#MeToo und DIE LINKE

27.11.22
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Von Edith Bartelmus-Scholich

Am 15. April 2022 berichtete der Spiegel in einer fünfseitigen Reportage über sexuelle Übergriffe in der hessischen LINKEN. Das ist jetzt mehr als ein halbes Jahr her. Wie geht die Partei DIE LINKE mit den Problemen um?

Der Spiegel-Artikel erschütterte die ohnehin schon angeschlagene Partei. Er belastete die schon vorher geschwächte Vorsitzende Janine Wissler. Er hatte zur Folge, dass auf dem Bundesparteitag in Erfurt im Juni 2022 der Parteivorstand neu gewählt wurde und die Debatte über den Umgang mit #LinkeMeToo großen Raum einnahm. In dieser Debatte erhoben mehrheitlich junge Genossinnen sowohl vor dem gesamten Parteitag als auch im Frauenplenum die Stimme und schilderten eindrücklich ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen oder Sexismus in der Partei. Es waren bewegende Momente eines versuchten Bruchs mit der patriarchalen Unterdrückung von Frauen in der Partei. Sie blieben selten.

Was ist #MeToo?

#MeToo hat Millionen von sexuellen Übergriffen betroffenen Frauen seit seinem Beginn vor 5 Jahren eine Stimme und ein Gesicht in der Öffentlichkeit gegeben. Das war mutig und erfolgreich: Viele Mehrfachtäter sitzen heute hinter Gittern. Viele Millionen Frauen und Männer haben sich mit den Betroffenen öffentlich solidarisiert. Die Gesellschaft ist für sexuelle Übergriffe heute eher sensibilisiert.

Die eigene Geschichte, das eigene Leid, aber auch den Namen des Täters in der Öffentlichkeit zu nennen und seine Bestrafung einzufordern, ist der emanzipatorische Kern von #MeToo. Es ist nicht zufällig, dass #MeToo nicht vor 100 oder 50 Jahren, sondern erst vor 5 Jahren begann. Selbstbewusst das Gesicht zu zeigen und die Stimme zu erheben, die eigene Verletztheit und die Gewalterfahrung zum öffentlichen Thema zu machen, erfordert eine vorausgegangene Emanzipationsgeschichte sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich. Die Grundlagen für #MeToo wurden in rechtlicher Gleichstellung und in massenhafter Frauenerwerbsarbeit gelegt. Fast alle Frauen, die sich mit #MeToo zu Wort melden sind erwerbstätig. Millionen Mal erfolgten die offenbarten sexuellen Übergriffe im Rahmen der Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig erwächst #MeToo aus einer neuen kämpferischen Welle der Frauenbewegung, getragen von überwiegend jungen Frauen, die sowohl patriarchale Rollenzuweisungen als auch sexualisierte Frauenbilder und sexuelle Gewalt bekämpfen. Ohne diese Voraussetzungen wäre der Erfolg von #MeToo nicht darstellbar.

Patriarchale Reaktion

#MeToo hat allerdings auch zu heftiger Gegenwehr der patriarchalen Gesellschaft geführt. KritikerInnen der weiblichen Gegenwehr warnten schon 2018 vor dem „Klima einer totalitären Gesellschaft“. #MeToo habe eine „Kampagne der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen“ ausgelöst – die Beschuldigten seien auf eine Stufe mit sexuellen Aggressoren gestellt worden, ohne antworten oder sich verteidigen zu können. Als Folge konstatierten sie eine „Säuberungswelle“, von der insbesondere Kunst und Kultur betroffen sei, was letztlich zu einer unfreien Gesellschaft führen könne. Sie befördere zudem einen Puritanismus und spiele so den Gegnern der Emanzipation in die Hände. Zwar sei es legitim, die Formen sexueller Gewalt gegenüber Frauen zu vergegenwärtigen. Eine beharrliche oder ungeschickte Anmache sei jedoch kein Vergehen – schließlich gäbe es keine sexuelle Freiheit ohne eine „Freiheit, jemandem lästig zu werden“.

Aus diesen Argumenten wird klar, dass die sexuelle Freiheit (von übergriffigen Männern) offenbar der seelischen und körperlichen Unversehrtheit von Frauen übergeordnet werden soll. Noch weiter gehen die Angriffe von David Schneider und Thomas Maul in einem Essay in der Zeitschrift Bahamas von März 2018: Die MeToo-Bewegung habe keinen „rationalen bzw. feministischen Kern“ sondern sei „von Anfang an ein hemmungsloser Angriff auf das zivilisierte Zusammenleben in den westlichen Gesellschaften“ gewesen.

Und was ist #LinkeMeToo?

Alle vorgenannten Argumente bekommen betroffene Frauen und ihre UnterstützerInnen auch in linken Zusammenhängen bis hin zur Partei DIE LINKE täglich zu hören. Das Patriarchat bestimmt auch linkes Denken.

Das hat Folgen für den Umgang mit #linkemetoo in der Partei DIE LINKE :

Den Betroffenen von sexuellen Übergriffen und Sexismus in der Partei DIE LINKE wird wird konsequent die Stimme und das Gesicht genommen. Keinesfalls sollen sie parteiöffentlich sagen, dass sie betroffen von sexuellen Übergriffen sind. Es wird ihnen geraten, nicht den Namen des Täters zu nennen. Das genau ist jedoch der befreiende Kern von #MeToo. Die politische Praxis in der Partei DIE LINKE beraubt die Betroffenen des emanzipatorischen Moments. Wenn #MeToo als eine Selbstermächtigung verstanden werden kann, dann ist #LinkeMeToo das Ersticken einer Selbstermächtigung.

Folgerichtig wird Betroffenen in der Partei DIE LINKE Schweigen empfohlen. Seit einigen Monaten können sie sich zwar an Expertinnenkommissionen und an Vertrauensgruppen wenden. Dort erfahren sie Unterstützung, aber nicht dabei die Vorwürfe parteiöffentlich zu erheben. Alle Vorwürfe werden praktisch als Geheimsache behandelt. Auch von Dritten, die von der Betroffenen über die Vorwürfe informiert wurden, wird verlangt zu schweigen. Die Unschuldsvermutung gegenüber dem Beschuldigten ist in der innerparteilichen Praxis der Stärkung der Betroffenen übergeordnet.

Betroffene werden ein zweites Mal zum Opfer

Frauen, die sich dem nicht unterwerfen, sondern den Namen des Täters nennen, werden oft mit Unterlassungsklagen überzogen. Im Landesverband Bayern ließ sich ein Beschuldigter dazu von einer Genossin, die Mitglied der Bundesschiedskommission war, anwaltlich gegen Genossinnen, die Vorwürfe gegen ihn erhoben, vertreten. Der Parteikarriere der Genossin aus der Bundesschiedskommission hat es nicht geschadet: Sie ist seit kurzem Sprecherin der bayrischen Landespartei.

Es gibt Rufmordkampagnen und Mobbing gegen Betroffene und deren UnterstützerInnen ohne dass die Vorstände dagegen einschreiten. Aber so gut wie nie hat der Vorwurf einer Genossin Folgen für den beschuldigten Genossen. Die meisten Parteikarrieren gehen ohne Knick weiter. Zieht sich ein exponierter, beschuldigter Funktionsträger vom Amt zurück, wie zuletzt in NRW, wird die Legende verbreitet, dass seine Ex-Freundin und deren Unterstützerinnen ihn diffamiert und aus dem Amt gemobbt haben. Die Parteikarriere der betroffenen Genossin ist jedoch regelmäßig beendet, sobald sie sich wehrt.

Frauen, die in der Partei DIE LINKE gegen sexuelle Belästigung aufstehen, werden systematisch ein zweites Mal zum Opfer gemacht. Vorwürfe, die schon erwiesen sind, werden dabei kleingeredet und im Umgang mit den Tätern werden Samthandschuhe angezogen. Ganze Strömungen vertreten, dass es faktisch ein Recht auf Selbstverwirklichung durch sexistisches Verhalten geben müsse. Parteitage, wie zuletzt der Landesparteitag in NRW, entgleisen völlig, weil Delegierte ihr vermeintliches Recht Genossinnen herabzuwürdigen und als Objekt zu behandeln, in antifeministischen Redebeiträgen einfordern ohne, dass das Tagungspräsidium auch nur einmal einschreitet. Und in der patriarchalen Partei gibt es zudem eine langjährige Kultur der Kolaboration von Frauen mit übergriffigen Männern, die bis in die höchsten Parteiämter reicht.

Ständige Rückschläge im Kampf gegen Sexismus

Zum Bundesparteitag lag ein Antrag von Feministinnen zur Erneuerung des feministischen Konsens in der Partei DIE LINKE vor. Er wurde verabschiedet und soll nun in den Landesverbänden umgesetzt werden. In NRW war der Landesvorstand mehrheitlich bereit dazu. Der diesbezügliche Beschluss des Landesvorstands wurde von vier Landesvorstandsmitgliedern der Strömung Sozialistische Linke vor der Landesschiedskommission angefochten. Die Anfechtung richtete sich gegen eine Selbstverpflichtung von Funktions- und MandatsträgerInnen zum Besuch eines Seminars, welches für Sexismus sensibilisieren soll. Im Kern richtete sich damit die Anfechtung auch gegen den Beschluss des Bundesparteitags. Zwei Tage vor einem Landesparteitag signalisierte die Landesschiedskommission, dass sie die Selbstverpflichtung als unzulässigen Eingriff in die Rechte von Funktions- und MandatsträgerInnen einstuft, und den Landesvorstandsbeschluss aufheben wird. Auf dem anschließenden Landesparteitag gebärdete sich ein Teil der Delegierten triumphalistisch und wie ein sexistischer Sauhaufen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht gelungen war auf dem Bundesparteitag eine Satzungsänderung zu beschließen, die er erlaubt hätte, Sanktionen bis hin zum Parteiausschluss gegen überführte Genossen zu verhängen. So bleibt es dabei, dass selbst langjährig als übergriffig bekannte Männer nicht sanktioniert werden können. Auch ist es bislang nicht durchsetzbar, dass Beschuldigte bis zur Klärung der Vorwürfe ihre Ämter ruhen lassen.

Transformative Gerechtigkeit als Perspektive?

Bei sexuellen Übergriffen möchte die Partei DIE LINKE zukünftig das Konzept der transformativen Gerechtigkeit anwenden. Transformative Gerechtigkeit ist eine Idee und Bewegung, die in USA von Schwarzen Cis-Frauen, Queers und Trans*-Menschen getragen wird. Die Bewegungen steht auch für Widerstand gegen den industriellen Gefängnis- Komplex, weißen Mainstream-Feminismus und institutionalisierte Anti-Gewalt-Arbeit. Es handelt sich um ein Konzept welches auf Verbrechen angewendet wird bei denen Täter und Opfer gesellschaftlich marginalisiert sind.

Eine Verletzung, z.B. ein sexueller Übergriff, wird als zwischenmenschliche Verletzung begriffen. Daher steht die Wiedergutmachung des erlebten Unrechts im Verhältnis zwischen der verletzten Person und dem Täter im Vordergrund. Die Verantwortungsübernahme der gewaltausübenden Person für ihre Tat ist dabei ausschlaggebend.  Transformative Gerechtigkeit hat nicht das Ziel, die gewaltausübende Person zu bestrafen oder auszuschließen. Gleichwohl hat sie auch gerade nicht das Ziel, sie zu schützen. Vielmehr folgt sie der Annahme, dass für Verletzte oft bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn ausgehend von den Bedürfnissen und Wünschen der verletzten Person ein Dialog mit dem Täter versucht wird. Die kontinuierliche Einbeziehung der Betroffenenperspektive ist deshalb unverzichtbar.

Hierbei gibt es ein praktisches und ein grundsätzliches Problem. Erfolgreiche Prozesse der transformativen Gerechtigkeit dauern häufig bis zu mehreren Jahren. Das heißt praktisch mit einem einzelnen Täter muss eine Gruppe kontinuierlich lange Zeit arbeiten. In der Partei DIE LINKE gibt es jedoch viele Täter, so dass ein solcher Ansatz bald zur Überlastung der dafür geschaffenen Strukturen führen wird. Grundsätzlich stellt sich zudem die Frage, ob ein Konzept das für Verbrechen von Unterdrückten gegenüber anderen Unterdrückten entwickelt wurde, wird in einer linken, weißen, männerdominierten Partei unter Missachtung des gesellschaftlichen Machtgefälles zwischen einem Täter, der gesellschaftlich der Gruppe der Unterdrücker angehört, und einem Opfer, das gesellschaftlich zur Gruppe der Unterdrückten gehört, also unter Nichtbeachtung des gesellschaftlichen Machtgefälles, überhaupt erfolgreich einsetzbar ist.

Edith Bartelmus-Scholich, 27.11.2022







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