Klassengesellschaft auch im System der Erziehung, Bildung und Ausbildung!
Von Reinhold Schramm
Eine Chancengleichheit im Erziehungs-, Bildungs- und Ausbildungssystem des Kapitalismus in Deutschland ist ausgeschlossen!
"Weil Mandarin in einigen Jahren vielleicht einmal die wichtigste Handelssprache sein wird, können sich ab Sommer 2007 bereits Dreijährige in Zürich in Chinesisch üben. Die Privatschule Lip eröffnet eine Art Kindergarten, in dem auch Chinesisch gesprochen wird (vgl. Artikel <Konfuzius im Kindergarten> in Die Weltwoche 9/06)."
Sprösslinge reicher Eltern können sich Bildung bzw. Ausbildung kaufen, neben der Aussicht auf ein grosses Erbe und Spitzenpositionen und hohe Einkommen. Während die Unterstützung für Studierende aus einkommensschwachen Schichten abgebaut wird, verfügen die Abkömmlinge vermögender Schichten und Klassen über unlimitierte finanzielle Mittel zum Erwerb von Bildung und Ausbildung. Das beginnt bereits mit der Geburt und im Vorschulalter. Der Erwerb der englischen Sprache ist hier eine Selbstverständlichkeit.
"Eine Untersuchung der amerikanischen Eliteuniversität Princeton belegt, dass Kinder aus reichem Haus bereits im Alter von sechs Jahren in schulischen Tests fast doppelt so viele Punkte erzielen wie ihre Kollegen aus armen Verhältnissen. Vgl. Tages Anzeiger, 22.11.2005."
Kommen die Kinder in der Primar- und Sekundarstufe nicht mit, gibt es Privatunterricht oder es wird in eine teure Privatschule gewechselt. Nicht unüblich ist auch der Besuch einer englischsprachigen Privatschule zur optimalen Vorbereitung auf die Ansprüche der imperialistischen 'globalisierten' Wirtschaft. Auf der Universitätsstufe folgen teure Sprachaufenthalte im Ausland, oder es werden noch einige Semester an einer amerikanischen Eliteuniversität dazwischen geschaltet. - Nach dem Studium kann man sich noch die wichtigen Zusatzausbildungen leisten.
Untersuchungen belegen, dass für den Erwerb von Bildung und Ausbildung die soziale Herkunft entscheidend und bestimmend ist. So stammen Gymnasiasten und Hochschüler mehrheitlich aus begüterten Schichten. Eine Studie des Soziologieprofessors Michael Hartmann hat ergeben, dass der Nachwuchs der reichsten fünf Promille unter den Doktoranden um den Faktor 20 überrepräsentiert ist (Michael Hartmann, Der Mythos von den Leistungseliten, Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, Frankfurt 2002).
Eine Studie der Soziologen Ueli Mäder und Elisa Streuli kommt zum Schluss, dass jene Personen reich werden, die bereits in die Oberschicht hineingeboren worden sind (Ueli Mäder, Elisa Streuli, Reichtum in der Schweiz, Zürich 2002, S. 29).
Die Nachkommen von begüterten Schichten und Klassen verfügen über die 'Kultur des Erfolges'. Es werden Interessen, Werte und Freizeitbetätigungen geteilt. Man gehört 'kulturell' dazu und wird entsprechend ernst genommen. Dank der Beziehungen stehen dem Nachwuchs wichtige Informationsquellen zur Verfügung und das finanzielle Polster erlaubt es, Risiken einzugehen.
Nützlich ist das elterliche Startkapital für das Berufsleben. Es ermöglicht die frühe Selbständigkeit oder den Einkauf in ein bestehendes Unternehmen. Erwerbslosigkeit bedeutet keinen Absturz in die unteren sozialen Schichten; mit der elterlichen Abfederung kann auch lebenslang gerechnet werden, was andere Orientierungen ermöglicht und sozialpsychologische und -ökonomische Abstiegsängste erübrigt.
Schenkungen dienen den Beschenkten zur Ausbildung und zum Erwerb von Wohneigentum in jungen Jahren. In einer Befragung erklärten 92 Prozent der (Schweizer) Bevölkerung, lieber in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren als das ganze Vermögen am Lebensende zu vererben (Heidi Stutz et.al., Erben in der Schweiz, Zürich 2007, S. 216/217). Schenkungen spielen auch eine grosse Rolle bei der Übergabe von Betrieben, Funktionen und Aktienvermögen (siehe z.B. auch bei Familie Quandt, Mohn, Porsche, Siemens, u.a.m.) an die nächste Generation.
Die Benachteiligungen im Bildungs- und Ausbildungssystem Deutschlands sind gestiegen, statt 'Startkapital' gibt es häufig eine 'Eintrittsschuld' ins Berufsleben. Von 'fairen' Leistungswettbewerb kann im Kapitalismus (in der 'harmonischen' - 'demokratischen' - 'liberalen' - 'sozialen' - 'sozialpartnerschaftlichen' "Marktwirtschaft" etc.) keine Rede sein. Die Kinder reicher Eltern sind dem Leistungswettbewerb viel weniger ausgesetzt. Eltern aus der Oberschicht haben viele Möglichkeiten, ihren Kindern zu höheren Positionen zu verhelfen oder die Erben und Abkömmlinge vor dem sozialen Abstieg zu bewahren.
Quellen-Empfehlung:
Hans Kissling. Reichtum ohne Leistung, Die Feudalisierung der Schweiz, Rüegger Verlag, Zürich/Chur 2008.
Siehe auch zum Thema:
Blick hinter die mediale Fassadenmalerei - Armut und Reichtum in der Schweiz. Auch die Schweiz ist kein 'soziales Himmelreich' für die werktätige und sozial ausgegrenzte Bevölkerung. Im Internet: http://www.labournet.de/internationales/ch/armreich.pdf