Linkspartei in NRW - ‚Lichtpunkte sozialistischer Umwälzung'?

28.09.10
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Zum Strategiepapier von E. Lieberam (Marxistisches Forum) und M. Kellner (isl)

Von Frank Braun

Für den Wissenschaftlichen Beirat der Bildungsgemeinschaft SALZ e.V. haben Manuel Kellner und Ekkehard Lieberam dieser Tage ein Papier zur Diskussion vorgelegt, welches zu zwei Aspekten strategischen Charakters Stellung nimmt: Massenstreik und Umwälzung der Verhältnisse.1 Auch sollten in diesem Papier "Ansprüche an die Entwicklung der Partei Die Linke" formuliert worden sein, wie es in einer Nachbemerkung heißt.
In der Tat, Darlegungen zu solchen Themen haben meist diesen strategischen Charakter. Allerdings begnügen sich die beiden Autoren in ihrem Papier dann lediglich mit eindringlichen Hinweisen über die besondere Bedeutung dieser beiden Dinge für das aktuelle Geschehen. Und dies auch noch wesentlich beschränkt auf die Mitgliedschaft der Partei ‚Die Linke' (PDL).
Selbst wenn es sich bei dem Text ‚nur' um die Erarbeitung von möglichen Themen für die Bildungsgemeinschaft SALZ e.V. handelt, wirkt dürftig und irgendwie domestiziert, was angeboten wird. Dabei ist doch Geschichte und Gegenwart der sozialistischen und kommunistischen Bewegung sowie der Gewerkschaftsbewegung voll mit aufgeschriebener Erfahrung etwa zum Thema Massenstreik - die Autoren deuten dies an - und, vorausgesetzt der Wille wäre vorhanden, ließen sich dazu sicher Darlegungen mit weniger politischen Beschränkungen sowie mit viel mehr konkretem Angebotscharakter machen.2

Zentrales Instrument der Aktivierung: Massenstreik

Aufmerksame LeserInnen des Papiers werden trotz des eindringlichen Tons, der hier angeschlagen wird, eine Antwort auf die Frage vermissen, wer und was uns abhängig Beschäftigte, Erwerbslose und Ausgegrenzte eigentlich hindert, die Verhältnisse systematisch in Frage zu stellen und z.B. einen politischen Streik gegen die ‚Rente nicht erst mit 67' auf die Beine zu stellen - Roß' und Reiter werden nicht genannt.

Jeder und jede weiß, gäbe es heute eine von den DGB-Gewerkschaften und anderen kleineren Gewerkschaften vorgetragene, in Absprache und im Bündnis mit anderen sozialen Bewegungen organisierte Kampagne gerade zum Thema ‚Rente nicht erst mit 67', wäre schon heute ein Erfolg vermittels politischem Streik möglich ! Und ein Erfolg auf diesem Terrain, wenigstens aber eine achtbare Mobilisierung auf hohem Niveau mit kreativen und kraftvollen Aktionsformen, würde auch die scheinbar festgezurrte strategische Defensive der ArbeiterInnenklasse aufweichen. Ein Problem wesentlich der Mobilisierung oder der Motivation ?

Sicher ist es auch das. Aber wer sich heute darüber Gedanken macht und z.B. als Gewerkschaftslinker in diesem betrieblichen Konfliktfeld drin steckt, weiß, welche verheerende Rolle die noch immer sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsspitzen spielen. AktivistInnen wissen auch, kaum ist Co-Management und der andere Quatsch von ‚Sozialpartnerschaft', personifiziert in einzelnen führenden Gewerkschaftsfunktionär-Innen, beiseite geschoben, zeigen sich jene kolossalen Mobilisierungs- oder Motivationsprobleme dieser Tage in weit milderer Form. Wer also erfolgreich z.B. gegen die ‚Rente erst mit 67' agieren will, muß die sozialdemokratischen ‚Bremser' - die nicht nur ‚Bremser' sind, sondern auch Anderes wollen - politisch isolieren. Solche ‚Bremser' sitzen aber, und das wissen die beiden Autoren des Strategiepapiers, nicht nur in den Reihen der SPD - es gibt sie auch in der PDL.3 Und auch dort nicht zu knapp, und auch diese müssten politisch isoliert und bekämpft werden. Das aber wollen E. Lieberam und M. Kellner wohl so genau nicht gesagt haben, das hieße ja den Gründungskonsens ihrer Partei in Frage zu stellen. Dieser wollte ja eine ganz breite Organisation unter Einschluß auch der sozialliberalsten ‚Modernesozialisten' und ‚Sozialpartner'.

Das Abstreifen sozialpartnerschaftlichen Einflusses, egal aus welcher Ecke jener auch kommen mag, ist geradezu eine Bedingung um das Thema ‚Politischer Massenstreik' theoretisch und praktisch erfolgreich angehen zu können. Das nicht zu sagen, macht alle, auch alle bemühten Herleitungen von marxistisch orientierten Autoren suspekt. Noch schlimmer: Das nicht zur Richtschnur seines Handelns zu machen, bedeutet Erfolge in Sachen Massenstreiks auf den Sanktnimmerleinstag zu verschieben, ja, sie wohl gar nicht allen Ernstes zu wollen. Die Abwesenheit der PDL in den Betrieben und Verwaltungen ist eine beredtes Zeichen dafür, was diese Partei als Kollektiv will, oder besser, eben nicht will.  

‚Sozialistische Umwälzung' in NRW ?

Immerhin, dass die beiden Autoren ‚sozialistische Umwälzung' thematisieren und damit über den Rahmen dessen hinausgehen, was z.B. im gerade PDL-parteiintern diskutierten Programmentwurf zu lesen ist, verdient Respekt. Sie formulieren nämlich:

"(...) Darum ist es eine strategische Aufgabe der nächsten Jahre, die Idee der sozialistischen Revolution - einer grundlegenden Umwälzung hin zu einer demokratisch
verwalteten gemeinwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung - wieder zu einer öffentlich diskutierbaren und wahrnehmbaren Position zu machen. Alle Möglichkeiten, die der Linken gegeben sind, müssen dazu genutzt werden - von ihren Bildungseinrichtungen bis hin zu ihren Parlamentsmandaten (...)"

Eine starke Formulierung. Allerdings referenzieren die Autoren diesen Anspruch in Ermangelung besserer Beispiele mit den Erfahrungen ihrer Partei in NRW. So gerät das, was da an strategischen Vorsätzen niedergeschrieben wurde, vermittels dieser bloß gewollten nicht aber begründeten Referenz in ein arg zweifelhaftes Licht. 4  Und gerade M. Kellner, Fraktionsmitarbeiter der NRW-Linkspartei, müsste doch den jammervollen Zustand seiner Parteiorganisation in NRW und erst recht den an seinem Wohnort Köln kennen: Über die letzten knapp drei Jahre ist der Aktivistenstamm der PDL landesweit nahezu vollständig zum Mandatsträgertum konvertiert. Da ist sonst nicht mehr viel. Mit im Boot dieses Mandatsträgertums und damit politisch, mit Verlaub, ganz schön am Arsch und lahm gelegt sind auch so ziemlich alle linken Gruppen, die - entristisch motiviert - 2007 den Marsch durch die Linkspartei angetreten hatten - auch M. Kellners Gruppe ‚isl'.

Die Dürftigkeit des politischen Ertrages aus dem Projekt PDL korrespondiert ja meist mit einer, milde formuliert, Unschärfe in theoretischer und analytischer Hinsicht. Die Darlegungen der beiden Autoren bilden da offensichtlich keine Ausnahme.

Ein seltsame Drohung: "Wahlverein oder Kampfpartei ?"

Denn leider ist es dem im Papier von Lieberam/Kellner zitierten W. Zimmermann und seinen Getreuen in den vergangenen drei Jahren ja eben gerade nicht gelungen, eine Partei der ‚sozialistischen Umwälzung' zu profilieren.5
Die starke Formulierung auf der einen und deren ganz schwache Referenz auf der anderen Seite reicht wohl auch den beiden Autoren nicht so ganz. Sie führen, enorm entschlossen, dann die Frage ins Feld: Soll die PDL nun ‚Wahlverein oder Kampfpartei' werden ? Dann legen sie mit einer rhetorischen Drohung nach:

 "(...) Wenn Die Linke es letztlich nicht schaffen sollte, eine Partei dieses Typs zu werden, so bliebe doch das Bedürfnis, eine solche Partei zu schaffen."

Offenbar hatten viele die Strahlkraft der Linkspartei ab 2007 und vorher der WASG überschätzt und dabei vergessen, genauer hinzuschauen. Viele antikapitalistisch gesinnte AktivistInnen haben 2007 eben genommen, was es gab, haben ganz auf die eine Karte PDL gesetzt, haben gelegentlich auch die PDL mit einem konsequent antikapitalistischen Projekt verwechselt. Dann gab es (...und gibt es) parlamentarische Fixierung, Verharren in Passivität, internen Streit, Austritte und Resignation. Die beiden Autoren des Strategiepapiers gehören sicher auch zu den Enttäuschten. Warum aber jetzt eine so starke Drohung und warum so ultimativ ?

Laßt die PDL doch eine ordentliche radikaldemokratische Bürgerrechtspartei sein oder werden. Laßt attac eine andere spezielle Einheitsfront mit eigenen Themen sein oder werden. Laßt die Gewerkschaften ein radikaler Kontrahent gegen die fortschreitende Entwertung der Ware Arbeitskraft sein oder werden. Laßt uns alle mit dafür sorgen, dass diese speziellen Einheitsfrontformationen ihre Aufgaben gut erledigen. Eine ‚sozialistische Umwälzung' aber wird doch allen Ernstes von keiner dieser drei Formationen angestrebt, nicht vor drei Jahren und auch heute nicht, nicht von der PDL und auch nicht von der PDL in NRW.
  
Ganz im Sinne von jenem E. Lieberam, der vor anderthalb Jahren in einem Aufsatz unter dem Titel "Zeitgemäß die System- und Machtfrage stellen" selbst schrieb: 6

"...wird linke Politik nur dann erfolgreich sein, Forderungen der abhängig Arbeitenden
durchzusetzen und die Klassenmachtverhältnisse zu verändern, wenn sie organisiert ist und ihre primäre Aufgabe in der gezielten Mobilisierung von Gegenwehr sieht."
 "(...) Die antikapitalistische Linke in Deutschland muss sich aus historischer und aktueller Sicht der Kompliziertheit der gegenwärtigen Situation, der Gefahren, aber auch der Chancen und der Probleme bewusst sein. Allein spontane Gegenwehr wird wenig bringen, wenn sie nicht mit einer höheren Qualität gewerkschaftlicher und politischer Organisation und einem entsprechendem Medieneinfluss einhergeht. Dazu bedarf es entsprechender Organisationsformen. Im Unterschied zu 1930 existiert heute in Deutschland keine marxistische Partei mit Masseneinfluss. Es fehlt ein Kristallisationskern, ein anerkanntes Zentrum einer kämpferischen linken Politik und, als Folge davon, ein allgemein anerkanntes Aktionsprogramm. Der politische Einfluss der DKP ist bescheiden, ihr Parteiprogramm vom April 2003 enthält viel Richtiges. Andere sich kommunistisch oder marxistisch-leninistisch nennende Parteien und Organisationen sind Kleinstgruppen und haben zumeist keinerlei Verankerungen in der arbeitenden Klasse. Die PDL wird ein solches Zentrum kaum werden können. Sie ist sicherlich dazu bereit, eine derartige Rolle in den Wahlkämpfen zwecks Stimmenmaximierung zu spielen, aber vermutlich nicht in den außerparlamentarischen Kämpfen.(...) In der Führung der PDL dominieren Regierungslinke, die, freundlich interpretiert, die Illusion haben, das Krisenmanagement der herrschenden Klasse sozial beeinflussen zu können."

Voila!  Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Außer ein paar Fragen an E. Lieberam und seinen Co-Autor M. Kellner.
 
Was bewegt Euch eigentlich, gut anderthalb Jahre nach Niederschrift dieser Zeilen und nach dem weiteren Niedergang antikapitalistischer Initiativen und Politik in der PDL, anzunehmen, diese Partei könnte im Resultat doch noch ausgerechnet auf ‚sozialistische Umwälzung' gebürstet werden ?
Wenn ihr aber dies so nicht annehmen solltet und eigentlich und nur taktisch darauf setzt, dass es im Gebälk der PDL wieder einmal kracht und irgendein Sozialdemokrat im Parteivorstand z.B. wieder auf irgendeine bürgerliche ‚Staatsräson' einschwören und eine Richtungsentscheidung herbeiführen möchte, um dann irgendwie ‚abstauben' zu wollen, so drängt sich die Frage auf, welche funktionierenden Kollektive denn die antikapitalistische Arbeit bis dahin verrichten sollen ? Ihr seid ja mit euren Marxistischen Forum oder der isl kaum noch zu vernehmen.7
Seht ihr nicht, dass es dringend geboten ist, schon heute mit all diesen so komplizierten strategischen und taktischen Debatten um ‚sozialistische Umwälzung' und ‚Massenstreik' usf. zu beginnen und vor allem deren Resultate praktisch zu überprüfen, ohne sich ständig parteiintern von irgendwelchen sozialliberalen Karrieristen hindern zu lassen ?

Eure Entdeckung der ‚Lichtpunkte sozialistischer Umwälzung' in Gestalt der PDL in NRW bzw. Wolfgang Zimmermanns wackerer Truppe entpuppt sich bei näherem Hinsehen, befreit von bloß verklärendem Hoffnungsschimmer und heruntergezerrt auf den Boden dessen was ist, schlicht als Witz. Ihr erweist Eurer Parteiorganisation in NRW keinen guten Dienst, diese mit der Messlatte der sozialen Revolution zu erschlagen. Die PDL in NRW macht unter den gegeben Umständen im Großen und Ganzen einen leidlich guten Job - als sozialkritisch orientierte Bürgerrechts- und Friedenspartei ! Nicht mehr und nicht weniger.

Frank Braun, Mitglied der Sozialistischen Kooperation (SoKo)
Köln, den 28.09.2010


1 Siehe scharf-links.de vom 26.09.2010
2 Gerade E.Lieberam  hatte bereits am 09.01.2006 mit "Konsequente Kapitalismuskritik" sowie am 16. und 18.02.2008 mit "Barbarei oder Sozialismus" und "An die Wurzeln gehen" viel Konkreteres und m.E. auch Klügeres u.a. zum Thema beizutragen. Alle drei Texte sind ursprünglich in ‚junge Welt' (vgl. Archiv) erschienen und  u.a. auch nachzulesen in www.sozialistische-kooperation.de - dort unter ‚Debatte'. Ich erlaube mir, die Lektüre dieser Texte heftig zu empfehlen.
3 Vgl. die Kontroverse um die ursprünglich erfolgte Zustimmung einzelner Parteivorständler der PDL, z.B. Werner Dreibus,  zu den Vereinbarungen von DGB und BDA, nach denen es unter der Überschrift "Gesetzliche Regelung der Tarifeinheit" eine Einschränkung des Streikrechts für Spartengewerkschaften geben soll. Dreibus und seinen BeraterInnen wurde dann zwar vom Parteivorstand der PDL wieder zurückgepfiffen, die devote Haltung der Parteispitze vor jedem Darmwind von Sommer oder Huber bleibt aber geradezu verläßlich. 
4 Ganz abgesehen davon, dass Leute außerhalb der PDL mit dieser Art product placement in der Partei und Strömung unabhängigen Bildungsgemeinschaft SALZ e.V. wohl kaum zufrieden sein dürften; vgl. dazu die Rücktrittserklärung des Vorstands des Kölner Bildungskreises von SALZ unter dem Titel "SALZ wird zunehmend lediglich noch Spielgeld für parteiinterne Manöver der Partei ‚Die Linke.' darstellen" in
scharf-links.de vom 09.07.2010
5 Vgl. dazu ausführlich u.a. in www.sozialistische-kooperation.de unter (Projekte > Partei ‚Die Linke.')
6  Vgl. unter E. Lieberam: "Zeitgemäß die System- und Machtfrage stellen". Wohl liegt mir der Aufsatz als .pdf-Datei  vor, ich kann aber die Quelle auf der website der Marx-Engels-Stiftung  nicht mehr finden.
7 Das trifft natürlich auf  das spezielle Wirken der Kommunistischen Plattform (KPF) oder der SAV oder anderer Klein- und Kleinstgruppen in der PDL genauso zu.

 



Zwei strategische Fragen linker Politik:
Massenstreik und Umwälzung der Verhältnisse
 - 26-09-10 21:54




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