Über 'falsche' Koalitionen und 'linke' Sammlungsbewegungen

16.01.18
LinksparteidebatteLinksparteidebatte, Debatte, TopNews 

 

von systemcrash

Die politische Landschaft in der BRD hat sich verändert und verschoben. Das ist einerseits eine gute Nachricht; andererseits aber auch eine schlechte. Denn die Profiteure dieses Wandels sind (weit) eher auf der rechten Seite verortet. Trotzdem liegt in jeder Krise immer auch eine Chance.

Aus 'linksradikaler' Sicht macht man es sich häufig mit der SPD viel zu einfach. Der Hinweis, dass die SPD seit 1914 (!!) eine 'Umfallerpartei' ist, ist zwar 'formal-historisch' richtig, kann man aber kaum als (inhaltliches) 'Argument' gelten lassen (vor allem 100 Jahre später scheint sich mir dahinter eher eine linke Argumentationsschwäche zu verbergen). Schwerwiegender ist da schon die geistige Urheberschaft von Agenda 2010 und Hartz 4, womit die SPD quasi die bürgerlich-neoliberale Offensive initiiert hat! Mit diesem Erbe hat auch die Schulz-SPD nicht gebrochen. Die gehässigen Kommentare gegen die SPD-interne Opposition zu den GroKo-Plänen (Dobrindt verstieg sich gar zu dem Ausdruck "Zwergenaufstand") zeigt aber, dass die Hegemonie des neoliberalen Diskurses nicht mehr unwidersprochen hingenommen wird.

Man darf sich aber über den 'linken Flügel' der SPD nicht allzu viele Illusionen machen. Ein fb-Freund schrieb in einem Kommentar zu den Auseinandersetzungen in der SPD:

"Hinzu kommt, dass der so genannte "Linke Flügel" der SPD politisch völlig plan- und persepektivlos ist.
Denn er richtet sich an einer Chimäre (einem Trugbild) auf - nämlich an der Idee einer SPD, die als Oppositionspartei oder Regierungspartei ohne die Union als Partnerin linke, soziale, arbeitnehmerfreundliche oder auch nur klassisch sozialdemokratische Politik betreiben würde. Dabei wurde doch in der jüngeren Geschichte eindrucksvoll gezeigt, dass die SPD auch ganz ohne die GroKo als Ausrede Politik gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung und für die Banken und Konzerne macht.
Am Schlimmsten hat sie es übrigens getrieben, als sie als stärkste Partei an der Seite der Grünen den Kanzler stellte!" [https://www.facebook.com/marcus.hesse.3/posts/10208545378671192]

Ich stimme diesen Aussagen vollkommen zu. Man muss allerdings aufpassen, dass man diese Politik der SPD nicht allein mit dem 'bösen Willen und Charakter' ihrer Mitglieder begründet. Die neoliberale Offensive hat ökonomische Gründe, die in der Globalisierung liegen und die auch die Rahmenbedingungen für 'Reformpolitik' ('Reform' im vorneoliberalen Sinne) verändert haben. Dass auch Sozialdemokraten dem TINA-prinzip (zum Kapitalismus) huldigen, hat eben auch was damit zu tun, dass die 'radikale linke' nichts Überzeugendes gebacken bekommt.

Tom Strohschneider schreibt im OXI-Blog:

„Gabriel ist »der Überzeugung, dass die Krise der deutschen Sozialdemokratie weniger etwas mit einem Regierungsbündnis mit den Konservativen in Deutschland zu tun hat als mit diesen völlig veränderten Rahmenbedingungen für sozialdemokratische Politik«. Das ist ein anderer Ton als der übliche, in dem abgewogen wird, ob eine nächste GroKo für die SPD das letzte Stündlein schlagen wird oder etwas anderes. Es verweist zumindest auf die zentrale, aber kaum besprochene Stelle – wenn man so will: die Politische Ökonomie sozialreformerischen Handelns...
Die Sozialdemokratie, von der Gabriel hier spricht, hätte kein Gramm utopischen Überschuss mehr, sie will nicht mehr sein als soziale Reparaturbrigade des Kapitalismus, ihr fehlt die Lust an der Idee grundlegender Veränderung.“

Was hat es nun mit der 'linken Sammlungsbewegung' auf sich? Falls diese 'Debatte' mehr ist als ein Machtgeplänkel zwischen den Wagenknecht-Anhängern und dem Kipping-Flügel, kann man diese Idee wirklich nur als äusserst unausgegoren bezeichnen. Lucy Redler hat die Gründe, die  dagegen sprechen, schon ziemlich gut aufgeführt; warum ich mir eine Wiederholung an dieser Stelle sparen kann.

Meine Argumente orientieren sich aber weniger an den aktuellen Kräfteverhältnissen (auch wenn dieser Hinweis absolut berechtigt ist), sondern mehr an den programmatischen Problemen. Grundsätzlich würde ich davon ausgehen, dass die Politik von SPD (und Grüne sowieso) ausserhalb eines 'linken Projektes' (wie immer es geartet wäre) angesiedelt ist. Und auch die Politik der PDL ist selber bestenfalls (!!) 'linksreformistisch' (auch wenn es einen 'radikal linken' Flügel gibt, der aber innerhalb der PDL ohne jegliche Bedeutung zu sein scheint und auch nicht immer konsistent argumentiert). Das heisst, es würde zunächst einmal darum gehen müssen, die programmatischen (und theoretischen) Grundlagen einer 'linken Sammlungsbewegung' zu bestimmen. Meines Erachtens würde so eine Anstrengung aber nur dann Sinn machen, wenn so eine 'Sammlungsbewegung' Perspektiven weisen könnte, die über den Kapitalismus hinausweisen. Eine dritte, vierte oder x-te reformistische Organisation (egal, ob Partei oder Sammlungsbewegung [was ja nur eine Vorstufe zur Parteiförmigkeit darstellen soll]) scheint mir so überflüssig wie ein Kropf zu sein.

In einem Artikel in neuen deutschland, die eine Stellungnahme des ISM (Institut Solidarische Moderne) referiert, heisst es:

"Ohnehin könne eine neue Sammlung nur aus einem demokratischen Prozess heraus entstehen, in dem sich die vielfältigen Milieus nicht »einfach nur unter der Führung großer Namen« zusammenfänden. Stattdessen müsse erst eine gemeinsame Form des politischen Umgangs gefunden werden, für den es Reflexion und Praxen brauche.
Letztlich hätte ein solches Projekt nach den Vorstellungen des ISM nur eine Chance auf Basis von internationaler Solidarität, die sich zum Ziel setzt, Herrschaftsverhältnisse hinsichtlich von Klassen, Geschlechtern, Sexualität, Ethnie und dem Verhältnis zur Natur zu überwinden. Nur wer »diese Herrschaftsverhältnisse gemeinsam in den Blick nimmt« sei »auf der Höhe der Zeit« und würde »an einer Bewegung arbeiten, die ein emanzipatorisches Potential entfalten kann."

Obgleich ich mit dem ISM nun gar nichts zu tun habe (think tank für R2G), finde ich obige Überlegungen vollkommen richtig. Sie zeigen auch, mit welch enormen [theoretischen] Schwierigkeiten ein 'linkes Organisierungsprojekt' zu kämpfen hätte. 'Hurrastimmung' [1] (Rosa Luxemburg) -- egal, ob reformistisch oder 'revolutionär' -- ist auf jeden Fall dabei unangebracht.

[1] "Das Erwachen der revolutionären Tatkraft der Arbeiterklasse in Deutschland kann nimmermehr im Geiste der Bevormundungsmethoden der deutschen Sozialdemokratie seligen Angedenkens durch irgendeine fleckenlose Autorität, sei es die der eigenen „Instanzen“ oder die des „russischen Beispiels“, hervorgezaubert werden. Nicht durch Erzeugung einer revolutionären Hurrastimmung, sondern umgekehrt: nur durch Einsicht in den ganzen furchtbaren Ernst, die ganze Kompliziertheit der Aufgaben, aus politischer Reife und geistiger Selbständigkeit, aus kritischer Urteilsfähigkeit der Massen, die von der deutschen Sozialdemokratie unter verschiedensten Vorwänden jahrzehntelang systematisch ertötet wurde, kann die geschichtliche Aktionsfähigkeit des deutschen Proletariats geboren werden. Sich kritisch mit der russischen Revolution in allen historischen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, ist die beste Schulung der deutschen wie der internationalen Arbeiter für die Aufgaben, die ihnen aus der gegenwärtigen Situation erwachsen."

Ob der Hinweis auf die „russische Revolution“ heutzutage noch so richtig ist, sei dahingestellt. Ansonsten scheinen mir Rosas Luxemburgs Worte – auch nach 100 Jahren! -- weiterhin brandaktuell zu sein; - wobei man das 'Brand' durchaus wörtlich nehmen darf.

 







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