Eine andere Betrachtung.
Von Michael Schreiner
Der Autor, als '81er Jahrgang freilich nicht aus eigener Erfahrung mit der Geschichte der RAF vertraut, hat sich in Gesprächen mit Zeitzeugen, mittels Büchern (wie etwa der großartigen Meinhof-Biografie von Jutta Ditfurth), (Online-)Archiven und nicht zuletzt dem Betrachten von Filmen ("Stammheim") in den letzten Jahren ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Er widerspricht der medialen Meinungsmache zum kommenden Film.
Ein vielversprechender Film?
Ende September kommt der neue -ich schreibe "neu", weil es ja schon einige Filme mit dieser Thematik gibt- RAF-Film in die Kinos: "Der Baader-Meinhof-Komplex", eine Eichinger/Edel-Produktion auf der Grundlage des Buches von Stefan Aust, dem langjährigen Chefredakteur des SPIEGELs. Nachdem ich nun sicherlich schon zwei Jahre kein Kino mehr besucht habe, wird dieser Film, dessen Trailer (www.bmk.film.de) neugierig macht, mich dann doch noch einmal in eines locken.
Was der SPIEGEL so meint und was über die Filmemacher vermutet werden kann
Ich war am vergangenen Wochenende drei Tage in Gütersloh, wo ich an einer Konferenz zu "1968" teilgenommen habe. Auf der Rückfahrt via Bahn hatte ich einen ungeplanten, längeren Aufenthalt. Da habe ich ganz entgegen meiner Gewohnheit nach langer Zeit mal wieder den SPIEGEL käuflich erworben, wegen seiner Titelstory. Es ging um die RAF und den bald kommenden Film.
Naja, dieses Blättchen schreibt ja -aus meiner Sicht zumindest- oft den grössten Unsinn, daher schockte mich der Titel des Artikels ("Bilder der Barbarei") natürlich nicht. Aber der Artikel wäre geeignet, die erwartungsvolle Euphorie bezüglich des Films ein wenig zu dämpfen. Der SPIEGEL meint nämlich, der Film würde endlich das tun, was andere RAF-Filme nicht wollten/konnten: einen Mythos zerstören. Ausführlich zu Wort kommen Uli Edel und Bernd Eichinger, die Macher des Films. Ich muss nicht lange drumherumreden: während Edel recht sympathisch wirkt (der typische Linksbürgerliche wohl, der in seiner Jugend zunächst solidarisierte, später dann alles "zu schlimm" fand), findet Eichinger entlarvende Worte:
"Entscheidend ist, dass sie es tun, nicht, warum sie es tun." Hier wird seine Motivation deutlich: abstrakt Gewalt darstellen, um zu schockieren, um Distanz zu schaffen. Hintergründe vermitteln? Fehlanzeige.
Eine andere Sicht
Im Grunde wäre hier eine Moraldiskussion notwendig: ist es wirklich so, dass Taten völlig losgelöst von ihrem historischen und soziokulturellen Kontext betrachtet werden können?
Ich möchte an dieser Stelle, um nicht allzu sehr abzuschweifen, nur kurz Jean-Paul Sartre zitieren, der nach seinem Gefängnisbesuch bei Andreas Baader meinte:
"Ich möchte noch mal sagen, warum ich diesen Besuch bei Baader gemacht habe: weil viele von euch Baader nur als Kriminellen ansehen. Aus französischer Sicht kann ich sagen, dass die Politik, die ich für richtig halte, keine Baaders benötigt, dass man eine Einheit der proletarischen Massen heute und in den nächsten Jahren herstellen kann, aber dazu eine solche Politik nicht braucht. Man kann diskutieren, ob diese Position der RAF vielleicht auch irrelevant ist, aber diese Gruppe -und das sage ich aus der Sicht meiner A-priori-Sympathie für die Linke- hat versucht, eine andere Gesellschaft herbeizuführen. Diese Position scheint mir nicht skandalös. Es gibt keine reinen Kriminellen. Es scheint mir wichtig, dass man sie kennt."
Nadja Ulh und Martina Gedeck: zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Rollen
Unglaublich blöde übrigens Nadja Uhl, die Brigitte Mohnhaupt spielt. Im Gegensatz zu Martina Gedeck (spielt Ulrike Meinhof) hat sie sich bewusst nicht mit der Person, die sie spielt, auseinandergesetzt. Sie hat sich nur vorgestellt, welche Gründe es wohl geben könnte, zu töten. Als Mutter versetzte sie sich dann in die Lage einer Frau, deren Kind getötet wird. Die in dieser Vorstellung gewonnenen Emotionen setzte sie dann ein, um "glaubhaft" die Mohnhaupt spielen zu können. Bekloppter gehts meines Erachtens nicht.
Martina Gedeck hingegen hat sich gründlich mit ihrer Rolle beschäftigt, Biografien gelesen, Meinhofs Texte in "konkret" studiert. Sie konnte sich wirklich identifizieren, ein Stück weit, wie sie sagt. Leider bekommt das einen Makel, wenn sie zum Schluß meint, ihr sei klar geworden, dass in Deutschland doch "paradiesische Verhältnisse" herrschten, und dass die RAF letztlich nur einem Wahn verfallen war. Schade, dass sie es so sieht, obwohl sie sich löblicherweise so stark mit den Gedanken der Meinhof auseinandergesetzt hat. Naja. Sie nagt wohl nicht gerade am Hungertuch. Ich empfehle ihr die Schnulze von Phil Collins: Another day in paradise...
Nix desto trotz:
Martina Gedeck bleibt für mich eine der besten Schauspielerinnen Deutschlands.
Ein vorläufiges Resümee und einige Hoffnungen
So können wir den neuen Film weiterhin gespannt, aber doch mit gemischten Gefühlen erwarten. Erfüllt sich die Hoffnung, die der Trailer keimen lässt? Wird hier die ganze Tragik junger Menschen dargestellt, die angesichts eines postfaschistischen Staatsapparates, immer unerträglicher werdender Sanktionen gegen die Studierendenrevolte (die dann in der Ermordung Benno Ohnesorgs gipfelten- hierzu ist übrigens interessant, was Stefan Aust im Interview mit dem ZEITmagazin sagte: die Tötung Benno Ohnesorgs habe seiner Ansicht nach einen ebenso großen Anteil an der Entstehung der RAF gehabt wie die Ideen Ulrike Meinhofs), einem übermächtigen (Springer-)Medienapparat, fatale Entscheidungen treffen? Wird die ganze Zerrissenheit deutlich? Wird die Geschichte der RAF erklärbar? Oder wird nur wieder undifferenziert von "Verbrechern" gesprochen, ohne Hintergründe transparent zu machen? Und wird dann letztlich vielleicht sogar versucht, erstarkende Protestbewegungen der Gegenwart zu diffamieren (mit dem blöden, alten Hinweis auf "Verbindungen" zwischen den Ideen der 68er-Revolte und den Taten der RAF)?
Hoffen wir mal auf mehr Edel, weniger Eichinger.
Wohlgemerkt:
mir geht es hier nicht um eine Glorifizierung der RAF und auch nicht um eine Verklärung ihrer unzweifelhaft nicht entschuldigbaren Taten. Es erscheint mir aber wichtig, der sich überschlagenden medialen Meinungsmache etwas entgegenzusetzen.
--
Michael Schreiner