Auf einem Markt des Mittelalters, auf welchem zum weitaus größten Teil nur einfache Warenproduzenten agieren, treffen keine Produzenten aufein-ander, die irgend jemanden ausbeuten können. Es ist also grundfalsch, wenn man den Markt mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gleichsetzt. Nicht Verhältnisse auf dem Markt, sondern Verhält-nisse in den Produktionssystemen bestimmen die wirtschaftliche Ordnung.
Wenn allerdings der Kapitalist seine Waren auf dem Markt nicht verkaufen kann, dann steht er vor dem Bankrott. Sein Reichtum hängt wesentlich auch von günstigen Umständen auf dem Markt ab, die er nur sehr schwer oder gar nicht beeinflussen kann. Der Markt erscheint ihm als eine fremde Macht die ihn und sein System beherrscht. Für ihn ist der Markt daher ein Fetisch, ein "Götze" von dem er abhängig ist.
Sandleben spricht vom Fetischcharakter des Marktes, Marx hingegen vom Fetischcharakter der Waren. Die Waren als Fetische verschwinden von selbst, wenn die Warenproduktion aufgehoben wird. Ohne Warenproduktion und ohne den Warenmarkt wird sowohl dem Warenfetischismus als auch dem Marktfetischismus die Grundlage entzogen. Wenn im Modell einer sozialistischen Markt- und Planwirtschaft einige Unternehmen dauerhaft weniger Produkte verkaufen können als in den Vorperioden, dann ist dies für sie kein schrecklicher Schicksalsschlag, der bei längerer Dauer in den Bankrott führt. Die sozialistischen Unternehmen erhalten in jeder Situation Geldzuteilungen aus dem Gesamtfonds des Volkes, so daß bei Absatzrückgängen keine Bankrotte und keine Massen-arbeitslosigkeit drohen. Die Produktion des Überangebots wird in diesem Fall zurückgefahren, womit Arbeitszeit und Geld freigesetzt wird für die Produktion anderer Erzeugnisse für die eine Übernachfrage besteht. Auch wenn der Umstrukturierungsprozeß kompliziert ist und längere Zeit in Anspruch nimmt, sind die Arbeitsplätze und das Einkommen der Lohnarbeiter im sozialistischen Geldzuteilungssystem gesichert. Die Produktion entsprechend der Nachfrage auf dem Markt ver-liert alle sozialen Brutalitäten, die im kapitalistischen System möglich sind und immer wieder auf-treten, und die sowohl Lohnarbeiter als auch Kapitalisten treffen können.
Sandleben argumentiert ferner:
"Die Faszination [des Marktes, W. H.] speist sich vor allem aus der Erfahrung, die der Geldbe-sitzende Konsument macht. Er steht inmitten einer ungeheuren Fülle von Waren; der Weltmarkt breitet sich gewissermaßen vor ihm aus. Sein Geld gilt ihm als Repräsentant des gesamten stoff-lichen Reichtums; jede beliebige Ware kann er kaufen, sofern der Preis für ihn bezahlbar ist. Er besitzt eine grenzenlose Wahlfreiheit. Als Geldbesitzer wird er vom Verkäufer hofiert, genießt des-sen Freundlichkeit, auch wenn sie nur so lange dauert, bis der Kauf perfekt ist.
Diese besondere Stellung, die das Geld in der heutigen Warenwelt einnimmt, verzaubert den Markt, lässt ihn in den Augen des Käufers als eine unbedingt erhaltenswerte gesellschaftliche Einrichtung erscheinen. Es ist diese Seite des Marktes, warum sich nicht nur neoliberale Autoren sondern selbst die besten Köpfe in der sozialistischen Diskussion davor verbeugen und vor aller Ehrfurcht vergessen, auf welchen Voraussetzungen der Markt beruht. "Nachfragebefriedigung ist Grundziel der sozialistischen Produktion (...) der Kunde sollte König in der sozialistischen Marktwirtschaft sein" (S. 164), schreibt Hoss und denkt natürlich an den Geldbesitzenden Konsumenten, dem der Weltmarkt zu Füßen liegt und der anders als im tristen Staatssozialismus alle möglichen Waren für sein Geld kaufen kann. Nur Warenfülle und Flexibilität der Produktion sind keine Wunderwerke des Marktes, die aufhören zu existieren, sobald der Markt durch eine organisierte Gesellschaft ersetzt worden ist. Die große Vielfalt von Produkten und die bewundernswerte Elastizität heutiger Produktion sind Ergebnis der ungeheuren Entwicklung der Produktivkräfte, die in einer sozialist-ischen Gesellschaft erhalten und - falls gewollt - beschleunigt fortentwickelt werden. Die Freude des Geldbesitzers, der sich als Kunde wie ein König fühlen mag, trübt sich aber bereits, wenn er an seine eher bescheidenen Geldbeträge denkt, über die er verfügt. Seine Macht über die Warenwelt ist auf den Geldbetrag beschränkt - jenseits davon hört die Freundlichkeit auf. Und diese Schranken sind bei der großen Masse der Bevölkerung unkomfortabel eng bemessen, so dass viele die Verkaufstempel mit ihrer Warenfülle zwar besuchen, ohne sich aber die begehrten Waren leisten zu können. Vielen von ihnen fehlt es am Allernotwendigsten. Man kann häufig beobachten, wie sich Menschen von Abfällen ernähren inmitten des Reichtums, wie sie aus ihren Wohnungen ge-schmissen werden, weil für sie die Miete unbezahlbar wird, wie die "arbeitenden Armen" ihre Lebensmittel rationieren müssen, um die Tage vor der nächsten Lohn- oder Gehaltszahlung zu überbrücken. Die anfängliche Verherrlichung des Marktes schlägt vollends in Bitternis um, sobald der Geldbesitzer an die Geldbeschaffung denkt. Hier ist er nur noch ein getretener Knecht, kein König mehr. Seine Arbeit empfindet er als etwas Fremdes, Unangenehmes, als Last, der er sich nur zu gern entledigen würde, wenn er nur könnte. Er muss sich in der Arbeit unterwerfen, muss Diener fremder Herren sein, um an etwas Geld zu kommen. Die eigentlichen Genüsse seines Lebens, die Freude am Spiel seiner produktiven Kräfte, bleiben ihm als Lohnarbeiter verborgen. Der Arbeitsmarkt verfinstert also gänzlich seinen Blick. In Panik gerät er gar, wenn eine Wirtschaftskrise, ein Umstrukturierungsprogramm, irgend eine Sparmaßnahme oder andere Umstände oder Zufälligkeiten ihn arbeitslos machen, wenn er mit seiner Arbeit selbst das bisschen Geld verliert, auf das er als "Kunde König" sein jämmerliches Königreich gründete. Dass er den Markt selbst jetzt nicht verfluchen mag, dafür sorgen Armeen von Ideologen, die täglich über Massenmedien, über Filme oder in Form "wissenschaftlicher Beiträge" auf ihn einhämmern, ihm mit viel Autorität aber wenig Inhalt eintrichtern, wie wundervoll eine Marktwirtschaft ist und dass das nur selten anzutreffende Elend eine ganz selbstverschuldete Sache sei, die nichts aber auch rein gar nichts mit dem Markt zu tun habe." (S.13/14).
Auch bei der Beschreibung aller Aspekte im obigen Zitat setzt Sandleben offenbar den Markt mit der kapitalistischen Produktionsweise gleich. Aber die ungleiche Aufteilung des produzierten Ein-kommens zwischen Lohnarbeiter und Kapitalisten, die Aufteilung in Lohn und Profit und die großen Einkommensunterschiede zwischen Millionären und Hungerleidern, ist keine Natureigenschaft des Marktes, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, welches die kapitalistische Produk-tionsweise hervorgebracht hat. In meinem Sozialismusmodell gibt es weder Kapitalbesitzer noch den Profit oder den Gewinn. Die Einkommen werden durch die Arbeitsleistung bestimmt, und sie werden damit sehr viel gleichmäßiger verteilt als im Kapitalismus. Die Löhne werden nicht durch Profitgier auf Niveaus gedrückt, die teilweise unter dem Existenzminimum liegen. Verfügen aber alle Arbeiter und Angestellten über ein angemessenes Einkommen, und wurde eine hohe Arbeitsproduktivität in der Volkswirtschaft und damit ein hohes Realeinkommen pro Kopf erreicht, und gilt das Prinzip, daß die Unternehmen schnellst- und bestmöglich die Nachfrage der Kunden befriedigen müssen, dann kann sich jeder Arbeiter und Angestellte auf einem reichhaltigen Gütermarkt durchaus als König fühlen.
VON: WOLFGANG HOSS