Abwahl von Sabine Wils als Sprecherin der Delegation DIE LINKE. im Europaparlament markiert eine Rechtsentwicklung
Von Edith Bartelmus-Scholich
Tiefgehende politische Differenzen in der Delegation DIE LINKE. im europäischen Parlament haben heute zu personellen Konsequenzen geführt. Eine Mehrheit von 5 der 8 EU-Abgeordneten der Linkspartei sprach der bisherigen Sprecherin der Delegation, Sabine Wils das Misstrauen aus und wählte sie damit ab. Während die neu gewählte Doppelspitze aus Gabi Zimmer und Thomas Händel den Vorgang mit einer Pressemeldung aus einem Satz bekannt machte, wandte sich Sabine Wils mit einer zweiseitigen Erklärung (s. Anhang) an die Öffentlichkeit. Hintergrundgespräche unserer Redaktion bestätigen ihre Darstellung im Wesentlichen.
Europaweite Mindestlöhne: In Deutschland 5,10 Euro?
In EuropaRot 2, Ausgabe Mai 2010 - Zeitschrift der Delegation DIE LINKE im EP - wurde auf Seite 3 unter der Überschrift "Linke Forderungen an die EU 2020 Strategie" von den EU-Abgeordneten Thomas Händel, Jürgen Klute und Gabi Zimmer gefordert: "eine verbindliche Eu-weite Mindestlohnrichtlinie und armutsfeste Mindesteinkommen auf der Basis von 60% des nationalen Durchschnittseinkommens der Haushalte (nationaler Meridian des Haushalts-Äquivalenzeinkommens). In EuropaRot 3 Juli 2010 schrieb Thomas Händel: "Wir fordern darüber hinaus soziale Mindeststandards wie eine europaweite Mindestlohnregelung von 60% des nationalen Durchschnittseinkommens." Damit unterlaufen Teile der Linkspartei-Delegation die Mindestforderung der Partei in ihrer Substanz und Höhe.
DIE LINKE hat nämlich in ihrem in Essen beschlossenen Europawahlprogramm eine andere, weiter gehende Forderung aufgestellt. Gefordert wurde: "DIE LINKE unterstützt die Forderung des Europäischen Parlaments, dass die EU eine Zielvorgabe zum Niveau von Mindestlöhnen in Höhe von mindestens 60% des nationalen Durchschnittslohns vereinbart, um Armut trotz Erwerbsarbeit zu verhindern."
Eine Orientierung am Durchschnittseinkommen statt am Durchschnittslohn würde im Ergebnis viel niedrigere Mindestlöhne in Europa bedeuten, da in die Ermittlung der Haushaltseinkommen u.a. auch die Einkommen aus Sozialleistungen einfließen. In Deutschland entspricht eine Forderung von 60% der Haushaltseinkommen einem Mindestlohn von 5,10 Euro pro Stunde. 60% des Durchschnittslohns (durchschnittliches Bruttoarbeitsentgelt aller Sozialversicherten) ergäbe hingegen 8,84 Euro.
Zustimmung zur europäischen Finanzmarktregulierung?
In einem ersten Votum hat das EU-Parlament über Vorschläge zu einer europäischen Finanzmarktregulierung abgestimmt. In der föderalen Linksfraktion besteht nahezu Einigkeit, dass die Vorschläge völlig unzureichend sind. Diese Position wurde auch von den beiden deutschen Berichterstattern den Abgeordneten Thomas Händel und Jürgen Klute zunächst geteilt. Am 6. Juli 2010, kurz vor der entscheidenden Abstimmung, warben sie jedoch in der Linksfraktion für eine Zustimmung zu diesem Paket. Am 7. Juli 2010 listet das Generalsekretariat der Linksfraktion (GUE/NGL) auf, dass Teile der Delegation DIE LINKE dem Paket zur Finanzmarktregulierung zustimmen.
Für die Militarisierung der EU durch den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD)?
Die Partei DIE LINKE lehnt einen Europäischen Auswärtigen Dienst ab, da er zur weiteren Militarisierung der EU beiträgt. Um aber ein Mindestmaß an demokratischer Kontrolle über den EAD zu erreichen, fordert die Linksfraktion (GUE/NGL) im Europa-Parlament die Stärkung nationaler Aufsichtsrechte, ganz analog zu den Forderungen der Linksfraktion im Bundestag. In der Abstimmung über diesen Antrag enthielten sich laut Sitzungsprotokoll vom 8.7.2010 die drei Abgeordneten der Delegation DIE LINKE, Cornelia Ernst, Helmut Scholz und Gabi Zimmer. Offenbar teilen sie das Anliegen des Antrags nicht.
Mit ihrer Erklärung macht Sabine Wils die Differenzen und Spannungen in der Linkspartei-Delegation, die Mitglied der Linksfraktion des Europa-Parlaments ist (GUE/NGL) sichtbar. Dieser Schritt war überfällig, angesichts der Positionen, die von einem Teil der Abgeordneten vertreten werden. Es wäre politisch unverantwortlich gewesen, die Partei, aber auch die Wählerschaft, über die Verselbständigung und Rechtsentwicklung von Teilen der Delegation DIE LINKE weiter im Unklaren zu lassen.
Edith Bartelmus-Scholich, 14.9.2010
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2010_09_14_Erklaerung_Sabine_Wils1.pdf