Kommentar von Edith Bartelmus-Scholich
Am 24. Februar jährt sich der Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Kriegs gegen die Ukraine zum ersten Mal. Zu diesem Jahrestag fordern Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht und knapp 70 Erstunterzeichner:innen mit einer Online-Petition Olaf Scholz auf sich unter Verzicht auf Waffenlieferungen an die Ukraine für eine diplomatische Lösung einzusetzen. (1) Das Spektrum der ErstunterzeichnerInnen reicht von Todenhöfer und Gauweiler, General Erich Vad über Margot Käßmann bis hin zu den früheren parteilosen Bundespräsidentenkandidaten der LINKEN Trabert und Butterwegge. Für den 25. Februar rufen die ErstunterzeichnerInnen zu einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor auf.
Sehr bald nach Veröffentlichung der Petition erhielt diese öffentliche Unterstützung aus der AfD. Bekannte Rechtsextremisten wie Jürgen Elsässer, Tillschneider und Chrupalla signalisierten Zustimmung und begannen nach Berlin zu mobilisieren.
Rechtsoffenes Manifest
Die Inhalte des „Manifests für den Frieden“ erlauben es Rechten und Rechtsextremen dieses zu unterstützen. Auf jede Forderung, die z.B. der AfD zuwiderlaufen würde, wurde verzichtet. Konkret bedeutet das, es fehlen die Forderung nach Abzug der russischen Truppen ebenso wie eine Forderung nach Sanktionen gegen die russischen Oligarchen und Putins Machtapparat. Es fehlen Forderungen zur Aufnahme von Geflüchteten und zur Solidarität mit Menschen, die sich in Russland gegen den Krieg stellen. Auch die Aufnahme von Deserteuren wird nicht gefordert.
Es fehlen zusätzlich Forderungen nach Abrüstung der Bundeswehr und nach einem Rückbau der Rüstungsindustrie in Deutschland. Auch das Sondervermögen der Bundeswehr wird nicht kritisiert. Es ist kein Zufall, dass alle diese Forderungen im Text fehlen. Der Verzicht darauf ist der politische Preis, der zu zahlen ist, wenn auch Reaktionäre wie Gauweiler, Todenhöfer und Vad unterzeichnen sollen. Und natürlich findet sich auch nirgendwo die Ansage: Nazis, Rechtspopulisten, "Querdenker" sind nicht willkommen!
Mit der Querfront aus der Krise der Partei?
Wagenknecht und Teile des rechtsextremen Spektrums bewegen sich seit Jahren aufeinander zu - allerdings in unterschiedlicher Weise. Wagenknecht experimentiert seit langem mit unterschiedlichen Formen der Querfront. Die Querfront als Bündnis mit der Führung rechter Parteien lehnt sie ab. Was sie regelmäßig praktiziert ist eine "Querfront von unten", wenn sie sich in populistischer Manier mit rechten Narrativen an die Basis und die WählerInnen rechter Parteien wendet. Grundlage dafür ist die "Querfront im Denken", die sie vertritt; denn ideologisch hat sie schon vor Jahren die Seiten gewechselt. Ihre Werte sind heute Nation, Leitkultur, Leistungsgesellschaft und Klassenzusammenarbeit. Rechte Ideen werden von ihr in eine rhetorisch linke Matrix eingewoben und dabei wird ein Transformationsprozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf linke Ideen völlig eliminiert werden. Dazu erklärt Wagenknecht ihre Vorgehensweise sei eine Strategie Wählerinnen und Wähler der AfD wieder für DIE LINKE zu gewinnen. Die Mehrzahl ihrer Anhänger:innen in der Partei DIE LINKE verbindet damit Hoffnungen auf bessere Wahlergebnisse.
Längst eine Ikone der Rechten
Aus rechten und rechtsextremen Kreisen erfährt Wagenknecht viel Anerkennung. Mehr als 50 Prozent ihre Follower in den Sozialen Medien bekennen sich zu einer rechten Weltanschauung. Sie wird als geeignete Partnerin für eine Querfrontstrategie angesehen. Jürgen Elsässer, der Herausgeber des rechtsextremen Magazins Compact, selbst von der radikalen Linken zur extremen Rechten gewechselt und seit Jahrzehnten gut bekannt mit Wagenknecht und deren Ehemann Lafontaine, propagandiert die Zusammenarbeit von Linkspartei und AfD unter Führung von Wagenknecht und Weidel. Und Elsässer ist nicht allein. Im letzten Landtagswahlkampf plakatierte die AfD in Sachsen-Anhalt mit dem Bild und einem migrationsfeindlichen Zitat von Wagenknecht.
Die Querfront wird konkret
Nun hat also Wagenknecht mit einem Alleingang ein rechtsoffenes Manifest mit zum Teil rechtsbürgerlichen Bündnispartner:innen veröffentlicht und ihrem Aufruf schließen sich bekannte Rechtsextreme an. Gleichzeitig wirbt sie massiv um die Unterstützung ihrer Initiative durch die Partei DIE LINKE. Nachdem sie allerdings auf einer parteiöffentlichen Sitzung des Parteivorstands am 16.2. nicht zugesagt hat, bekannte Rechtsextreme durch die Polizei von der Demonstration entfernen zu lassen, distanzierte sich der Parteivorstand inhaltlich von ihrer Kundgebung.
Zwischenzeitlich ist einigen der bürgerlichen Erstunterzeichner:innen klar geworden, dass sie in Gefahr laufen mit Rechtsextremen am gleichen Projekt zu arbeiten. Mit Professor Johannes Varwick hat sich ein Erstunterzeichner bereits von der Initiative zurückgezogen. Nun sieht sich auch Wagenknecht veranlasst zu sagen, dass Rechtsextreme auf der Kundgebung nicht willkommen sind. Diese Aussage kommt spät. Noch am 15.2. hatten Schwarzer und Wagenknecht in einem Spiegel-Interview betont, dass selbstverständlich jede Person an der Kundgebung teilnehmen könne. Und Wagenknechts Ehemann, Oskar Lafontaine, hat ebenfalls per Videobotschaft „alle“ zu der Veranstaltung eingeladen (2).
In der Partei DIE LINKE mobilisieren trotz eines eindeutigen Beschlusses des Parteivorstands einzelne Gliederungen, allen voran der Landesverband Bayern, zu der Kundgebung nach Berlin. Sie werden dort gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrieren und in der Praxis die Querfront begründen. Auch, wenn es nur eine Minderheit in der Partei DIE LINKE sein wird, ist damit ein Tiefpunkt erreicht. Wer als Linke oder Linker nicht in die Querfront will, muss dagegen halten.
Edith Bartelmus-Scholich, 18.2.2023
(1) https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
(2) https://twitter.com/i/status/1625924496082317313
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